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Beredsamkeit 289
unklare Intention
Im Proömium (Bl. Aiiiiv–Biiv) geht Roner, indem er Ferdinand und seine Söhne an-
spricht, von der Zwiespältigkeit des Augenblicks aus : Einerseits sind die Erfolge von
Andreas und Karl (Kardinalswürde bzw. Herrschaftsantritt)8 erfreulich, andererseits
herrscht Trauer über Philippines Tod. Nach Anführung einiger Trostgründe kündigt
Roner an, er werde seine Rede in drei Teile gliedern : a) eine Diatribe gegen Reichtum
und Habsucht, b) Ausführungen über Kürze und Unsicherheit des Menschenlebens
und c) Bemerkungen zum christlichen Begräbnis, insbesondere zu demjenigen Philip-
pines. Nach Bescheidenheitstopik und einem kurzen Gebet beginnt a) (Bl. Biiv–Eiiir) :
Der Reichtum wird als mit der Hingabe an Gott unvereinbar gebrandmarkt und es
werden systematisch sechs seiner Nachteile aufgelistet (er zwingt zu einem Leben in
ständiger Sorge, die Frevel, die man zu seinem Erwerb begehen muss, führen zu ewi-
ger Verdammnis usw.), worauf eine kurze Binnenperoratio folgt. Danach rücken die
Sünde der Habgier und ihre Folgelaster ins Zentrum. Eines davon ist die Genuss-
sucht, die zum Gegenstand einer eigenen Diatribe wird. Der Redner kehrt zur Habgier
zurück und behandelt ihre verderblichen politischen und sozialen Folgen, wobei viel
Zeitkritik einfließt. In Entgegnung auf einen fiktiven Einwand wird präzisiert, nicht
der Reichtum an sich, nur sein falscher Gebrauch werde getadelt, was zu weiteren
Ausfällen gegen Habgierige und Wucherer führt, wogegen die Verächter des Reichtums
glücklich gepriesen werden. In Teil b) (Bl. Eiiir–Giiiv) wird nach einigen Überlegungen
zur Vergänglichkeit des Lebens seine Unsicherheit anhand der völligen Unkenntnis
bezüglich des eigenen Todes gezeigt : Man weiß weder wann, noch wo, noch durch
welche Ursache, noch wie gut oder schlecht man sterben wird. Weitere Bemerkungen
über Flüchtigkeit und Elend des Lebens führen zur Aufforderung, nicht am Diesseiti-
gen zu hängen und den Tod nicht für ein Übel zu halten. Das Schicksal im Jenseits ist
zwar unterschiedlich, aber sterben müssen alle. Gerade Philippine hätte der Tod zwar
eigentlich verschonen können, aber dennoch ist ihr Ende mit Fassung zu ertragen. c)
(Bl. Giiiv–Ir) beginnt mit der Feststellung, dass Trauer um einen Verstorbenen und
Sorge für sein Begräbnis menschlich und sinnvoll sind. Es folgen einige Lebensdaten
und eine Liste der Tugenden Philippines sowie eine Beschreibung ihres Todes und Be-
gräbnisses. Die Rede schließt mit einer Aufforderung, nicht allzusehr zu klagen, einer
Anrede an die beiden Söhne und einem kurzen Gebet9 um ein gutes Leben und einen
guten Tod (Bl. Irv).
Man sieht auf den ersten Blick, dass diejenigen Passagen, die direkt mit Philippine
Welser zu tun haben und sich im Rahmen der üblichen Leichenredentopik bewe-
8 Eine unklare Stelle. In Wirklichkeit erhielt Andreas die Kardinalswürde schon 1576 ; Karl besaß bis
1609, als er mit Burgau belehnt wurde, nichts als leere Titel (Palme 1998, 114).
9 Vgl. die zuvor besprochene Rede für Ferdinand I.
TYROLIS LATINA
Geschichte der lateinischen Literatur in Tirol, Band 1
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- TYROLIS LATINA
- Untertitel
- Geschichte der lateinischen Literatur in Tirol
- Band
- 1
- Autoren
- Martin Korenjak
- Florian Schaffenrath
- Lav Šubarić
- Herausgeber
- Karlheinz Töchterle
- Ort
- Wien
- Datum
- 2012
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78868-3
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 602
- Schlagwörter
- Neo-Latin, Tyrol, History, Literature, Neu-Latein, Tirol, Literatur, Geschichte
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 9
- Epochenbild (Josef Riedmann) 21
- Überblick (Gabriela Kompatscher) 31
- Epochenbild (Lav Šubarić) 55
- Dichtung (Martin Korenjak) 66
- Rhetorik und Beredsamkeit (Martin Korenjak) 95
- Geschichtsschreibung (Josef Riedmann/Florian Schaffenrath) 105
- Biographie (Wolfgang Kofler) 123
- Brief (Christina Antenhofer/Lukas Oberrauch) 130
- Musik (Lukas Oberrauch) 143
- Kirchliches Schrifttum (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 147
- Philosophie (Stefan Tilg) 167
- Medizin und Naturwissenschaft (Lav Šubarić) 189
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne) 198
- Das 16. Jh. bis zum Tod Erzherzog Ferdinands II. von Tirol (1595) Epochenbild (Karlheinz Töchterle) 215
- Dichtung (Wolfgang Kofler/Martin Korenjak) 225
- Theater (Stefan Tilg) 266
- Beredsamkeit (Martin Korenjak) 282
- Geschichtsschreibung (Florian Schaffenrath) 307
- Brief (Martin Korenjak) 335
- Theologie (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 342
- Philosophie (Stefan Tilg) 349
- Naturwissenschaft (Lav Šubarić) 355
- Medizin (Lukas Oberrauch) 362
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne) 378
- Das 17. Jh. bis zum Aussterben der Tiroler Linie der Habsburger (1665) und zur Gründung der Universität (1669) Epochenbild (Stefan Tilg) 385
- Dichtung (Martin Korenjak) 397
- Theater (Stefan Tilg) 436
- Beredsamkeit (Martin Korenjak) 465
- Geschichtsschreibung (Lav Šubarić) 480
- Biographie (Florian Schaffenrath) 505
- Brief (Martin Korenjak) 517
- Theologie und kirchliches Schrifttum (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 525
- Philosophie (Stefan Tilg) 545
- Naturwissenschaft (Martin Korenjak) 555
- Medizin (Lav Šubarić) 564
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne) 584
- Farbtafeln 593