Seite - 340 - in TYROLIS LATINA - Geschichte der lateinischen Literatur in Tirol, Band 1
Bild der Seite - 340 -
Text der Seite - 340 -
340 Das 16. Jh. bis zum Tod Erzherzog Ferdinands
II. von Tirol (1595)
dem Titelblatt vier Distichen aus seiner eigenen Feder vorangehen. Dafür erfahren
wir aus den nächsten vier Briefen (22. 5. 1541, Nr. 1172 ; 21. 5. 1542, Nr. 1240 ;
19. 8. 1542, Nr. 1254 ; 13. 8. 1544, Nr. 1355), dass Vadian ihm stattdessen einige
seiner theologischen Schriften, insbesondere zwei Traktate über den Leib Christi,
die auch für das Verständnis des Abendmahls relevant sind, verspricht und schickt.
Die Dankbarkeit, ja Begeisterung, mit der Reinald sie aufnimmt, erweist ihn als
heimlichen Anhänger der Reformation. Als solcher zeigt er sich auch in seinen sons-
tigen Äußerungen über Bücher : In Nr. 1172 bittet er Vadian um die Interpretation
einer schwierigen Stelle aus Thomas Naogeorgus’ Reformationsdrama Pammachius
(Wittenberg 1538 u.ö.), das er offenbar besitzt. In Nr. 1240 lobt er die Schriften
des lutherischen Theologen Johannes Brenz. In Nr. 1254 möchte er Vadian eine Hs.
mit Briefen von Petrus de Vinea, dem antipäpstlichen Pamphletisten Friedrichs
II.,
übersenden, die er in Hall gefunden hat (allerdings nicht, ohne als guter Humanist
den stilus barbarus et inconcinnus, den „barbarischen und unharmonischen Stil“,
jener Zeit zu beklagen). Reinald spricht mit dem Reformator auch offen über Miss-
stände in der katholischen Kirche, so etwa, wenn er in Nr. 1172 über das freizügige
Liebesleben der Haller Augustinerinnen scherzt, denen er als Spiritual zugeteilt ist.
In Nr. 1240 stellt er Vadian eine brisante Frage, die zugleich klar macht, welch
hohe Autorität in kirchlichen Dingen dieser für ihn darstellt : Können Geheim-
ehen „papistischer“, d.h. katholischer Priester (sacerdotum papisticorum), die aber
schriftgläubig sind, d.h. insgeheim mit der Reformation sympathisieren (qui tamen
scripturis fiderent), als gültig erachtet werden ? Für die zahlreichen reformatorisch
gesinnten Haller Kleriker war dies offenbar ein Problem von praktischer Relevanz ;
Reinald legt es Vadian, wie er schreibt, deshalb vor, weil Kollegen ihn in dieser
Angelegenheit um Rat gebeten haben. Wie bedrückend er seine eigene Situation als
Kryptoreformierter in katholischem Gebiet empfindet, zeigt schließlich am deut-
lichsten ein Ausschnitt aus seinem letzten Brief, Nr. 1355 :
Gratia deo, qui iussit etiam in his rigidis montibus nostris e tenebris lucem illucescere, quae
luxit in cordibus multorum. Sumus quidem adhuc corpore in captivitate Babylonica. Videmus
abominationem adhuc a multis coli ; manifestatur tamen interim tum impietas, tum iniustitia
hominum illorum, qui veritatem adhuc in iniustitia detinuerunt, quos tu etiam in tuis libellis
sole clarius detegisti. Itaque ubique impii in circuitu ambulant, ut David ait. Sic et nos Ni-
codemos agere adhuc oportet et noctu Christum convenire, ne Pharisaeorum furor alienos nos a
synagogis faciat.
Dank sei Gott, der auch in diesen unseren schroffen Bergen das Licht leuchten lässt, das
schon in vieler Herzen aufgeleuchtet ist. Freilich sind wir mit dem Körper noch in der
Babylonischen Gefangenschaft. Wir sehen, dass noch von vielen Götzendienst getrieben
TYROLIS LATINA
Geschichte der lateinischen Literatur in Tirol, Band 1
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- TYROLIS LATINA
- Untertitel
- Geschichte der lateinischen Literatur in Tirol
- Band
- 1
- Autoren
- Martin Korenjak
- Florian Schaffenrath
- Lav Šubarić
- Herausgeber
- Karlheinz Töchterle
- Ort
- Wien
- Datum
- 2012
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78868-3
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 602
- Schlagwörter
- Neo-Latin, Tyrol, History, Literature, Neu-Latein, Tirol, Literatur, Geschichte
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 9
- Epochenbild (Josef Riedmann) 21
- Überblick (Gabriela Kompatscher) 31
- Epochenbild (Lav Šubarić) 55
- Dichtung (Martin Korenjak) 66
- Rhetorik und Beredsamkeit (Martin Korenjak) 95
- Geschichtsschreibung (Josef Riedmann/Florian Schaffenrath) 105
- Biographie (Wolfgang Kofler) 123
- Brief (Christina Antenhofer/Lukas Oberrauch) 130
- Musik (Lukas Oberrauch) 143
- Kirchliches Schrifttum (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 147
- Philosophie (Stefan Tilg) 167
- Medizin und Naturwissenschaft (Lav Šubarić) 189
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne) 198
- Das 16. Jh. bis zum Tod Erzherzog Ferdinands II. von Tirol (1595) Epochenbild (Karlheinz Töchterle) 215
- Dichtung (Wolfgang Kofler/Martin Korenjak) 225
- Theater (Stefan Tilg) 266
- Beredsamkeit (Martin Korenjak) 282
- Geschichtsschreibung (Florian Schaffenrath) 307
- Brief (Martin Korenjak) 335
- Theologie (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 342
- Philosophie (Stefan Tilg) 349
- Naturwissenschaft (Lav Šubarić) 355
- Medizin (Lukas Oberrauch) 362
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne) 378
- Das 17. Jh. bis zum Aussterben der Tiroler Linie der Habsburger (1665) und zur Gründung der Universität (1669) Epochenbild (Stefan Tilg) 385
- Dichtung (Martin Korenjak) 397
- Theater (Stefan Tilg) 436
- Beredsamkeit (Martin Korenjak) 465
- Geschichtsschreibung (Lav Šubarić) 480
- Biographie (Florian Schaffenrath) 505
- Brief (Martin Korenjak) 517
- Theologie und kirchliches Schrifttum (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 525
- Philosophie (Stefan Tilg) 545
- Naturwissenschaft (Martin Korenjak) 555
- Medizin (Lav Šubarić) 564
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne) 584
- Farbtafeln 593