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288 Das 16. Jh. bis zum Tod Erzherzog Ferdinands
II. von Tirol (1595)
Tradition der
Habsburger-
Gedenkrede
Roners Leserede
auf den Tod
Philippine Welsers foro Madruzzo, als er sich ebenfalls zuerst mit den Taten, dann mit den Tugenden
des Verstorbenen beschäftigt. Unter jenen wird allerdings nur sein Verdienst als
Vorkämpfer der Gegenreformation gewürdigt, in welcher Funktion er mit Scipio
Africanus minor, dem Zerstörer Karthagos, verglichen wird. Vielleicht reagiert der
Redner so mit unterschwelliger Polemik auf die bekannten protestantischen Nei-
gungen von Ferdinands Nachfolger Maximilian II. Im zweiten Trostteil schließlich
kommen (was in Ansätzen ebenfalls schon bei Cristoforo Madruzzo vorhanden war
und sich hier besonders anbietet) dynastische Gedanken zum Tragen : Der Fortbe-
stand des Hauses Habsburg scheint gesichert, da Ferdinand drei Söhne, unter ih-
nen seinen eben genannten Nachfolger, sowie neun (den Musen zu vergleichende)
Töchter hinterlässt. Auffällig, aber im Rahmen eines Gottesdienstes durchaus an-
gemessen ist es, dass die Rede mit einem Gebet für die Seele Ferdinands ausklingt.
Der Autor handhabt das überkommene Schema der oratio funebris souverän und
passt es geschickt dem konkreten Anlass an.
Lat. Gedenkreden für verstorbene Habsburger, wie die vorliegende eine dar-
stellt, wurden während mehrerer hundert Jahre in ganz Europa gehalten.6 In Tirol
finden sich etwa fünfzig Jahre später mit den beiden Reden Caspar Pansas auf
Maximilian
III. den Deutschmeister und Matthias zwei weitere Beispiele (vgl. hier
S. 473–476).
Ganz anderen Charakter als die bisher besprochenen orationes funebres hat eine
Rede Georg Roners, des Hofadvokaten Ferdinands II. (vgl. hier S. 249), auf den
Tod Philippine Welsers, der allseits beliebten ersten Frau seines Fürsten. Der Text
erschien 1582, eingeleitet von einem „Innsbruck, 1. 12. 1580“ datierten Wid-
mungsbrief an Philippines junge Söhne Andreas und Karl und gefolgt von einer
Reihe von Gedichten (vgl. hier S. 257), bei Valentin Schönigk in Augsburg. Schon
sein Umfang von sechzig Seiten macht es unwahrscheinlich, dass er jemals bei ei-
nem öffentlichen Anlass vorgetragen worden wäre. Dass der Autor im Widmungs-
brief berichtet, er habe es für seine Pflicht gehalten, „auf das Hinscheiden Eurer
Herrin Mutter eine Grabrede zu schreiben (conscribere)“ (Bl. Aiiv), und dass jegli-
cher Hinweis auf einen mündlichen Vortrag fehlt, bestätigt, dass es sich um eine
Leserede handelt. Auch die zeitliche Distanz zum traurigen Ereignis – Philippine
starb bereits am 24.4.15807 – passt zu der Annahme, dass der Text über seinen
Anlass hinaus wirken wollte und für ein weiteres Lesepublikum verfasst wurde.
Dementsprechend unterscheidet die Rede sich strukturell und inhaltlich stark von
den bisher besprochenen Leichenreden :
6 Bei Palme 1993, 176 wird etwa ein Löwener Beispiel aus dem Jahr 1765 besprochen.
7 Über die Umstände ihres Todes ist Roner nur aus zweiter Hand informiert (Bl. Hiiiiv).
TYROLIS LATINA
Geschichte der lateinischen Literatur in Tirol, Band 1
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- TYROLIS LATINA
- Untertitel
- Geschichte der lateinischen Literatur in Tirol
- Band
- 1
- Autoren
- Martin Korenjak
- Florian Schaffenrath
- Lav Šubarić
- Herausgeber
- Karlheinz Töchterle
- Ort
- Wien
- Datum
- 2012
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78868-3
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 602
- Schlagwörter
- Neo-Latin, Tyrol, History, Literature, Neu-Latein, Tirol, Literatur, Geschichte
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 9
- Epochenbild (Josef Riedmann) 21
- Überblick (Gabriela Kompatscher) 31
- Epochenbild (Lav Šubarić) 55
- Dichtung (Martin Korenjak) 66
- Rhetorik und Beredsamkeit (Martin Korenjak) 95
- Geschichtsschreibung (Josef Riedmann/Florian Schaffenrath) 105
- Biographie (Wolfgang Kofler) 123
- Brief (Christina Antenhofer/Lukas Oberrauch) 130
- Musik (Lukas Oberrauch) 143
- Kirchliches Schrifttum (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 147
- Philosophie (Stefan Tilg) 167
- Medizin und Naturwissenschaft (Lav Šubarić) 189
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne) 198
- Das 16. Jh. bis zum Tod Erzherzog Ferdinands II. von Tirol (1595) Epochenbild (Karlheinz Töchterle) 215
- Dichtung (Wolfgang Kofler/Martin Korenjak) 225
- Theater (Stefan Tilg) 266
- Beredsamkeit (Martin Korenjak) 282
- Geschichtsschreibung (Florian Schaffenrath) 307
- Brief (Martin Korenjak) 335
- Theologie (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 342
- Philosophie (Stefan Tilg) 349
- Naturwissenschaft (Lav Šubarić) 355
- Medizin (Lukas Oberrauch) 362
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne) 378
- Das 17. Jh. bis zum Aussterben der Tiroler Linie der Habsburger (1665) und zur Gründung der Universität (1669) Epochenbild (Stefan Tilg) 385
- Dichtung (Martin Korenjak) 397
- Theater (Stefan Tilg) 436
- Beredsamkeit (Martin Korenjak) 465
- Geschichtsschreibung (Lav Šubarić) 480
- Biographie (Florian Schaffenrath) 505
- Brief (Martin Korenjak) 517
- Theologie und kirchliches Schrifttum (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 525
- Philosophie (Stefan Tilg) 545
- Naturwissenschaft (Martin Korenjak) 555
- Medizin (Lav Šubarić) 564
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne) 584
- Farbtafeln 593