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276 Das 16. Jh. bis zum Tod Erzherzog Ferdinands
II. von Tirol (1595)
Stoff und Absicht
Katharinenlegende 1608), der dem Wunsch des Erzherzogs nach einem jesuitischen Erzieher für seine
Söhne nicht entsprach. Dies zusammen mit der folgenden üblen Nachrede hatte
ein regelrechtes Mobbing gegen die Jesuiten beim Innsbrucker Hof zur Folge :
Völck wurde seiner bisherigen Stellung als Beichtvater der Söhne Ferdinands ent-
hoben und durch einen Franziskaner ersetzt. Überhaupt wurde der Kontakt des
Hofes zu den Jesuiten tunlichst vermieden. Selbst der damalige Statthalter von Ti-
rol, Graf Schweikart von Helfenstein (1539–1591), musste wegen seiner Anhäng-
lichkeit an die Jesuiten resignieren und trat als Pfleger von Landsberg in bayerische
Dienste. Entscheidend für unser Theaterstück ist schließlich, dass Ferdinand, wohl
nicht zuletzt infolge der angedeuteten Verstimmungen, den Jesuiten auch ihr bis-
heriges Schullokal entzog. Bis dahin waren ihre Klassenzimmer in einem Trakt des
1553–1561 erbauten „Neuen Stifts“, des späteren Franziskanerklosters, eingerich-
tet. Das Stift wurde nun ganz den Franziskanern überlassen, die Jesuiten mussten
ihre Schulräume wohl oder übel in das eigene Kolleg im ehemaligen „Kaiserspital“
verlegen. Die nun folgenden Jahre und Jahrzehnte sind von beständigen Klagen
über die Raumnot im Kolleg und über das Fehlen eines eigenen Schulgebäudes
erfüllt.
Die Wahl des Stoffes für die vor dem Erzherzog gespielte Aufführung von 1576
war nun insofern geschickt, als mit der Figur Katharinas von Alexandria verhüllt
auf die Wichtigkeit der in jesuitischer Hand befindlichen höheren Bildung hin-
gewiesen und der Wunsch nach einem eigenen Schulgebäude artikuliert werden
konnte, ist doch die Katharinenlegende geradezu ein Exempel für die Wirkungs-
macht christlich-rhetorischer Bildung :
Katharina ist die schöne und hoch gebildete Tochter des Costus, des verstorbenen Königs
von Zypern. Sie wohnt, von einem Hofstaat umgeben, in Alexandria. Eines Tages hält der
Sohn des römischen Kaisers um ihre Hand an. Katharina lehnt aber mit der Begründung
ab, sie würde nur einen Bewerber akzeptieren, der ihr an Adel, Schönheit und Reichtum
gleichkäme. Ein Einsiedler weist sie im Folgenden auf Christus als den idealen Bräutigam
hin. In einer Traumvision sieht sie Maria mit dem Jesuskind und ist entzückt von diesem.
Das Jesuskind weist sie jedoch so lange zurück, bis sie sich taufen lässt. Darauf steckt
es ihr einen Verlobungsring an den Finger (dies ist die sogenannte „mystische Hochzeit“
mit Christus). Einige Zeit später befiehlt Kaiser Maxentius, dass die gesamte Bevölkerung
Alexandrias an einem Opferfest für die Götter teilnehmen müsse. Katharina tritt ihm ent-
gegen und wirft ihm seine Vielgötterei vor. Maxentius kämpft mit seinen Leidenschaf-
ten : Einerseits begehrt er Katharina wegen ihrer Schönheit, andererseits erkennt er in ihr
seine religionspolitische Feindin. Verwirrt von ihrer klugen Argumentation, lässt er fünfzig
Philosophen herbeirufen, die Katharina im Disput besiegen sollen. Doch wider Erwarten
unterliegen sie ihr. Katharina bekehrt sie zum Christentum. Der erzürnte Maxentius lässt
TYROLIS LATINA
Geschichte der lateinischen Literatur in Tirol, Band 1
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- TYROLIS LATINA
- Untertitel
- Geschichte der lateinischen Literatur in Tirol
- Band
- 1
- Autoren
- Martin Korenjak
- Florian Schaffenrath
- Lav Šubarić
- Herausgeber
- Karlheinz Töchterle
- Ort
- Wien
- Datum
- 2012
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78868-3
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 602
- Schlagwörter
- Neo-Latin, Tyrol, History, Literature, Neu-Latein, Tirol, Literatur, Geschichte
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 9
- Epochenbild (Josef Riedmann) 21
- Überblick (Gabriela Kompatscher) 31
- Epochenbild (Lav Šubarić) 55
- Dichtung (Martin Korenjak) 66
- Rhetorik und Beredsamkeit (Martin Korenjak) 95
- Geschichtsschreibung (Josef Riedmann/Florian Schaffenrath) 105
- Biographie (Wolfgang Kofler) 123
- Brief (Christina Antenhofer/Lukas Oberrauch) 130
- Musik (Lukas Oberrauch) 143
- Kirchliches Schrifttum (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 147
- Philosophie (Stefan Tilg) 167
- Medizin und Naturwissenschaft (Lav Šubarić) 189
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne) 198
- Das 16. Jh. bis zum Tod Erzherzog Ferdinands II. von Tirol (1595) Epochenbild (Karlheinz Töchterle) 215
- Dichtung (Wolfgang Kofler/Martin Korenjak) 225
- Theater (Stefan Tilg) 266
- Beredsamkeit (Martin Korenjak) 282
- Geschichtsschreibung (Florian Schaffenrath) 307
- Brief (Martin Korenjak) 335
- Theologie (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 342
- Philosophie (Stefan Tilg) 349
- Naturwissenschaft (Lav Šubarić) 355
- Medizin (Lukas Oberrauch) 362
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne) 378
- Das 17. Jh. bis zum Aussterben der Tiroler Linie der Habsburger (1665) und zur Gründung der Universität (1669) Epochenbild (Stefan Tilg) 385
- Dichtung (Martin Korenjak) 397
- Theater (Stefan Tilg) 436
- Beredsamkeit (Martin Korenjak) 465
- Geschichtsschreibung (Lav Šubarić) 480
- Biographie (Florian Schaffenrath) 505
- Brief (Martin Korenjak) 517
- Theologie und kirchliches Schrifttum (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 525
- Philosophie (Stefan Tilg) 545
- Naturwissenschaft (Martin Korenjak) 555
- Medizin (Lav Šubarić) 564
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne) 584
- Farbtafeln 593