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258 Das 16. Jh. bis zum Tod Erzherzog Ferdinands
II. von Tirol (1595)
Charakteristik
Prudeker :
Rückkehr
Ferdinands
aus Prag
Handsch : poe-
tische Tirolensien Der Sprecher beklagt sich bei den Musen über akuten Inspirationsmangel, da erscheinen
ihm die Angerufenen unter Führung des Apollo. Gleichzeitig erstrahlt die ganze Natur in
göttlichem Glanz (V. 1–98). Die Muse Thalia erklärt ihm, der Grund hierfür sei die bevor-
stehende Hochzeit zwischen Ferdinand und Anna Caterina, preist beide und verabschiedet
sich mit der Aufforderung, er solle jetzt selbst den freudigen Anlass besingen (V. 99–240).
Dies tut der nunmehr inspirierte Poet im Schlussteil : Er gratuliert den Brautleuten, erteilt
ihnen Ratschläge für ein gedeihliches Eheleben und fleht den Segen Gottes auf ihre Ehe
herab (V. 241–313).
Leucht war ein routinierter, klassikerfester Verseschreiber. Er traf aus dem Fundus
an Bauformen und Motiven, den ihm die antike und die neuzeitliche Tradition
des Hochzeitsgedichts boten, eine auf den aktuellen Anlass zugeschnittene Auswahl
und fügte die einzelnen Versatzstücke zu einem Ganzen zusammen, das klar und
einleuchtend strukturiert ist : Die zentrale Rede der Thalia wird symmetrisch von
zwei Rahmenpartien flankiert. Zu etwas Besonderem machte er sein Gedicht aber
v.a. durch zweierlei. Zum einen platzierte er genau in seiner Mitte (V.
120–193) ein
Akrostichon in Form eines elegischen Distichons – bei aller resultierenden sprach-
lichen Härte und inhaltlichen Plattheit eine virtuose tour de force : FERNANDUS
PRINCEPS HODIE CUM VIRGINE SPONSUS / FIT CATHARINA ANNA AC
SPONSA SERENA DUCIS („Heute verlobt sich der Fürst Ferdinand mit einer Jung-
frau und Caterina Anna wird die frohe Verlobte des Herzogs“). Zum anderen ließ er
das Epithalamium kalligraphisch auf ein einziges, 84x65 cm großes Blatt Pergament
schreiben, das Zehendtner dem Paar vermutlich als Hochzeitsgeschenk überreichte.
Im Jahr 1585 kehrte Ferdinand
II. von Prag, wo er den Kaiser und einige andere
Nobilitäten in den Orden vom Goldenen Vlies aufgenommen hatte, nach Inns-
bruck zurück (Hirn 1885–1888, Bd. 2, 105–106). Wohl auf einer der Stationen
der Rückreise oder bei der Ankunft in Innsbruck selbst widmete ihm einer seiner
Untertanen, ein nicht weiter bekannter Michael Prudeker, ein elegisches Oracu-
lum seu augurium poeticum („Poetische Weissagung oder Vogelschau“) in 64 Versen,
eingeleitet von einer sechs Distichen umfassenden Zueignung (ÖNB, Cod. 9886).
Das Oraculum hat eigentlich nichts Orakelhaftes an sich, sondern mischt einfach
in recht beliebiger Weise und in oft hartem Lat. Freudenbekundungen über Ferdi-
nands Rückkehr mit Lob für seine Tugenden und Vergleichen zwischen ihm und
antiken Helden. Vor dem abschließenden Wunsch, der Erzherzog möge lange leben
und danach in den Himmel kommen, bittet Prudeker noch um geneigte Aufnahme
des Gedichts und um Hilfe in einer Notlage. Diese war für den mäßig begabten
Autor offenbar das Motiv, zur Feder zu greifen.
Im Sinne eines Anhangs zur Dichtung auf Ferdinand II. sei noch auf einige po-
etische Tirolensien seines Hofarztes Georg Handsch (vgl. hier S. 364) hingewiesen.
TYROLIS LATINA
Geschichte der lateinischen Literatur in Tirol, Band 1
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- TYROLIS LATINA
- Untertitel
- Geschichte der lateinischen Literatur in Tirol
- Band
- 1
- Autoren
- Martin Korenjak
- Florian Schaffenrath
- Lav Šubarić
- Herausgeber
- Karlheinz Töchterle
- Ort
- Wien
- Datum
- 2012
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78868-3
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 602
- Schlagwörter
- Neo-Latin, Tyrol, History, Literature, Neu-Latein, Tirol, Literatur, Geschichte
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 9
- Epochenbild (Josef Riedmann) 21
- Überblick (Gabriela Kompatscher) 31
- Epochenbild (Lav Šubarić) 55
- Dichtung (Martin Korenjak) 66
- Rhetorik und Beredsamkeit (Martin Korenjak) 95
- Geschichtsschreibung (Josef Riedmann/Florian Schaffenrath) 105
- Biographie (Wolfgang Kofler) 123
- Brief (Christina Antenhofer/Lukas Oberrauch) 130
- Musik (Lukas Oberrauch) 143
- Kirchliches Schrifttum (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 147
- Philosophie (Stefan Tilg) 167
- Medizin und Naturwissenschaft (Lav Šubarić) 189
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne) 198
- Das 16. Jh. bis zum Tod Erzherzog Ferdinands II. von Tirol (1595) Epochenbild (Karlheinz Töchterle) 215
- Dichtung (Wolfgang Kofler/Martin Korenjak) 225
- Theater (Stefan Tilg) 266
- Beredsamkeit (Martin Korenjak) 282
- Geschichtsschreibung (Florian Schaffenrath) 307
- Brief (Martin Korenjak) 335
- Theologie (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 342
- Philosophie (Stefan Tilg) 349
- Naturwissenschaft (Lav Šubarić) 355
- Medizin (Lukas Oberrauch) 362
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne) 378
- Das 17. Jh. bis zum Aussterben der Tiroler Linie der Habsburger (1665) und zur Gründung der Universität (1669) Epochenbild (Stefan Tilg) 385
- Dichtung (Martin Korenjak) 397
- Theater (Stefan Tilg) 436
- Beredsamkeit (Martin Korenjak) 465
- Geschichtsschreibung (Lav Šubarić) 480
- Biographie (Florian Schaffenrath) 505
- Brief (Martin Korenjak) 517
- Theologie und kirchliches Schrifttum (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 525
- Philosophie (Stefan Tilg) 545
- Naturwissenschaft (Martin Korenjak) 555
- Medizin (Lav Šubarić) 564
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne) 584
- Farbtafeln 593