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344 Das 16. Jh. bis zum Tod Erzherzog Ferdinands
II. von Tirol (1595)
Kindertaufe die in mehreren synonymen Varianten umschrieben wird : vitium genitale (Bl. 13r),
morbus genitalis (Bl. 9r), morbus hereditarius (Bl. 13r), peccatum originale (Bl. 13v,
17v), peccatum omnium (Bl. 35r). Weiters wird die Parallele betont, die zwischen
der christlichen Taufe und der bei den Juden üblichen Praxis der Beschneidung als
Zeichen des Eintritts in den Bund mit Gott bestehe. Von tief gehendem Verständ-
nis des Sakraments zeugt die Einsicht, dass es auf einem Irrtum beruhe, wenn die
Erbsünde, wie das oft geschehe, als Schuld bezeichnet werde : Mit der Befreiung
von ihr werde nur die einer jeden individuellen Schuld vorausgehende Schuldver-
fallenheit beseitigt (vgl. LThK 3, 744–747). Der Mensch könne so ins Leben als
Christ eintreten, erhalte die Voraussetzungen, als solcher zu wirken, und damit die
Möglichkeit des Heils und die Aussicht auf das ewige Leben. Einprägsam sind das
Bild einer Wiedergeburt im Geist nach der fleischlichen Geburt sowie die Vorstel-
lung eines durch die Taufe bewirkten Übergangs vom Irdischen zum Himmlischen.
Im Folgenden ist der Hinweis hervorzuheben, die Taufe bewirke nicht prinzipielle
Freiheit von Sünde und künftiger Verantwortung, sondern ermögliche nur das Ver-
stehen des Gesetzes, dessen Befolgung die erwünschten Heilswirkungen habe. Des
Weiteren setzt sich Dick mit der Bedeutung des Wassers auseinander, dessen Kraft
er durch Hinweise auf Stellen aus der Schrift unterstreicht, in denen von Gewässern
bzw. Brunnen die Rede ist. Das Wasser allein genüge als Zeichen jedoch nicht, es
bedürfe der Verbindung mit der bekannten Formel : „Ich taufe dich im Namen des
Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes.“
Sein Plädoyer für die Kindertaufe bereitet Dick vor, indem er betont, die bisher
diskutierten Aspekte seien letztlich Glaubensgeheimnisse, denen man mit dem Ver-
stand nicht näher komme. Er grenzt sich von Menschen ab, die sich nur auf den
Intellekt stützten – ihre Haltung wird mit den Begriffen supercilium/superciliosus
(Bl. 11r, 17r, 21v, 25r, 28r, 41r ; „Hochmut“/„hochmütig“) und frivolus (Bl. 11r, 25v ;
„anmaßend“) beschrieben –, und erklärt die simplicitas columbina (Bl. 14v, 24v ;
„Einfalt einer Taube“) zur ersten Voraussetzung, um das Geheimnis Christi zu er-
fassen. Einfalt und Lauterkeit seien aber wie die Unschuld Eigenschaften, die bei
Kindern deutlicher hervorträten als bei Erwachsenen ; in jenen wirke die göttliche
Gnade daher umso stärker. Das sei so evident, dass der Mensch – auch mit Blick
auf Bibelworte wie „Wenn ihr nicht umkehrt und wie die Kinder werdet, könnt
ihr nicht in das Himmelreich kommen“ (Mk 18,3) oder „Lasst die Kinder zu mir
kommen, hindert sie nicht daran“ (Mk 10,15 ; Lk 18,16–17) – überhaupt einen
Prozess der repuerascentia (Bl. 23r ; „Wieder-zum-Kind-Werden“) anstreben solle.
Auch der in der Schrift vielfach belegten Liebe Christi zu Kindern widmet Dick
breiten Raum. Die Kindertaufe entspreche dem Wesen des Taufsakraments schließ-
lich auch insofern, als es dessen Zweck sei, den Glauben allmählich wachsen zu
lassen (vgl. Sattler 1996, 1449), ein Prozess, der möglichst früh einsetzen müsse.
TYROLIS LATINA
Geschichte der lateinischen Literatur in Tirol, Band 1
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- TYROLIS LATINA
- Untertitel
- Geschichte der lateinischen Literatur in Tirol
- Band
- 1
- Autoren
- Martin Korenjak
- Florian Schaffenrath
- Lav Šubarić
- Herausgeber
- Karlheinz Töchterle
- Ort
- Wien
- Datum
- 2012
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78868-3
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 602
- Schlagwörter
- Neo-Latin, Tyrol, History, Literature, Neu-Latein, Tirol, Literatur, Geschichte
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 9
- Epochenbild (Josef Riedmann) 21
- Überblick (Gabriela Kompatscher) 31
- Epochenbild (Lav Šubarić) 55
- Dichtung (Martin Korenjak) 66
- Rhetorik und Beredsamkeit (Martin Korenjak) 95
- Geschichtsschreibung (Josef Riedmann/Florian Schaffenrath) 105
- Biographie (Wolfgang Kofler) 123
- Brief (Christina Antenhofer/Lukas Oberrauch) 130
- Musik (Lukas Oberrauch) 143
- Kirchliches Schrifttum (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 147
- Philosophie (Stefan Tilg) 167
- Medizin und Naturwissenschaft (Lav Šubarić) 189
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne) 198
- Das 16. Jh. bis zum Tod Erzherzog Ferdinands II. von Tirol (1595) Epochenbild (Karlheinz Töchterle) 215
- Dichtung (Wolfgang Kofler/Martin Korenjak) 225
- Theater (Stefan Tilg) 266
- Beredsamkeit (Martin Korenjak) 282
- Geschichtsschreibung (Florian Schaffenrath) 307
- Brief (Martin Korenjak) 335
- Theologie (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 342
- Philosophie (Stefan Tilg) 349
- Naturwissenschaft (Lav Šubarić) 355
- Medizin (Lukas Oberrauch) 362
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne) 378
- Das 17. Jh. bis zum Aussterben der Tiroler Linie der Habsburger (1665) und zur Gründung der Universität (1669) Epochenbild (Stefan Tilg) 385
- Dichtung (Martin Korenjak) 397
- Theater (Stefan Tilg) 436
- Beredsamkeit (Martin Korenjak) 465
- Geschichtsschreibung (Lav Šubarić) 480
- Biographie (Florian Schaffenrath) 505
- Brief (Martin Korenjak) 517
- Theologie und kirchliches Schrifttum (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 525
- Philosophie (Stefan Tilg) 545
- Naturwissenschaft (Martin Korenjak) 555
- Medizin (Lav Šubarić) 564
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne) 584
- Farbtafeln 593