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Beredsamkeit 305
literarische
Qualitäten
zeitgenössische
Beispiele
ten Sinne essayistischer Art bezeichnen, die in inhaltlicher Hinsicht irgendwie an
die genannten Genera anknüpften. In diesem Sinne kann etwa Erasmus sein Lob
der Torheit im einleitenden Brief an Thomas Morus eine declamatiunculam nennen
(vgl. Sandstede 1994, v.a. 489–492 ; Rädle 2004, 835 Anm. 3). Geizkofler greift mit
seiner Darstellung des Gelehrtenlebens ein in zeitgenössischen Schulreden wie den
eben besprochenen Scholastica Oenipontana häufig behandeltes Thema auf, nämlich
das Lob der Wissenschaft und die Aufforderung zu fleißigem Studium, modifiziert
es aber entscheidend : An die Stelle der Ehrungen, die den Jugendlichen in solchen
Schulreden in Aussicht gestellt werden, treten Mühsal und Gefahren, und die pro-
treptische Intention wird geradezu in ihr Gegenteil verkehrt : Erst nach langer und
gründlicher Überlegung, so Geizkofler, soll man sich für oder gegen ein Studium
entscheiden – und nach der Lektüre von De miseriis dürfte diese Entscheidung wohl
öfter negativ als positiv ausfallen. Gleichzeitig hat der Text, wieder in Parallele zu
Reden wie denen der Innsbrucker Jesuiten, nicht nur der lernbegierigen Jugend,
sondern auch der Gesellschaft als Ganzes etwas zu sagen : Geizkofler möchte ihre
Einstellung zu den Gelehrten, die ja für einen großen Teil von deren miseriae ver-
antwortlich ist, korrigieren.
Dass Geizkoflers eigene Studienjahre nicht verschwendet waren, davon legt De
miseriis eindrucksvoll Zeugnis ab. Der jugendliche Autor schreibt ein schönes, ele-
gant periodisierendes und angenehm zu lesendes Lat., wobei er lexikalische Moder-
nismen nicht scheut und sich manche Freiheiten im Modusgebrauch leistet. Auch
mit der essayistischen Form geht er souverän um : Obwohl der dritte Hauptteil
ein Sammelsurium darstellt und manches aus früheren Teilen wiederholt, ist der
Text im Ganzen klar strukturiert und bietet dem Leser seinen vielfältigen Inhalt
in übersichtlicher Form dar, ohne je in Pedanterie oder Langeweile abzugleiten.
Gleichzeitig belegt er (trotz tendenziöser Überzeichnungen und einiger innerer Wi-
dersprüche – der behaupteten allgemeinen Armut der Studenten widersprechen
z.B. die Raubmorde an reichen Studenten) seine schon im Titel angekündigte These
in überzeugender Weise.
Dazu, dass De miseriis sowohl fesselt als auch überzeugt, trägt nicht zuletzt die
Wahl des Beweismaterials bei, das der Autor präsentiert : Geizkofler verzichtet weit-
gehend auf den üblichen gelehrten historisch-mythologischen Apparat und illust-
riert seine Ansichten stattdessen mit zahlreichen zeitgenössischen Beispielen, die
einen beträchtlichen Teil der Darstellung einnehmen und plastisch, kunstvoll und
detailfreudig geschildert werden. So soll sich in Paris etwa Folgendes zugetragen
haben (Bl. 351v) :
Ac eadem […] etiam artocopum quendam Parisiensem inflammavit, ut suae uxoris auxilio
adiutus convictorem suum Polonum scholarem sumptuosum eiusque puerum iugularet. Quod
TYROLIS LATINA
Geschichte der lateinischen Literatur in Tirol, Band 1
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- TYROLIS LATINA
- Untertitel
- Geschichte der lateinischen Literatur in Tirol
- Band
- 1
- Autoren
- Martin Korenjak
- Florian Schaffenrath
- Lav Šubarić
- Herausgeber
- Karlheinz Töchterle
- Ort
- Wien
- Datum
- 2012
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78868-3
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 602
- Schlagwörter
- Neo-Latin, Tyrol, History, Literature, Neu-Latein, Tirol, Literatur, Geschichte
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 9
- Epochenbild (Josef Riedmann) 21
- Überblick (Gabriela Kompatscher) 31
- Epochenbild (Lav Šubarić) 55
- Dichtung (Martin Korenjak) 66
- Rhetorik und Beredsamkeit (Martin Korenjak) 95
- Geschichtsschreibung (Josef Riedmann/Florian Schaffenrath) 105
- Biographie (Wolfgang Kofler) 123
- Brief (Christina Antenhofer/Lukas Oberrauch) 130
- Musik (Lukas Oberrauch) 143
- Kirchliches Schrifttum (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 147
- Philosophie (Stefan Tilg) 167
- Medizin und Naturwissenschaft (Lav Šubarić) 189
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne) 198
- Das 16. Jh. bis zum Tod Erzherzog Ferdinands II. von Tirol (1595) Epochenbild (Karlheinz Töchterle) 215
- Dichtung (Wolfgang Kofler/Martin Korenjak) 225
- Theater (Stefan Tilg) 266
- Beredsamkeit (Martin Korenjak) 282
- Geschichtsschreibung (Florian Schaffenrath) 307
- Brief (Martin Korenjak) 335
- Theologie (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 342
- Philosophie (Stefan Tilg) 349
- Naturwissenschaft (Lav Šubarić) 355
- Medizin (Lukas Oberrauch) 362
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne) 378
- Das 17. Jh. bis zum Aussterben der Tiroler Linie der Habsburger (1665) und zur Gründung der Universität (1669) Epochenbild (Stefan Tilg) 385
- Dichtung (Martin Korenjak) 397
- Theater (Stefan Tilg) 436
- Beredsamkeit (Martin Korenjak) 465
- Geschichtsschreibung (Lav Šubarić) 480
- Biographie (Florian Schaffenrath) 505
- Brief (Martin Korenjak) 517
- Theologie und kirchliches Schrifttum (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 525
- Philosophie (Stefan Tilg) 545
- Naturwissenschaft (Martin Korenjak) 555
- Medizin (Lav Šubarić) 564
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne) 584
- Farbtafeln 593