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252 Das 16. Jh. bis zum Tod Erzherzog Ferdinands
II. von Tirol (1595)
de Roos Sapientia
Salomonis bei Lienz in Osttirol enthalten (Müller/Schaffenrath 2007, 20–21). Schließlich hat
Putsch eine Gedichtsammlung mit dem angeblichen Titel Interim oder Interea („In-
zwischen“) verfasst, bei dem es sich aber eher um ein falsch verstandenes Incipit
handeln dürfte (vgl. zu interea als formelhaftem Beginn bzw. Neueinsatz Verg. Aen.
5,1, 10,1, 11,1, georg. 3,40, Prop. 3,2,1). Aus ihr stammen möglicherweise die
zwei von drei anscheinend vollständig erhaltenen Gedichten, die sich in einer 1544
gedruckten Basler Anthologie finden, sicher das dritte, das bei Christoph Wilhelm
Putsch überliefert ist. Jax 1938 hat diese Stücke, die sich alle durch gesuchte Spra-
che und oft schwer nachvollziehbaren Gedankengang auszeichnen, herausgegeben
und kommentiert. Im ersten und längsten (41 Hexameter), das auch dem Danubius
entnommen sein könnte, klagt die personifizierte Europa über die Kriege, die sie
seit jeher zerfleischen, und bittet Karl V. und Ferdinand I. um Hilfe. Im zweiten,
einem Epigramm von vier Distichen, lamentiert die Personifikation Siebenbürgens
darüber, dass Zápolya sie 1528 den Türken übergeben hat. Diese beiden politischen
Stücke stehen nicht nur in deutlichem Zusammenhang mit der Biographie des
Dichters, sondern zeigen auch die gleiche Neigung zur Personifikation von Ländern
als Frauen, wie sie sich in der Europa Regina ausdrückt. Insbesondere bei der Klage
Europas, wo u.a. Spanien als ihr Haupt, Italien als ihre Rechte erscheint (V.
21–22),
ist die Analogie recht spezifisch. Vielleicht hat man die zwei Gedichte deshalb als
für Putsch charakteristisch empfunden und in die Basler Anthologie aufgenom-
men. Das dritte und letzte Stück, ein sieben Distichen umfassendes Epigramm,
nennt einen Waldbrand in Hötting im Jahr 1540 als Grund dafür, dass es im klei-
nen Innsbruck so viele Poeten gebe : Die durch den Brand vertriebenen Musen
hätten sich nun alle in der Stadt angesiedelt, während die echten Bürger emigrieren
müssten. Nicht nur ist diese Erklärung weder einleuchtend noch besonders witzig,
es ist auch nicht klar, weshalb Putsch findet, es gebe in Innsbruck zu viele Dichter ;
unseren sonstigen Quellen zufolge ist die erste Hälfte des 16. Jhs. dort keine Zeit
überbordender poetischer Produktivität.
Es überrascht nicht, dass unter den Adressaten der Tiroler Habsburgpanegyrik
der langjährige Landesherr Ferdinand II. eine Sonderstellung einnimmt. Das frü-
heste und zugleich eindrucksvollste Beispiel für Hofpoesie zu seinen Ehren stellt
die Sapientia Salomonis („Weisheit Salomos“) des Gerhard de Roo dar, auch wenn
sich ihre panegyrische Intention erst auf den zweiten Blick erschließt.17 Das 1572 in
Innsbruck bei Rupert Höller gedruckte Werk hat seinen Namen vom ersten seiner
insgesamt drei Bücher. Dieses bietet eine ins elegische Distichon übertragene Ver-
17 Zu de Roos historischen Werken und seiner Biographie vgl. hier S. 324–328. Ein weiteres Gedicht
de Roos für Ferdinand II., eine 1583 in Innsbruck gedruckte Gratulatio zur Geburt seiner Tochter
Anna Eleonore, war leider nicht greifbar.
TYROLIS LATINA
Geschichte der lateinischen Literatur in Tirol, Band 1
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- TYROLIS LATINA
- Untertitel
- Geschichte der lateinischen Literatur in Tirol
- Band
- 1
- Autoren
- Martin Korenjak
- Florian Schaffenrath
- Lav Šubarić
- Herausgeber
- Karlheinz Töchterle
- Ort
- Wien
- Datum
- 2012
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78868-3
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 602
- Schlagwörter
- Neo-Latin, Tyrol, History, Literature, Neu-Latein, Tirol, Literatur, Geschichte
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 9
- Epochenbild (Josef Riedmann) 21
- Überblick (Gabriela Kompatscher) 31
- Epochenbild (Lav Šubarić) 55
- Dichtung (Martin Korenjak) 66
- Rhetorik und Beredsamkeit (Martin Korenjak) 95
- Geschichtsschreibung (Josef Riedmann/Florian Schaffenrath) 105
- Biographie (Wolfgang Kofler) 123
- Brief (Christina Antenhofer/Lukas Oberrauch) 130
- Musik (Lukas Oberrauch) 143
- Kirchliches Schrifttum (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 147
- Philosophie (Stefan Tilg) 167
- Medizin und Naturwissenschaft (Lav Šubarić) 189
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne) 198
- Das 16. Jh. bis zum Tod Erzherzog Ferdinands II. von Tirol (1595) Epochenbild (Karlheinz Töchterle) 215
- Dichtung (Wolfgang Kofler/Martin Korenjak) 225
- Theater (Stefan Tilg) 266
- Beredsamkeit (Martin Korenjak) 282
- Geschichtsschreibung (Florian Schaffenrath) 307
- Brief (Martin Korenjak) 335
- Theologie (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 342
- Philosophie (Stefan Tilg) 349
- Naturwissenschaft (Lav Šubarić) 355
- Medizin (Lukas Oberrauch) 362
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne) 378
- Das 17. Jh. bis zum Aussterben der Tiroler Linie der Habsburger (1665) und zur Gründung der Universität (1669) Epochenbild (Stefan Tilg) 385
- Dichtung (Martin Korenjak) 397
- Theater (Stefan Tilg) 436
- Beredsamkeit (Martin Korenjak) 465
- Geschichtsschreibung (Lav Šubarić) 480
- Biographie (Florian Schaffenrath) 505
- Brief (Martin Korenjak) 517
- Theologie und kirchliches Schrifttum (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 525
- Philosophie (Stefan Tilg) 545
- Naturwissenschaft (Martin Korenjak) 555
- Medizin (Lav Šubarić) 564
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne) 584
- Farbtafeln 593