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256 Das 16. Jh. bis zum Tod Erzherzog Ferdinands
II. von Tirol (1595)
Nenning
über den Adel ria entstandene (TRE 19, 730) Buch der Weisheit präsentiert nämlich ein Konzept
von Weisheit, das sich von alttestamentarischen Vorstellungen emanzipiert hat und
durch Ideen aus der hellenistischen Philosophie angereichert ist (Kepper 1999). Ei-
nen Herrscher wie Ferdinand
II., der Macht, Religion, Wissenschaft und Künste zu
vereinen suchte, musste dies ansprechen. Dies gilt auch für den Umstand, dass das
Buch dem sprichwörtlich weisen König Salomo zugeschrieben wurde. Nach dem
Bild, das die Bibel von ihm vermittelt, vereinigte er wie kein anderer Herrscher geis-
tige und weltliche Vorzüge, förderte in seiner Regierungszeit, die im Großen und
Ganzen von Frieden geprägt war, neben seinen Verdiensten um den Glauben auch
die Kultur und trat nicht zuletzt als Dichter in Erscheinung (1 Kg 5,12). Dies alles
– einschließlich der eigenen poetischen Ambitionen – trifft auch auf Ferdinand II.
zu. De Roos Gedichte und das in ihnen zum Ausdruck gebrachte programmatische
Werben um mehr Anerkennung für geistige Verdienste stehen also nicht nur im
Zeichen Salomos, sondern gleichzeitig auch in dem seines Landesfürsten.
Weniger bedeutsam als dieses opus magnum ist die im Cod. 10105 der ÖNB
überlieferte, ebenfalls an Ferdinand II. adressierte De duplici nobilitate diasaphe-
sis („Erklärung der zwei Arten von Adel“) eines Christoph Nenning. Die Abfas-
sungszeit lässt sich aufgrund der Erwähnung einer coniux (Bl. 8r ; „Ehefrau“) auf
1576–1580 oder 1582–1595 eingrenzen.19 Voran geht (Bl. 1v) eine kurze Wid-
mungselegie, in welcher der als peregrinus („Fremder“) unterzeichnende Verfasser
darum bittet, der als mächtiger Baum dargestellte Ferdinand möge ihn in seinem
Schatten ruhen lassen. Die knapp 300 Hexameter lange Diasaphesis selbst lässt sich
am besten als protreptisches Lehrgedicht charakterisieren, schöpft die Möglichkei-
ten, die sich aus dieser Gattungszugehörigkeit ergeben, aber so wenig aus wie das
oben erwähnte Gedicht über die Ehe im Quodlibetum : Sie schließt sich an keinen
der antiken Klassiker des Genus (Lukrez, Vergil, Horaz usw.) an, und ihr loser Auf-
bau rekurriert kaum auf dessen typische Bauformen. Unter den „zwei Arten von
Adel“ des Titels sind Geburts- und Tugendadel zu verstehen. Dieser ist ohne jenen
nichts wert, wer von hoher Geburt ist, muss nach Kräften versuchen, seinem Stand
gerecht zu werden, andernfalls gereicht ihm dieser nur zur Schande – altbekannte,
in zahllosen Fürstenspiegeln und verwandtem Schrifttum vertretene Ansichten,
für die hier in immer neuen Anläufen argumentiert wird. Aufgelockert wird diese
Tugendprotreptik v.a. durch kulturgeschichtliche Abschnitte, die zeigen, wie Gott
nach dem Sündenfall die sozialen Unterschiede geschaffen hat, um den Menschen
einen Anreiz zur Tugend zu bieten, und wie in vielen frühen Staaten Herrscher
ausschließlich aufgrund ihrer Tugend ernannt wurden (Bl. 2v–4v). Auch eine die
19 1576 legte Ferdinand seine Geheimehe mit Philippine Welser offen (Hirn 1885–1888, Bd. 2, 321–
323), die 1580 verstarb. 1582 heiratete der Witwer Anna Caterina Gonzaga, 1595 starb er.
TYROLIS LATINA
Geschichte der lateinischen Literatur in Tirol, Band 1
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- TYROLIS LATINA
- Untertitel
- Geschichte der lateinischen Literatur in Tirol
- Band
- 1
- Autoren
- Martin Korenjak
- Florian Schaffenrath
- Lav Šubarić
- Herausgeber
- Karlheinz Töchterle
- Ort
- Wien
- Datum
- 2012
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78868-3
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 602
- Schlagwörter
- Neo-Latin, Tyrol, History, Literature, Neu-Latein, Tirol, Literatur, Geschichte
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 9
- Epochenbild (Josef Riedmann) 21
- Überblick (Gabriela Kompatscher) 31
- Epochenbild (Lav Šubarić) 55
- Dichtung (Martin Korenjak) 66
- Rhetorik und Beredsamkeit (Martin Korenjak) 95
- Geschichtsschreibung (Josef Riedmann/Florian Schaffenrath) 105
- Biographie (Wolfgang Kofler) 123
- Brief (Christina Antenhofer/Lukas Oberrauch) 130
- Musik (Lukas Oberrauch) 143
- Kirchliches Schrifttum (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 147
- Philosophie (Stefan Tilg) 167
- Medizin und Naturwissenschaft (Lav Šubarić) 189
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne) 198
- Das 16. Jh. bis zum Tod Erzherzog Ferdinands II. von Tirol (1595) Epochenbild (Karlheinz Töchterle) 215
- Dichtung (Wolfgang Kofler/Martin Korenjak) 225
- Theater (Stefan Tilg) 266
- Beredsamkeit (Martin Korenjak) 282
- Geschichtsschreibung (Florian Schaffenrath) 307
- Brief (Martin Korenjak) 335
- Theologie (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 342
- Philosophie (Stefan Tilg) 349
- Naturwissenschaft (Lav Šubarić) 355
- Medizin (Lukas Oberrauch) 362
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne) 378
- Das 17. Jh. bis zum Aussterben der Tiroler Linie der Habsburger (1665) und zur Gründung der Universität (1669) Epochenbild (Stefan Tilg) 385
- Dichtung (Martin Korenjak) 397
- Theater (Stefan Tilg) 436
- Beredsamkeit (Martin Korenjak) 465
- Geschichtsschreibung (Lav Šubarić) 480
- Biographie (Florian Schaffenrath) 505
- Brief (Martin Korenjak) 517
- Theologie und kirchliches Schrifttum (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 525
- Philosophie (Stefan Tilg) 545
- Naturwissenschaft (Martin Korenjak) 555
- Medizin (Lav Šubarić) 564
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne) 584
- Farbtafeln 593