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284 Das 16. Jh. bis zum Tod Erzherzog Ferdinands
II. von Tirol (1595)
Entstehungs- und
Druckgeschichte
Leichenrede mit einer Widmung an den Tarviser Bischof Giorgio Cornaro 1563 in Brescia ver-
öffentlicht, scheint verschollen, doch die andere, am gleichen Ort ein Jahr früher
bei Ludovicus Sabiensis publiziert, ist erhalten. Sie trägt den Titel […] oratio prot-
reptica in novatores ad patres concilii Tridentini […] („Anspornende Rede […] an
die Väter des Tridentinum gegen die Reformatoren […]“) und wurde, wie aus dem
ihr vorangehenden Widmungsbrief ([3]) hervorgeht, im Auftrag von Cristoforo
bzw. der gesamten Familie der Madruzzo zum Fest der Unschuldigen Kinder am
28. 12. 1561 vorgetragen. Gewidmet ist sie dem Augustinermönch, Bischof von
Coimbra, Beichtvater des Königs von Portugal und Grafen von Aragon Juan Suá-
rez. Da der Widmungsbrief schon vom 5. 1. 1562 datiert, muss die Drucklegung
von vornherein geplant gewesen sein.
Die zwölf – klein und eng bedruckte – Seiten starke Rede stellt nach einem einleitenden
Dank an Gott, der zur Bekämpfung der Reformationspest das Konzil ermöglicht habe
([4]), zunächst klar, auf welcher Seite im Streit zwischen Katholiken und Protestanten
das Recht steht. Grober Polemik gegen die Reformation (sie sei schlimmer als Häretiker,
römische Kaiser und Türken ; ihr Versuch, die Kirche zu erneuern, heiße das Rad neu er-
finden, und sie vertrete so absurde Thesen wie die antiken Philosophen) entspricht hierbei
der Versuch, mithilfe der Kirchengeschichte und unter Berufung auf die Kaiserkrönung
durch den Papst den Absolutheitsanspruch der römisch-katholischen Kirche zu rechtfer-
tigen ([5]–[9]). Im zweiten Hauptteil wendet der Redner sich dann protreptisch an sein
Publikum : Es solle die Kirche nach außen verteidigen und nach innen reformieren, wobei
v.a. von Kaiser Ferdinand, Philipp von Spanien, Venedig und den Madruzzo Hilfe zu er-
warten sei. Ein Goldenes Zeitalter werde der Lohn sein ([10]–[15]).
Die Rede ist klar disponiert und in stilsicherem Lat. gehalten, aber im Rahmen
der polemischen Rhetorik des Konfessionsstreits weder inhaltlich noch formal
besonders auffällig. Ihre Entstehungs- und Druckgeschichte zeigt einerseits, dass
Cristoforo als Gastgeber des Konzils versuchte, den illustren Gästen das kulturelle
Niveau und den Glaubenseifer seiner Untertanen zu demonstrieren, andererseits,
dass sich ein Trientner Arzt dabei Vorteile von Seiten eines mächtigen portugiesi-
schen Geistlichen versprechen konnte. Was er sich darunter genau vorstellte und ob
seine Rechnung aufgegangen ist, wissen wir leider nicht. Ein Beleg dafür, dass das
europäische Großereignis des Konzils mitunter auch die einheimische Bevölkerung
involvierte, ist sein Text aber allemal.
Eine Gattung, die in Tirol sowohl in dieser als auch in der folgenden Epoche
zu den produktivsten überhaupt gehört, ist die Leichenrede (oratio funebris). Sie
differenzierte sich ab dem späten 14. Jh. unter Rückgriff auf ihre antiken Wurzeln
wieder von der Leichenpredigt, in der sie zwischenzeitlich aufgegangen war, und
TYROLIS LATINA
Geschichte der lateinischen Literatur in Tirol, Band 1
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- TYROLIS LATINA
- Untertitel
- Geschichte der lateinischen Literatur in Tirol
- Band
- 1
- Autoren
- Martin Korenjak
- Florian Schaffenrath
- Lav Šubarić
- Herausgeber
- Karlheinz Töchterle
- Ort
- Wien
- Datum
- 2012
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78868-3
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 602
- Schlagwörter
- Neo-Latin, Tyrol, History, Literature, Neu-Latein, Tirol, Literatur, Geschichte
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 9
- Epochenbild (Josef Riedmann) 21
- Überblick (Gabriela Kompatscher) 31
- Epochenbild (Lav Šubarić) 55
- Dichtung (Martin Korenjak) 66
- Rhetorik und Beredsamkeit (Martin Korenjak) 95
- Geschichtsschreibung (Josef Riedmann/Florian Schaffenrath) 105
- Biographie (Wolfgang Kofler) 123
- Brief (Christina Antenhofer/Lukas Oberrauch) 130
- Musik (Lukas Oberrauch) 143
- Kirchliches Schrifttum (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 147
- Philosophie (Stefan Tilg) 167
- Medizin und Naturwissenschaft (Lav Šubarić) 189
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne) 198
- Das 16. Jh. bis zum Tod Erzherzog Ferdinands II. von Tirol (1595) Epochenbild (Karlheinz Töchterle) 215
- Dichtung (Wolfgang Kofler/Martin Korenjak) 225
- Theater (Stefan Tilg) 266
- Beredsamkeit (Martin Korenjak) 282
- Geschichtsschreibung (Florian Schaffenrath) 307
- Brief (Martin Korenjak) 335
- Theologie (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 342
- Philosophie (Stefan Tilg) 349
- Naturwissenschaft (Lav Šubarić) 355
- Medizin (Lukas Oberrauch) 362
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne) 378
- Das 17. Jh. bis zum Aussterben der Tiroler Linie der Habsburger (1665) und zur Gründung der Universität (1669) Epochenbild (Stefan Tilg) 385
- Dichtung (Martin Korenjak) 397
- Theater (Stefan Tilg) 436
- Beredsamkeit (Martin Korenjak) 465
- Geschichtsschreibung (Lav Šubarić) 480
- Biographie (Florian Schaffenrath) 505
- Brief (Martin Korenjak) 517
- Theologie und kirchliches Schrifttum (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 525
- Philosophie (Stefan Tilg) 545
- Naturwissenschaft (Martin Korenjak) 555
- Medizin (Lav Šubarić) 564
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne) 584
- Farbtafeln 593