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272 Das 16. Jh. bis zum Tod Erzherzog Ferdinands
II. von Tirol (1595)
Vorbilder und
Motive Der Schulmeister Dicastes („Richter“) jagt den aufmüpfigen Schüler Symmachus („Mit-
kämpfer“) fort und klagt über das Lehrerdasein. Symmachus verführt einen über das Schü-
lerleben jammernden Mitschüler dazu, es ihm gleichzutun und auf die Schule zu pfeifen.
Als Dicastes die beiden in die Kneipe ziehen sieht und sie stellt, nimmt Symmachus Reiß-
aus. Der Mitschüler liefert sich jedoch ein Wortgefecht mit dem Lehrer und verjagt diesen
schließlich mit gezogenem Degen. Inzwischen kommt eine Familie von Heiden aus Seleu-
kia an und dankt den Göttern für ihren Schutz. Der Vater Caesio (der „Hauer“) schärft
seinem Sohn Candidus (der „Reine“) ein, die Götter immer und überall zu ehren. Als Di-
castes an ihrem Haus vorbeikommt und Caesio herausfindet, dass er hier Schulmeister ist,
vertraut er ihm seinen Sohn zum Unterricht an. Nach seinen ersten Unterrichtsstunden ist
Candidus begeistert von der christlichen Katechese, die er erhalten hat. Er verwirft seine
alten Götter zugunsten des einen Gottes und Marias. Eine Gruppe von Juden beobachtet
Candidus’ gestenreiche Verzückung und versucht, ihn durch eine Reihe von Argumenten
von seinem neuen Glauben abzubringen (u.a. durch eine lange Aufzählung der wider-
sprüchlichen christlichen Gruppierungen). Sie lassen Candidus verwirrt zurück, doch eine
Schar von christlichen Allegorien – Evangelium, Genius sacer (entspricht hier in etwa ei-
nem Schutzengel) und Constantia („Beständigkeit“) – belehrt ihn mit Gegenargumenten
und zerstreut seine Zweifel. Caesio, der geschäftlich nach Seleukia gereist ist, kommt mit
einer bösen Vorahnung bezüglich seines Sohnes zurück. Als er ihn zu Hause zur Rede
stellt, eröffnet ihm Candidus seine Bekehrung und seine Liebe zur Jungfrau Maria. Caesio
ist so erzürnt darüber, dass er seinen Sohn kurzerhand in den brennenden Ofen wirft.
Dann rennt er zum Schulmeister, den er als Urheber des Übels der gleichen Strafe zufüh-
ren will. Candidus bittet im Ofen um den Beistand Marias. Diese erscheint in Begleitung
von vier Engeln, die ihr ein Preislied in sapphischen Strophen singen. Sie erhört Candidus
und rettet ihn unversehrt aus dem Ofen. Dieser will ihr dafür sein Leben weihen. Inzwi-
schen schleppt Caesio den Schulmeister aus seinem Haus, doch dessen Sklave rettet ihn
und wirft Caesio seinerseits in den Ofen. Candidus’ Mutter, die über den Verlust von
Mann und Sohn zugleich klagt, erfährt von der wundersamen Rettung ihres Sohnes. In der
letzten Szene bringt der Häretiker Antidicus („Gegenredner“) die Nachricht als unglaub-
würdiges Gerücht in die Hölle und verspottet Maria als virago Papistica („Papstheldenjung-
frau“) sowie als Frau überhaupt. Belial, der um die Wahrheit weiß, stört diese Erzählung
und als es ihm gar zu bunt wird, lässt er Antidicus von seinen Hilfsteufeln festnehmen und
abführen. Ein Epilog weist auf Marias Macht hin und ruft zu ihrer Verehrung auf.
Dieser Inhalt ist natürlich keine Paraphrase der Antiphon Sancta Maria in einem
engen Sinn. Die Gemeinsamkeit beschränkt sich letztlich auf die Verehrung Marias,
besonders als Helferin in der Not. Für die Szene ihres konkreten Eingreifens hat die
aus Dan 3 bekannte Erzählung von der Rettung der drei Freunde Daniels aus dem
Feuerofen König Nebukadnezars II. Pate gestanden. Die Betonung der Marienver-
TYROLIS LATINA
Geschichte der lateinischen Literatur in Tirol, Band 1
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- TYROLIS LATINA
- Untertitel
- Geschichte der lateinischen Literatur in Tirol
- Band
- 1
- Autoren
- Martin Korenjak
- Florian Schaffenrath
- Lav Šubarić
- Herausgeber
- Karlheinz Töchterle
- Ort
- Wien
- Datum
- 2012
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78868-3
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 602
- Schlagwörter
- Neo-Latin, Tyrol, History, Literature, Neu-Latein, Tirol, Literatur, Geschichte
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 9
- Epochenbild (Josef Riedmann) 21
- Überblick (Gabriela Kompatscher) 31
- Epochenbild (Lav Šubarić) 55
- Dichtung (Martin Korenjak) 66
- Rhetorik und Beredsamkeit (Martin Korenjak) 95
- Geschichtsschreibung (Josef Riedmann/Florian Schaffenrath) 105
- Biographie (Wolfgang Kofler) 123
- Brief (Christina Antenhofer/Lukas Oberrauch) 130
- Musik (Lukas Oberrauch) 143
- Kirchliches Schrifttum (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 147
- Philosophie (Stefan Tilg) 167
- Medizin und Naturwissenschaft (Lav Šubarić) 189
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne) 198
- Das 16. Jh. bis zum Tod Erzherzog Ferdinands II. von Tirol (1595) Epochenbild (Karlheinz Töchterle) 215
- Dichtung (Wolfgang Kofler/Martin Korenjak) 225
- Theater (Stefan Tilg) 266
- Beredsamkeit (Martin Korenjak) 282
- Geschichtsschreibung (Florian Schaffenrath) 307
- Brief (Martin Korenjak) 335
- Theologie (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 342
- Philosophie (Stefan Tilg) 349
- Naturwissenschaft (Lav Šubarić) 355
- Medizin (Lukas Oberrauch) 362
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne) 378
- Das 17. Jh. bis zum Aussterben der Tiroler Linie der Habsburger (1665) und zur Gründung der Universität (1669) Epochenbild (Stefan Tilg) 385
- Dichtung (Martin Korenjak) 397
- Theater (Stefan Tilg) 436
- Beredsamkeit (Martin Korenjak) 465
- Geschichtsschreibung (Lav Šubarić) 480
- Biographie (Florian Schaffenrath) 505
- Brief (Martin Korenjak) 517
- Theologie und kirchliches Schrifttum (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 525
- Philosophie (Stefan Tilg) 545
- Naturwissenschaft (Martin Korenjak) 555
- Medizin (Lav Šubarić) 564
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne) 584
- Farbtafeln 593