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294 Das 16. Jh. bis zum Tod Erzherzog Ferdinands
II. von Tirol (1595)
Gattung und
Tendenz
frühhumanistische
Sprache seiner Gelehrsamkeit gezeichnet wird. Die eigentliche Oratiuncula (Kap. 5–17) ermahnt
die Hörer nach einer captatio benevolentiae, in welcher der Redner sie unter Berufung auf
seine Jugend um Nachsicht bittet, zu Gottesverehrung, Tugend, richtigem Verhalten den
Mitmenschen gegenüber, Kampf gegen das Laster und Mäßigkeit in allen Dingen und
schließt mit einer Bezugnahme auf die Vortragssituation beim gemeinsamen Mahl und
einer erneuten Bitte um Nachsicht. Der Gedankengang ist dabei mitunter so sprunghaft,
dass er sich nur schwer nachvollziehen lässt. Zusätzlich aufgelockert wird der Text durch
einen gelehrten Exkurs zu den verschiedenen Lebensaltern (Kap. 12) sowie durch eine
Reihe poetischer Zitate z.T. unklarer Herkunft (so wird z.B. in Kap. 7 ein sonst unbekann-
ter Ps.-Vergil zitiert).
Küfner selbst charakterisiert seine Rede im Titel als „ermahnend“ und ordnet sie
so der beratenden Beredsamkeit zu ; die Bezeichnung als progymnasmatica ora-
tiuncula (Kap. 17 ; „kleine Übungsrede“), stellt sie zugleich in die Tradition der
progymnasmata, des antiken Kanons rhetorischer Schulübungen, der auch in der
Renaissance im Unterricht eingesetzt wurde (Czapla 2005), auch wenn so ausge-
dehnte Reden dort eigentlich noch keinen Platz finden. Die inhaltliche Ausrich-
tung des Textes, der sich insgesamt als Mahnung zu einem gottgefälligen Leben
charakterisieren lässt, entspricht den Bildungszielen der Schwazer Poetenschule,
die in erster Linie der Ausbildung des geistlichen Nachwuchses diente. Der Rek-
tor der Schule könnte sich von ihrer Publikation deshalb auch einen gewissen
Werbeeffekt erhofft haben.
Die Sprache des Textes trägt in Syntax und Lexik noch deutlich frühhumanisti-
sche Züge. Es finden sich zahlreiche unklassische Syntagmen wie dum otio indul-
gerent (statt indulgent ; Kap. 8 ; „während sie sich dem Müßiggang hingeben“) und
Vokabeln wie orbitacio (Kap. 7 ; „Pfad [?]“), eine sonst nicht belegte Weiterbildung
von orbita („Spur“). Paart sich dies mit einem des Öfteren spürbaren Streben nach
Stilhöhe, so entstehen Verbindungen wie Samia rariloquentia (Kap. 9 ; „Samische
Seltensprechung“ – gemeint ist eine Schweigsamkeit, wie sie der aus Samos stam-
mende Pythagoras von seinen Jüngern verlangte). Manchmal wird auf diese Weise
die Verständlichkeit des Textes ernsthaft beeinträchtigt : Wenn Küfner von den Ju-
gendlichen verlangt : Neve ad pomerianam (ut dicam) domum seu ad Venusinas[?]13
edes prostantia verba umquam vomant (Kap. 9 ; „Sie sollen auch nie bei einem sozu-
sagen stadtgrenzennahen Haus oder bei venerischen[?] Gebäuden sich feilbietende
Wörter ausspeien“), so lässt einen nur mehr die Marginalie Abhorrendum a turpibus
dictu („Man soll vor obszönen Ausdrücken zurückschrecken“) erraten, was gemeint
ist. Insgesamt zeigt der Text, dass das Niveau des ‚autochthonen‘ Tiroler Humanis-
13 Der Druck hat venusmas.
TYROLIS LATINA
Geschichte der lateinischen Literatur in Tirol, Band 1
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- TYROLIS LATINA
- Untertitel
- Geschichte der lateinischen Literatur in Tirol
- Band
- 1
- Autoren
- Martin Korenjak
- Florian Schaffenrath
- Lav Šubarić
- Herausgeber
- Karlheinz Töchterle
- Ort
- Wien
- Datum
- 2012
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78868-3
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 602
- Schlagwörter
- Neo-Latin, Tyrol, History, Literature, Neu-Latein, Tirol, Literatur, Geschichte
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 9
- Epochenbild (Josef Riedmann) 21
- Überblick (Gabriela Kompatscher) 31
- Epochenbild (Lav Šubarić) 55
- Dichtung (Martin Korenjak) 66
- Rhetorik und Beredsamkeit (Martin Korenjak) 95
- Geschichtsschreibung (Josef Riedmann/Florian Schaffenrath) 105
- Biographie (Wolfgang Kofler) 123
- Brief (Christina Antenhofer/Lukas Oberrauch) 130
- Musik (Lukas Oberrauch) 143
- Kirchliches Schrifttum (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 147
- Philosophie (Stefan Tilg) 167
- Medizin und Naturwissenschaft (Lav Šubarić) 189
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne) 198
- Das 16. Jh. bis zum Tod Erzherzog Ferdinands II. von Tirol (1595) Epochenbild (Karlheinz Töchterle) 215
- Dichtung (Wolfgang Kofler/Martin Korenjak) 225
- Theater (Stefan Tilg) 266
- Beredsamkeit (Martin Korenjak) 282
- Geschichtsschreibung (Florian Schaffenrath) 307
- Brief (Martin Korenjak) 335
- Theologie (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 342
- Philosophie (Stefan Tilg) 349
- Naturwissenschaft (Lav Šubarić) 355
- Medizin (Lukas Oberrauch) 362
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne) 378
- Das 17. Jh. bis zum Aussterben der Tiroler Linie der Habsburger (1665) und zur Gründung der Universität (1669) Epochenbild (Stefan Tilg) 385
- Dichtung (Martin Korenjak) 397
- Theater (Stefan Tilg) 436
- Beredsamkeit (Martin Korenjak) 465
- Geschichtsschreibung (Lav Šubarić) 480
- Biographie (Florian Schaffenrath) 505
- Brief (Martin Korenjak) 517
- Theologie und kirchliches Schrifttum (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 525
- Philosophie (Stefan Tilg) 545
- Naturwissenschaft (Martin Korenjak) 555
- Medizin (Lav Šubarić) 564
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne) 584
- Farbtafeln 593