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250 Das 16. Jh. bis zum Tod Erzherzog Ferdinands
II. von Tirol (1595)
Allegorie : Karl V.
als Palaemon
Johannes Putsch
poetische Hinter-
lassenschaft wollte Ottenthaler sein Vorbild poetisch überbieten und seinen Lesern dessen ge-
samte bukolische Welt in einem einzigen Gedicht präsentieren. Hierfür spricht,
dass der Dichter Elemente aus fast allen vergilischen Eklogen einbaut : Die Szenerie
entspricht jener der ersten Ekloge, den Namen Tityrus bringen wir ebenfalls v.a.
mit dieser in Verbindung, Damoetas und Palaemon kennen wir aus der dritten
Ekloge, das Motiv der Krankheit verweist auf die Trauer um Daphnis (ecl. 5) und
die Klagen des Gallus (ecl. 10). Dazu kommen zahlreiche Zitate aus allen Einzelge-
dichten der Bucolica.
Hirtendichtung war spätestens seit der Renaissance ein beliebtes Genre, um in
verschlüsselter Form auf mehr oder weniger bekannte Persönlichkeiten zu verwei-
sen.16 Auch bei der Lektüre von Ottenthalers Gedicht drängt sich die Frage auf,
wer sich hinter der Figur des Palaemon verbirgt und ob die diesem bekundeten
Sympathien vielleicht einem panegyrischen Zweck dienen. Der Umstand, dass das
Büchlein im Jahr 1557 erschienen ist, legt die Vermutung nahe, dass hinter dem
Hirten Karl V. steht. Es waren ja nicht zuletzt gesundheitliche Gründe gewesen, die
den Kaiser 1556 dazu bewogen hatten, seinen mitteleuropäischen Machtbereich zu
verlassen und sich nach Yuste bei Toledo zurückzuziehen. Diese Deutung erscheint
umso plausibler, als Karl V. schon früher in ähnlich konzipierten Eklogen besungen
wurde. So publizierte der bekannte nlat. Dichter Johannes Stigelius 1543 ein Stück,
in dem zwei Hirten seine Abwesenheit in Algerien und Gerüchte über seinen Tod
diskutieren (Kühlmann u.a. 1997, 584–597, 1299–1304).
Da Karl V. und Ferdinand I. auch für das leider zum größten Teil verlorene
poetische Œuvre von Johannes Putsch von großer Bedeutung waren, seien die we-
nigen Fragmente, die wir von diesem noch haben, hier besprochen. Johannes, der
wesentlich ältere Bruder des Historiographen Christoph Wilhelm (vgl. hier S.
321),
wurde 1516 als Sohn des Schatzarchivars Wilhelm Putsch in Innsbruck geboren.
Ungewöhnlich begabt, trat er schon in jungen Jahren in die Dienste Ferdinands I.
Bereits 1537 publizierte er in Paris die erste Karte Europas in Frauengestalt, die
sogenannte Europa Regina, für die er noch heute bekannt ist (vgl. Abb. 34). Schon
1542 starb er auf dem Feldzug seines Herrn gegen Johannes Zápolya, den Fürsten
von Siebenbürgen, in Esztergom (Jax 1938, 334–337).
Von den drei größeren poetischen Werken, die für ihn bezeugt sind, hat keines
sich vollständig erhalten : Ein Karl V. und Ferdinand I. gewidmetes Epos Danu-
bius („Donau“) in mindestens fünf Büchern ist bis auf wenige Verse verloren. Aus
einem elegischen Hodoeporicon Histria („Istrien“) über eine Reise von Piran in
Slowenien nach Innsbruck sind nur zwei kurze Fragmente auf uns gekommen, die
immerhin die erste neuzeitliche Beschreibung der römischen Ruinen von Aguntum
16 CNLS 2, 62 ; zur nlat. Bukolik insgesamt vgl. Grant 1965.
TYROLIS LATINA
Geschichte der lateinischen Literatur in Tirol, Band 1
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- TYROLIS LATINA
- Untertitel
- Geschichte der lateinischen Literatur in Tirol
- Band
- 1
- Autoren
- Martin Korenjak
- Florian Schaffenrath
- Lav Šubarić
- Herausgeber
- Karlheinz Töchterle
- Ort
- Wien
- Datum
- 2012
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78868-3
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 602
- Schlagwörter
- Neo-Latin, Tyrol, History, Literature, Neu-Latein, Tirol, Literatur, Geschichte
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 9
- Epochenbild (Josef Riedmann) 21
- Überblick (Gabriela Kompatscher) 31
- Epochenbild (Lav Šubarić) 55
- Dichtung (Martin Korenjak) 66
- Rhetorik und Beredsamkeit (Martin Korenjak) 95
- Geschichtsschreibung (Josef Riedmann/Florian Schaffenrath) 105
- Biographie (Wolfgang Kofler) 123
- Brief (Christina Antenhofer/Lukas Oberrauch) 130
- Musik (Lukas Oberrauch) 143
- Kirchliches Schrifttum (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 147
- Philosophie (Stefan Tilg) 167
- Medizin und Naturwissenschaft (Lav Šubarić) 189
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne) 198
- Das 16. Jh. bis zum Tod Erzherzog Ferdinands II. von Tirol (1595) Epochenbild (Karlheinz Töchterle) 215
- Dichtung (Wolfgang Kofler/Martin Korenjak) 225
- Theater (Stefan Tilg) 266
- Beredsamkeit (Martin Korenjak) 282
- Geschichtsschreibung (Florian Schaffenrath) 307
- Brief (Martin Korenjak) 335
- Theologie (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 342
- Philosophie (Stefan Tilg) 349
- Naturwissenschaft (Lav Šubarić) 355
- Medizin (Lukas Oberrauch) 362
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne) 378
- Das 17. Jh. bis zum Aussterben der Tiroler Linie der Habsburger (1665) und zur Gründung der Universität (1669) Epochenbild (Stefan Tilg) 385
- Dichtung (Martin Korenjak) 397
- Theater (Stefan Tilg) 436
- Beredsamkeit (Martin Korenjak) 465
- Geschichtsschreibung (Lav Šubarić) 480
- Biographie (Florian Schaffenrath) 505
- Brief (Martin Korenjak) 517
- Theologie und kirchliches Schrifttum (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 525
- Philosophie (Stefan Tilg) 545
- Naturwissenschaft (Martin Korenjak) 555
- Medizin (Lav Šubarić) 564
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne) 584
- Farbtafeln 593