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Dichtung 235
Textvergleich
Casletano,
Carmen
salutatorium
Wilten zu errichten. Der Bau wurde aber immer wieder von einem Drachen aus der Sill-
schlucht zerstört. Haymon erschlug das Untier, schnitt ihm die Zunge als Trophäe heraus
und vollendete das Kloster. Im Jahr 878 starb er und wurde in der Klosterkirche begraben.
Die Elegie über Stams bietet eine Etymologie des Namens (< Stainpis, „steiniger Ort“),
einen Bericht über die Gründung des Klosters und seine Erwählung zur Grablege der Ti-
roler Landesfürsten durch Meinhard II. nebst einer zweiten Etymologie (< Stamm, weil
Meinhard alle Angehörigen seines Stammes dort bestattet wissen wollte) und schließt mit
einem Gebet um Glück und Segen für Abt und Kloster.
In beiden Gedichten entsprechen sich lat. und deutscher Text Vers für Vers. Al-
lerdings ziehen die längeren lat. Verse alle Register der lat. Dichtersprache, wäh-
rend die deutsche Fassung wesentlich schlichter bleibt. So schildern etwa in der
folgenden Passage aus dem Wiltener Gedicht (V.
59–70) die Distichen den Überfall
des Drachens auf das Kloster mithilfe eines ausgedehnten epischen Gleichnisses
(V. 65–70), prunken mit mythologischem Wissen (Aeolia […] aula) und häufen
Epitheton auf Epitheton : vilia tecta, squamiger draco, rupe propinqua, bile tumente
usw. Die Jamben übernehmen zwar das Gleichnis, verzichten aber auf Mythologie
und schmückende Beiwörter :
Dumque operi intentus templi fundamina ponit Auffs werck weil er gedencken thet /
Construit atque suae vilia tecta domus, Beim Baw ein anfang gmachet het :
Squamiger ecce draco ruit huc e rupe propinqua Sich zu / ein Drach dort auß eim stein
Et subvertit opus bile tumente novum Kompt / verhindert die arbeit sein /
Contorta ac cauda rabidum vomit ore venenum Speyt auß das Gifft und wind den schwantz
Nec cessat muros ungue notare novos : Zerkratzt ihm auch die Mawer gantz.
Non secus Aeolia prorumpens nimbus ut aula Gleich wie der wind braußt auff dem Meer /
Implacido aequoreas vortice perflat aquas Und wirfft die Wellen hin und her /
Aut cum diruptis rapidus profluxerit amnis Auch wie das Wasser reissen thut /
Aggeribus molem et vicerit oppositam, Wanns auffbricht offt ein Archen gut /
Fertur in arva furens cumulo camposque per Und tringt dann durch die Felder auß /
amplos
Ipsis cum stabulis distrahit omne pecus. Das sicher ist kein Hoff noch Hauß.
Zum Abschluss dieses Abschnitts und zugleich als Überleitung zur Panegyrik sei
noch ein Gedicht in 145 Hexametern genannt, das ein Andrea Casletano zum Aller-
heiligentag 1570 verfasst und in einem einleitenden Epigramm Lodovico Madruzzo
zueignet, eine Widmung, die damit zusammenhängen dürfte, dass dieser damals
zusätzlich zu Trient auch das Bistum Brixen mitbetreute, wo das Werk gedruckt
wurde. Das Gedicht gliedert sich in zwölf durch Salve/Salveto/Salvete eingeleitete
TYROLIS LATINA
Geschichte der lateinischen Literatur in Tirol, Band 1
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- TYROLIS LATINA
- Untertitel
- Geschichte der lateinischen Literatur in Tirol
- Band
- 1
- Autoren
- Martin Korenjak
- Florian Schaffenrath
- Lav Šubarić
- Herausgeber
- Karlheinz Töchterle
- Ort
- Wien
- Datum
- 2012
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78868-3
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 602
- Schlagwörter
- Neo-Latin, Tyrol, History, Literature, Neu-Latein, Tirol, Literatur, Geschichte
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 9
- Epochenbild (Josef Riedmann) 21
- Überblick (Gabriela Kompatscher) 31
- Epochenbild (Lav Šubarić) 55
- Dichtung (Martin Korenjak) 66
- Rhetorik und Beredsamkeit (Martin Korenjak) 95
- Geschichtsschreibung (Josef Riedmann/Florian Schaffenrath) 105
- Biographie (Wolfgang Kofler) 123
- Brief (Christina Antenhofer/Lukas Oberrauch) 130
- Musik (Lukas Oberrauch) 143
- Kirchliches Schrifttum (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 147
- Philosophie (Stefan Tilg) 167
- Medizin und Naturwissenschaft (Lav Šubarić) 189
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne) 198
- Das 16. Jh. bis zum Tod Erzherzog Ferdinands II. von Tirol (1595) Epochenbild (Karlheinz Töchterle) 215
- Dichtung (Wolfgang Kofler/Martin Korenjak) 225
- Theater (Stefan Tilg) 266
- Beredsamkeit (Martin Korenjak) 282
- Geschichtsschreibung (Florian Schaffenrath) 307
- Brief (Martin Korenjak) 335
- Theologie (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 342
- Philosophie (Stefan Tilg) 349
- Naturwissenschaft (Lav Šubarić) 355
- Medizin (Lukas Oberrauch) 362
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne) 378
- Das 17. Jh. bis zum Aussterben der Tiroler Linie der Habsburger (1665) und zur Gründung der Universität (1669) Epochenbild (Stefan Tilg) 385
- Dichtung (Martin Korenjak) 397
- Theater (Stefan Tilg) 436
- Beredsamkeit (Martin Korenjak) 465
- Geschichtsschreibung (Lav Šubarić) 480
- Biographie (Florian Schaffenrath) 505
- Brief (Martin Korenjak) 517
- Theologie und kirchliches Schrifttum (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 525
- Philosophie (Stefan Tilg) 545
- Naturwissenschaft (Martin Korenjak) 555
- Medizin (Lav Šubarić) 564
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne) 584
- Farbtafeln 593