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274 Das 16. Jh. bis zum Tod Erzherzog Ferdinands
II. von Tirol (1595)
sakralgeschicht-
liche Stoffe ;
niederländische
Vorbilder jambischen Maßen eingeschaltet (Dimeter, katalektischer bzw. hyperkatalektischer
Trimeter, Hinkjambus, Tetrameter). Das Versmaß ist in diesen Fällen stets durch
eine Marginalie kenntlich gemacht, was auf eine bewusste metrische Gestaltung
schließen lässt.
Wie immer das Verhältnis dieses Stücks zu den jesuitischen Bildungsdramen be-
schaffen sein mag, es ist jedenfalls ein bemerkenswertes, wenn auch bisher weitge-
hend unbeachtetes Dokument für die Bedeutung des (lat.) Theaters unter Erzher-
zog Ferdinand II. von Tirol.
Bildungsdramen wie die oben besprochenen waren nur bis zum Ende des
16. Jhs. eine bedeutende Erscheinung auf der Jesuitenbühne. Eine für ihre wei-
tere Geschichte folgenreichere Entwicklung ist die Dramatisierung sakralgeschicht-
licher Sujets. Der erste Beleg dafür ist eine nur dem Titel nach bekannte, 1574
aufgeführte Comoedia de resurrectione Domini („Komödie über die Auferstehung
des Herrn“, wobei „Komödie“ hier im Einklang mit einem damals weit verbrei-
teten Sprachgebrauch nichts anderes als „Drama“ heißt). Das Leben eines Heili-
gen wurde erstmals 1587 in einer ebenfalls nicht näher bekannten Comoedia de
Divo Francisco („Komödie über den Hl. Franziskus“) auf die Bühne gebracht. Das
Märtyrerdrama wird 1576 mit einer Catharina eingeführt, das Bibeldrama 1583
mit einem Tobaeus. Die letztgenannten Dramen sind gleichzeitig Beispiele für die
in der Frühzeit der Innsbrucker Jesuitenbühne starke Vorbildwirkung niederländi-
scher Dramatiker. Wie auf vielen anderen Jesuitenbühnen wurde in Innsbruck als
allererstes Stück der Euripus (Valentin, Nr. 26 ; Ausgabe : Rädle 1979) des Löwe-
ner Franziskaners Lewin Brecht (1502/03–1560) gespielt. Dieses Drama inszeniert
das bei Mt 7,13–14 gegebene Gleichnis von den zwei Wegen, zwischen denen der
Mensch zu wählen hat, dem breiten Weg ins Verderben und dem schmalen Weg
zum Heil (Ausgabe bei Rädle 1979, 1–293 ; vgl. Valentin 1972b). Im Jahr darauf
folgte das Jedermann-Drama Hecastus (Valentin, Nr. 32 ; Ausgabe : Dammer/Jeßing
2007) von Georg Macropedius (1487–1558), einem der führenden niederländi-
schen Dramatiker seiner Zeit.5 Später wurden fremde Vorbilder mehr oder weniger
stark adaptiert, einerseits, um sie lokalen Bedürfnissen anzupassen, andererseits, um
einen gewissen literarischen Ehrgeiz zu befriedigen und daraus ein ‚neues‘ Stück zu
machen. Der erwähnte Tobaeus des in Innsbruck lehrenden Matthias Friccius (um
1550–1616 ; vgl. zu ihm Valentin 2,1050–1051) orientiert sich z.B. am Vorbild des
gleichnamigen, 1570 in Antwerpen erschienenen Stücks des „christlichen Terenz“
5 Vgl. Dammer/Jeßing 2007. Die Herausgeber stellen u.a. die Kontroverse dar, die dieses viele Ka-
tholiken ‚protestantisch‘ anmutende Stück auslöste (25–29). Die jesuitischen Aufführungen – vgl.
neben Innsbruck noch Wien (Valentin, Nr. 3) und Ingolstadt (Valentin, Nr. 8) – zeigen aber auch,
dass solche konfessionellen Probleme nicht immer so eng gesehen wurden.
TYROLIS LATINA
Geschichte der lateinischen Literatur in Tirol, Band 1
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- TYROLIS LATINA
- Untertitel
- Geschichte der lateinischen Literatur in Tirol
- Band
- 1
- Autoren
- Martin Korenjak
- Florian Schaffenrath
- Lav Šubarić
- Herausgeber
- Karlheinz Töchterle
- Ort
- Wien
- Datum
- 2012
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78868-3
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 602
- Schlagwörter
- Neo-Latin, Tyrol, History, Literature, Neu-Latein, Tirol, Literatur, Geschichte
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 9
- Epochenbild (Josef Riedmann) 21
- Überblick (Gabriela Kompatscher) 31
- Epochenbild (Lav Šubarić) 55
- Dichtung (Martin Korenjak) 66
- Rhetorik und Beredsamkeit (Martin Korenjak) 95
- Geschichtsschreibung (Josef Riedmann/Florian Schaffenrath) 105
- Biographie (Wolfgang Kofler) 123
- Brief (Christina Antenhofer/Lukas Oberrauch) 130
- Musik (Lukas Oberrauch) 143
- Kirchliches Schrifttum (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 147
- Philosophie (Stefan Tilg) 167
- Medizin und Naturwissenschaft (Lav Šubarić) 189
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne) 198
- Das 16. Jh. bis zum Tod Erzherzog Ferdinands II. von Tirol (1595) Epochenbild (Karlheinz Töchterle) 215
- Dichtung (Wolfgang Kofler/Martin Korenjak) 225
- Theater (Stefan Tilg) 266
- Beredsamkeit (Martin Korenjak) 282
- Geschichtsschreibung (Florian Schaffenrath) 307
- Brief (Martin Korenjak) 335
- Theologie (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 342
- Philosophie (Stefan Tilg) 349
- Naturwissenschaft (Lav Šubarić) 355
- Medizin (Lukas Oberrauch) 362
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne) 378
- Das 17. Jh. bis zum Aussterben der Tiroler Linie der Habsburger (1665) und zur Gründung der Universität (1669) Epochenbild (Stefan Tilg) 385
- Dichtung (Martin Korenjak) 397
- Theater (Stefan Tilg) 436
- Beredsamkeit (Martin Korenjak) 465
- Geschichtsschreibung (Lav Šubarić) 480
- Biographie (Florian Schaffenrath) 505
- Brief (Martin Korenjak) 517
- Theologie und kirchliches Schrifttum (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 525
- Philosophie (Stefan Tilg) 545
- Naturwissenschaft (Martin Korenjak) 555
- Medizin (Lav Šubarić) 564
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne) 584
- Farbtafeln 593