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292 Das 16. Jh. bis zum Tod Erzherzog Ferdinands
II. von Tirol (1595)
blasses Bild
der Mutter
Gelehrsamkeit
Wertschätzung
und Überlieferung
Schulreden
Küfners
Oratiuncula
parenetica versucht, um seinem, wie es scheint, noch härter getroffenen Vater im Unglück
beizustehen, gewinnt geradezu heroische Statur.
Dass die Frau, deren Tod diese Gefühlsausbrüche hervorruft, als Person blass
bleibt und nur mit den üblichen Tugenden ausstaffiert wird, während wir über ihre
Herkunft und ihr Leben gar nichts erfahren (sogar ihr Name fällt erst gegen Ende
der Rede, Bl. F1v), erstaunt nach unseren bisherigen Erfahrungen mit Leichenreden
auf Frauen nicht mehr. Zumindest wird Magdalena de Fatis nicht so weit ins Ab-
seits gedrängt wie Eufemia Madruzzo und Philippine Welser.
Trotz seiner Ergriffenheit – oder vielmehr gerade um ihr angemessen Ausdruck
zu verleihen – gestaltet der Redner seinen Text nicht nur sprachlich sorgfältig, son-
dern stellt auch ein ungewöhnliches Maß an biblischer und v.a. klassischer Gelehr-
samkeit zur Schau. Insbesondere beruft er sich im Laufe seiner Ausführungen auf
eine Fülle von literarischen Klassikern, und zwar nicht nur auf lat. Autoren wie
Cicero, die Augusteer, Valerius Maximus und Ulpian, sondern auch auf griechische
wie Euripides, Theokrit und Plutarch und sogar auf ‚moderne‘ wie Baptista Man-
tuanus und Petrarca, der gar mit einem Zitat in Volgare (Bl. F3r : Triumphus Mortis
2,34–36) angeführt wird. (Ganz ohne Schnitzer geht es dabei allerdings nicht ab ; so
wird etwa aus Antimachos’ Geliebter Lyde eine Livia.) Ebenfalls zur Nobilitierung
der Rede gedacht sind vermutlich die mitunter einfließenden Verse, Vergilzitate (Bl.
B1v : Aen. 9,435–437) ebenso wie möglicherweise selbstgeschmiedete Hexameter
und Pentameter unbekannter Provenienz, etwa o amor o pietas, paucos mihi visa
per annos (Bl. A4v ; „Lieb’, ach, und Güte, die ich nur wenige Jahre gesehen“) oder
et sine fraude fides et sine labe pudor (Bl. B2v ; „Treue ohne Betrug, Keuschheit, die
Flecken nicht kennt“).
Insgesamt handelt es sich bei Tommaso de Fatis’ oratio funebris um einen nicht
alltäglichen, überdurchschnittlich aufwendig und wirkungsvoll gestalteten Text.
Dass von vielen vergleichbaren Reden des 16. Jhs., die es sicher gegeben hat, gerade
diese in einer ungewöhnlich sorgfältigen Abschrift (vgl. Abb. 39) auf uns gekom-
men ist, zeigt, dass man sie zumindest im Familienkreis der de Fatis auch als etwas
Besonderes zu schätzen und zu würdigen wusste.
Eine im 16. Jh. in Tirol neu auftretende Art von Reden sind wie schon eingangs
erwähnt Schulreden. Wir haben ein einzelnes Beispiel vom Beginn und eine Reihe
ganz andersartiger Texte vom Ende dieser Epoche erhalten.
An der Poetenschule, die sich im frühen 16. Jh. in Schwaz etablierte, war ein
begabter locatus tätig, d.h. ein fortgeschrittener Schüler, der bereits mithalf, jün-
gere Mitschüler zu unterrichten : der 1503 oder 1504 in Hall als Sohn begüterter
Eltern geborene, aber früh verwaiste Johannes Küfner, der schon im Jahr 1520 in
Augsburg eine – recht wirre – Rede zur Kaiserwahl Karls V. veröffentlicht hatte
(vgl. Abb. 40) und sich später als Arzt im süddeutschen und oberitalienischen
TYROLIS LATINA
Geschichte der lateinischen Literatur in Tirol, Band 1
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- TYROLIS LATINA
- Untertitel
- Geschichte der lateinischen Literatur in Tirol
- Band
- 1
- Autoren
- Martin Korenjak
- Florian Schaffenrath
- Lav Šubarić
- Herausgeber
- Karlheinz Töchterle
- Ort
- Wien
- Datum
- 2012
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78868-3
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 602
- Schlagwörter
- Neo-Latin, Tyrol, History, Literature, Neu-Latein, Tirol, Literatur, Geschichte
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 9
- Epochenbild (Josef Riedmann) 21
- Überblick (Gabriela Kompatscher) 31
- Epochenbild (Lav Šubarić) 55
- Dichtung (Martin Korenjak) 66
- Rhetorik und Beredsamkeit (Martin Korenjak) 95
- Geschichtsschreibung (Josef Riedmann/Florian Schaffenrath) 105
- Biographie (Wolfgang Kofler) 123
- Brief (Christina Antenhofer/Lukas Oberrauch) 130
- Musik (Lukas Oberrauch) 143
- Kirchliches Schrifttum (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 147
- Philosophie (Stefan Tilg) 167
- Medizin und Naturwissenschaft (Lav Šubarić) 189
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne) 198
- Das 16. Jh. bis zum Tod Erzherzog Ferdinands II. von Tirol (1595) Epochenbild (Karlheinz Töchterle) 215
- Dichtung (Wolfgang Kofler/Martin Korenjak) 225
- Theater (Stefan Tilg) 266
- Beredsamkeit (Martin Korenjak) 282
- Geschichtsschreibung (Florian Schaffenrath) 307
- Brief (Martin Korenjak) 335
- Theologie (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 342
- Philosophie (Stefan Tilg) 349
- Naturwissenschaft (Lav Šubarić) 355
- Medizin (Lukas Oberrauch) 362
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne) 378
- Das 17. Jh. bis zum Aussterben der Tiroler Linie der Habsburger (1665) und zur Gründung der Universität (1669) Epochenbild (Stefan Tilg) 385
- Dichtung (Martin Korenjak) 397
- Theater (Stefan Tilg) 436
- Beredsamkeit (Martin Korenjak) 465
- Geschichtsschreibung (Lav Šubarić) 480
- Biographie (Florian Schaffenrath) 505
- Brief (Martin Korenjak) 517
- Theologie und kirchliches Schrifttum (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 525
- Philosophie (Stefan Tilg) 545
- Naturwissenschaft (Martin Korenjak) 555
- Medizin (Lav Šubarić) 564
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne) 584
- Farbtafeln 593