Seite - 255 - in TYROLIS LATINA - Geschichte der lateinischen Literatur in Tirol, Band 1
Bild der Seite - 255 -
Text der Seite - 255 -
Dichtung 255
Stellenwert der
Künste
Einheit
Hügel von Hötting und Berg, der du höher bist als diese, und du, Vater Ticio,18 der du
aus lieblicher Quelle herabplätscherst, ihr alle, die der Sprössling aus dem Geschlecht der
Putschs, der erste weithin tönende Sänger dieses Ortes, wie es sich gehört den Göttinnen
von der Quelle Aganippe [d.h. den Musen] geweiht hat, nehmt mich auf, der ich aus dem
vormaligen Gebiet der Boier und jenem Land zu euch komme, dessen Hauptstadt das
berühmte Prag ist !
Zwar sind einige Gedichte, wie im Epigramm durchaus üblich, an fiktive Personen
gerichtet bzw. handeln von solchen. So hören wir etwa von einer eitlen Greisin mit
dem sprechenden Namen Prisca (Bl. Giiv ; „die Alte“) oder von einem notorischen
Lügner namens Fixulius (Bl. Giiiiv). Auffällig ist jedoch, dass die Zahl solcher Leute
im zweiten Buch drastisch abnimmt (nur mehr Bl. Lir De tinctore, „Von einem
Färber“ ; Bl. Liiir De Sarcinio, „Über Sarcinius“ ; Bl. Niv Ad Labienum, „An Labie-
nus“). Die zunehmende Konzentration auf einen Kreis von Künstlern und Intel-
lektuellen einerseits und die von Beginn der Carmina et epigrammata an betonte
Präsenz des Erzherzogs andererseits passen gut zu deren Gesamtausrichtung. Eines
der wichtigsten Ziele des Autors ist es nämlich offensichtlich, die seiner Meinung
nach zu geringe gesellschaftliche Akzeptanz kultureller Leistungen und Berufe zu
steigern. Schon im Vorwort (Bl. Aiiv) klagt er über verkehrt denkende Menschen,
welche aufs Geratewohl verkündeten, die Freien Künste seien, sofern sie nicht Pro-
fit abwürfen, völlig unnütz (praeposterum quorundam hominum […], qui artes […]
liberales […], nisi avaritiae deserviant, prorsus inutiles esse […] libere pronunciant).
Vor dem Hintergrund seines Anliegens beschwört die Gesamtheit der in dem Werk
angesprochenen Personen gleichsam das Bild einer idealen Gesellschaft, in der Wis-
senschaft und Künste unter der Führung des Erzherzogs zu ihrem vollen Recht
kommen.
Auch der Zusammenhang zwischen der Sapientia Salomonis und den zwei ande-
ren Büchern, der dem Leser auf den ersten Blick recht lose erscheint, zeigt sich nun
deutlicher. Im Vorwort (Bl. Aiiir) gibt sich der Verfasser bescheiden und motiviert
seine Entscheidung, sein Werk mit dem Buch der Weisheit zu beginnen, lediglich
damit, dass er seinen Dichtungen einen „recht bedeutenden Anfang“ (maius quod-
dam operi initium) voranstellen wolle und dass „für Christenmenschen alles bei
Gott beginnen solle“ (omnia Christianis hominibus a deo auspicanda esse). In Wirk-
lichkeit aber erfolgte die Wahl aus weiter reichenden Gründen. Das zu den jüngs-
ten Schriften des AT zählende und wahrscheinlich im 1. Jh. v.Chr. in Alexand-
18 Welcher Bach oder Fluss damit gemeint ist, bleibt unklar. Geographisch böten sich am ehesten der
Höttinger Bach und der Sulzenbach an, die an den Hängen der Nordkette entspringen, Hötting
bzw. das westlich davon gelegene Kranebitten durchfließen und in den Inn münden.
TYROLIS LATINA
Geschichte der lateinischen Literatur in Tirol, Band 1
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- TYROLIS LATINA
- Untertitel
- Geschichte der lateinischen Literatur in Tirol
- Band
- 1
- Autoren
- Martin Korenjak
- Florian Schaffenrath
- Lav Šubarić
- Herausgeber
- Karlheinz Töchterle
- Ort
- Wien
- Datum
- 2012
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78868-3
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 602
- Schlagwörter
- Neo-Latin, Tyrol, History, Literature, Neu-Latein, Tirol, Literatur, Geschichte
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 9
- Epochenbild (Josef Riedmann) 21
- Überblick (Gabriela Kompatscher) 31
- Epochenbild (Lav Šubarić) 55
- Dichtung (Martin Korenjak) 66
- Rhetorik und Beredsamkeit (Martin Korenjak) 95
- Geschichtsschreibung (Josef Riedmann/Florian Schaffenrath) 105
- Biographie (Wolfgang Kofler) 123
- Brief (Christina Antenhofer/Lukas Oberrauch) 130
- Musik (Lukas Oberrauch) 143
- Kirchliches Schrifttum (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 147
- Philosophie (Stefan Tilg) 167
- Medizin und Naturwissenschaft (Lav Šubarić) 189
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne) 198
- Das 16. Jh. bis zum Tod Erzherzog Ferdinands II. von Tirol (1595) Epochenbild (Karlheinz Töchterle) 215
- Dichtung (Wolfgang Kofler/Martin Korenjak) 225
- Theater (Stefan Tilg) 266
- Beredsamkeit (Martin Korenjak) 282
- Geschichtsschreibung (Florian Schaffenrath) 307
- Brief (Martin Korenjak) 335
- Theologie (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 342
- Philosophie (Stefan Tilg) 349
- Naturwissenschaft (Lav Šubarić) 355
- Medizin (Lukas Oberrauch) 362
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne) 378
- Das 17. Jh. bis zum Aussterben der Tiroler Linie der Habsburger (1665) und zur Gründung der Universität (1669) Epochenbild (Stefan Tilg) 385
- Dichtung (Martin Korenjak) 397
- Theater (Stefan Tilg) 436
- Beredsamkeit (Martin Korenjak) 465
- Geschichtsschreibung (Lav Šubarić) 480
- Biographie (Florian Schaffenrath) 505
- Brief (Martin Korenjak) 517
- Theologie und kirchliches Schrifttum (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 525
- Philosophie (Stefan Tilg) 545
- Naturwissenschaft (Martin Korenjak) 555
- Medizin (Lav Šubarić) 564
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne) 584
- Farbtafeln 593