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202 Von der Tiroler Landeseinheit bis zum Tod Kaiser Maximilians
I. (1519)
Textbeispiel
Consilia Als Beispiel für den sprachlichen Duktus dieser Textgattung, der noch ganz mit-
telalterlichen Usancen verhaftet ist und ein gutes Beispiel für den eingangs bespro-
chenen stylus curiae darstellt, sei hier der Beginn des 97. Kapitels aus dem dritten,
strafrechtlichen Buch der Redaktion von Cles und Quetta zitiert. Der Passus be-
handelt den Totschlag (homicidium) :
Item statuimus et ordinamus, quod si qua persona gladio vel quocumque alio modo interfecerit
aliquam personam excepto bannito, si occisor infra mensem unum a die comissi homicidii, vel
intra duos menses, si interfectus fuerit forensis, habuerit pacem a duobus proximioribus defuncti
ad minus de maioribus viginti annis, ad quos haereditas defuncti de iure spectet, condemnetur
et puniatur in libris ducentis denariorum Veronensium. Et si proximior vel proximiores fuer-
int pupilli vel minores viginti annis, quod tutor pupilli sive pupillorum et curator adultorum
maiorum vigintiquattuor annis de dicta morte possint legitime pacem facere de voluntate et
consensu aliorum duorum de proximioribus occisi aetatis viginti annorum et ultra infra unum
mensem […]
Desgleichen beschließen wir und setzen fest, dass, wenn eine Person mit einem Schwert
oder auf irgendeine andere Weise irgendeine Person mit Ausnahme eines Vogelfreien
getötet hat, wenn der Totschläger innerhalb eines Monats ab dem Tag des begangenen
Totschlags oder innerhalb zweier Monate, wenn der Getötete ein Fremder war, von zwei
näheren Angehörigen, die nicht jünger als 20 Jahre sind und denen die Erbschaft des Ver-
storbenen von Rechts wegen zufällt, Frieden erlangt hat, er verurteilt werden und mit 200
Veroneser Pfund bestraft werden soll. Und wenn der oder die näheren Angehörigen Mün-
del oder jünger als 20 Jahre sind, dass der Vormund des Mündels oder der Mündel bzw.
der Kurator derjenigen, die erwachsen und über 24 Jahre alt sind, hinsichtlich des erwähn-
ten Todesfalls innerhalb eines Monats rechtmäßig Frieden schließen können aufgrund des
Willens und der Zustimmung von zwei anderen unter den näheren Angehörigen des Getö-
teten, die 20 Jahre alt oder älter sind […]
Consilia, gerichtliche Gutachten (vgl. generell Falk 2006), gingen wie die Statuten
aus der römisch-rechtlichen Tradition hervor und waren besonders im schriftli-
chen Verfahren von großer Bedeutung. Normalerweise wurden sie entweder für
den Richter oder für eine Partei verfasst : Da Laienrichter sich nicht immer sicher
waren, wie sie einen Fall entscheiden sollten, verschickten sie die Akten an einzelne
Rechtsgelehrte oder universitäre Kollegien. Den Parteien boten Gutachten u.a.
die Möglichkeit, das Prozessrisiko im Vorhinein einzuschätzen. Der Aufbau dieser
Schriftstücke folgt meist einem festen Schema : Nach einer kurzen Sachverhaltsdar-
stellung werden zunächst die zu erwartenden Einwände der Gegenpartei (rationes
dubitandi), sodann die Gründe für die Entscheidung (rationes decidendi) dargelegt.
TYROLIS LATINA
Geschichte der lateinischen Literatur in Tirol, Band 1
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- TYROLIS LATINA
- Untertitel
- Geschichte der lateinischen Literatur in Tirol
- Band
- 1
- Autoren
- Martin Korenjak
- Florian Schaffenrath
- Lav Šubarić
- Herausgeber
- Karlheinz Töchterle
- Ort
- Wien
- Datum
- 2012
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78868-3
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 602
- Schlagwörter
- Neo-Latin, Tyrol, History, Literature, Neu-Latein, Tirol, Literatur, Geschichte
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 9
- Epochenbild (Josef Riedmann) 21
- Überblick (Gabriela Kompatscher) 31
- Epochenbild (Lav Šubarić) 55
- Dichtung (Martin Korenjak) 66
- Rhetorik und Beredsamkeit (Martin Korenjak) 95
- Geschichtsschreibung (Josef Riedmann/Florian Schaffenrath) 105
- Biographie (Wolfgang Kofler) 123
- Brief (Christina Antenhofer/Lukas Oberrauch) 130
- Musik (Lukas Oberrauch) 143
- Kirchliches Schrifttum (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 147
- Philosophie (Stefan Tilg) 167
- Medizin und Naturwissenschaft (Lav Šubarić) 189
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne) 198
- Das 16. Jh. bis zum Tod Erzherzog Ferdinands II. von Tirol (1595) Epochenbild (Karlheinz Töchterle) 215
- Dichtung (Wolfgang Kofler/Martin Korenjak) 225
- Theater (Stefan Tilg) 266
- Beredsamkeit (Martin Korenjak) 282
- Geschichtsschreibung (Florian Schaffenrath) 307
- Brief (Martin Korenjak) 335
- Theologie (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 342
- Philosophie (Stefan Tilg) 349
- Naturwissenschaft (Lav Šubarić) 355
- Medizin (Lukas Oberrauch) 362
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne) 378
- Das 17. Jh. bis zum Aussterben der Tiroler Linie der Habsburger (1665) und zur Gründung der Universität (1669) Epochenbild (Stefan Tilg) 385
- Dichtung (Martin Korenjak) 397
- Theater (Stefan Tilg) 436
- Beredsamkeit (Martin Korenjak) 465
- Geschichtsschreibung (Lav Šubarić) 480
- Biographie (Florian Schaffenrath) 505
- Brief (Martin Korenjak) 517
- Theologie und kirchliches Schrifttum (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 525
- Philosophie (Stefan Tilg) 545
- Naturwissenschaft (Martin Korenjak) 555
- Medizin (Lav Šubarić) 564
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne) 584
- Farbtafeln 593