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290 Das 16. Jh. bis zum Tod Erzherzog Ferdinands
II. von Tirol (1595)
Zitate und
Exempla
‚private‘ oratio
funebris gen, lediglich einen kleinen Teil der Rede ausmachen und sich fast nur an ihrem
Anfang und Schluss finden. Ein Eingehen auf Philippines Persönlichkeit ist nur
einmal festzustellen, nämlich auf Bl. Aiiiiv, wo vorausgesetzt wird, sie habe sich
mit „Klugheit, Milde und Pflichtbewusstsein“ an der Regierung Tirols beteiligt.
Wie schon bei Eufemia Madruzzo liefert auch im vorliegenden Fall der Tod einer
hochgestellten Frau dem Redner v.a einen Vorwand dafür, ganz andersartigen The-
men nachzugehen, in diesem Falle populärphilosophischen, gelegentlich pro- oder
apotreptisch formulierten Gedanken. Im Gegensatz zu Aliprandi bleibt bei Roner
jedoch unklar, welche Absicht hinter seiner Umfunktionierung der Leichenrede
steht. Seine Bitte an Andreas und Karl, ihn in den Kreis ihrer clientes (Bl. Aiiiv ;
„Protegés“) aufzunehmen, erklärt, zu welchem Zweck er die Rede überhaupt ver-
fasst hat, aber nicht, weshalb in dieser Form.
Roners Text ist zwar sprachlich und stilistisch nicht besonders glänzend, trägt
jedoch ein beachtliches Maß an Gelehrsamkeit in Form von Zitaten und Exempla
zur Schau : Die oft mit Stellenangabe angeführten Zitate reichen von der Literatur
der paganen Antike über AT und NT, Kirchenväter und mittelalterliche Theologen
bis hin zum Kirchenrecht und zu päpstlichen Enzykliken und treten mitunter so
zahlreich auf, dass der Text sich in Zitatketten auflöst. Zu den Bibelstellen tritt
häufig eine kurze Auslegung. Besonders gerne zitiert wird der Brief des Jakobus; Jak
4,13–15, wo jedes menschliche Planen unter den Vorbehalt des göttlichen Willens
gestellt wird, dient geradezu als Leitmotiv für den Abschnitt b). Von den Exempla,
mit denen Roner seine Ausführungen illustriert, weisen manche eine habsburgpane-
gyrische Tendenz auf, so beispielsweise die Geschichte von Maximilian I. und sei-
nem Sarkophag, den er in seinen letzten fünf Lebensjahren im Sinne eines Memento
mori überall mit sich geführt haben soll (Bl. Eiiiiv–Fr). Andere sind antiken oder
sogar islamischen Ursprungs ; gleich auf die eben genannte Geschichte folgt z.B.
eine über Sultan Saladin, der seinen Soldaten mithilfe des eigenen Leichenhemdes
die Vergänglichkeit alles Irdischen vor Augen führte (Bl. Frv). Die Tendenz dieser
Beispiele, sich zu kleinen Novellen auszuwachsen, illustriert vielleicht am schönsten
die auf Bl. Ciiiv erzählte Geschichte vom Wucherer als Wiedergänger. In solchen
Details erweist sich die Rede, die als Ganzes genommen Befremden auslösen kann,
als durchaus reizvoll.
Während an offiziösen Leichenreden für hochgestellte Persönlichkeiten kein
Mangel herrscht, hat sich nur eine ‚private‘ Rede, bei der die Verstorbene keine
herausragende Stellung einnimmt, aber dafür eine Angehörige des Redners ist,
hs. erhalten : die Oratio parentalis Thome T. Fati Trilaci Tridentini iuris utriusque
studiosi etc. in funus Magdalene matris optime10 („Totenrede des Tommaso T. Fatis
10 Dies der vermutlich authentische Titel direkt über der Rede. Der äußere Einband titelt etwas ab-
TYROLIS LATINA
Geschichte der lateinischen Literatur in Tirol, Band 1
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- TYROLIS LATINA
- Untertitel
- Geschichte der lateinischen Literatur in Tirol
- Band
- 1
- Autoren
- Martin Korenjak
- Florian Schaffenrath
- Lav Šubarić
- Herausgeber
- Karlheinz Töchterle
- Ort
- Wien
- Datum
- 2012
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78868-3
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 602
- Schlagwörter
- Neo-Latin, Tyrol, History, Literature, Neu-Latein, Tirol, Literatur, Geschichte
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 9
- Epochenbild (Josef Riedmann) 21
- Überblick (Gabriela Kompatscher) 31
- Epochenbild (Lav Šubarić) 55
- Dichtung (Martin Korenjak) 66
- Rhetorik und Beredsamkeit (Martin Korenjak) 95
- Geschichtsschreibung (Josef Riedmann/Florian Schaffenrath) 105
- Biographie (Wolfgang Kofler) 123
- Brief (Christina Antenhofer/Lukas Oberrauch) 130
- Musik (Lukas Oberrauch) 143
- Kirchliches Schrifttum (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 147
- Philosophie (Stefan Tilg) 167
- Medizin und Naturwissenschaft (Lav Šubarić) 189
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne) 198
- Das 16. Jh. bis zum Tod Erzherzog Ferdinands II. von Tirol (1595) Epochenbild (Karlheinz Töchterle) 215
- Dichtung (Wolfgang Kofler/Martin Korenjak) 225
- Theater (Stefan Tilg) 266
- Beredsamkeit (Martin Korenjak) 282
- Geschichtsschreibung (Florian Schaffenrath) 307
- Brief (Martin Korenjak) 335
- Theologie (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 342
- Philosophie (Stefan Tilg) 349
- Naturwissenschaft (Lav Šubarić) 355
- Medizin (Lukas Oberrauch) 362
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne) 378
- Das 17. Jh. bis zum Aussterben der Tiroler Linie der Habsburger (1665) und zur Gründung der Universität (1669) Epochenbild (Stefan Tilg) 385
- Dichtung (Martin Korenjak) 397
- Theater (Stefan Tilg) 436
- Beredsamkeit (Martin Korenjak) 465
- Geschichtsschreibung (Lav Šubarić) 480
- Biographie (Florian Schaffenrath) 505
- Brief (Martin Korenjak) 517
- Theologie und kirchliches Schrifttum (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 525
- Philosophie (Stefan Tilg) 545
- Naturwissenschaft (Martin Korenjak) 555
- Medizin (Lav Šubarić) 564
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne) 584
- Farbtafeln 593