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Theologie 347
theologische
Inhalte
Luthers
Bibel verständnis
Luthers Charakter
tismus bzw. an dessen Vertretern. Im Folgenden seien einige Schwerpunkte seiner
Darlegungen etwas näher betrachtet.
Zunächst lassen sich theologische Inhalte im engeren Sinn ausmachen : Luthers
Konzept vom Primat des Glaubens ablehnend, plädiert Flasch für die traditionelle
Werkgerechtigkeit, außerdem für so genuin katholische Elemente wie die Vereh-
rung der Gottesmutter, der Heiligen und Reliquien, den Opfercharakter der Messe
und die besondere Bedeutung des geistlichen Standes (z.B. causae 11, 22). Zumal
beim erstgenannten Thema führt die auf Polarisierung angelegte Darstellung dazu,
dass Möglichkeiten der Verständigung zwischen Luthers Rechtfertigungslehre und
der katholischen Gnadenlehre, über die heute breiter Konsens herrscht (Kantzen-
bach 1972, 83–84 ; Schwarz 1998, 107–112), übersehen werden.
Was den Umgang mit der Heiligen Schrift betrifft, so wirft Flasch Luther und
seinen Anhängern vor, sie nähmen das sola scriptura-Prinzip zum Vorwand für eine
unseriöse, vereinfachende Arbeitsweise : Einzig von eigenen Axiomen ausgehend,
setzten sie sich nur mit den in ihr Konzept passenden Stellen auseinander und un-
terschlügen andere, was in vielen Fragen ein Abweichen von der Intention der Bibel
zur Folge habe. Dasselbe gelte für ihr Verhältnis zu den Kirchenvätern (causae 4–7,
12). Diese Deutung beruht auf einer aus heutiger Sicht verfehlten Einschätzung der
Arbeitsweise Martin Luthers, der nicht nur einen ausgeprägten Hang zur Selbst-
kritik hatte (Lohse 1981, 108), sondern zumal bei der Übersetzung der Bibel auch
äußerste Sorgfalt an den Tag legte und laufend Korrekturen vornahm bzw. von qua-
lifizierten Mitarbeitern vornehmen ließ. Studien zu seiner Übersetzungstechnik he-
ben zwar Selbständigkeit und schöpferischen Geist hervor, erkennen jedoch keine
Umdeutungen seinen eigenen Intentionen zuliebe ; es wird ihm bescheinigt, er habe
philologisches und theologisches Textverständnis vereint und einen breiten Fundus
an Quellen herangezogen (Lohse 1981, 117, 123–125 ; Schwarz 1998, 137–138).
Die den Lutheranern unterstellte Haltung der Anmaßung und Intoleranz hängt
laut Flasch wesentlich mit dem Charakter Luthers zusammen, der nur das eigene
Maß gekannt habe und deshalb gegen seine Gegner mit unangemessener Schärfe
vorgegangen sei. Selbst mit Glaubensschwierigkeiten kämpfend, sei er eher durch
Neid als durch echte Anliegen zum Schreiben veranlasst worden (causae 2, 10). Mit
diesen Bemerkungen greift der Konvertit, wenn auch in unsachlicher Weise, ein
Thema auf, das in der jüngeren Forschung durchaus ernst genommen wird : Aus
theologisch-kirchengeschichtlicher Perspektive werden die Glaubenskrisen des Re-
formators – aus denen dieser nie ein Hehl gemacht hat –, v.a. seine Frage nach der
Würdigkeit des Menschen vor Gott, als Anfechtungen gedeutet, mit denen er im
ausgehenden Mittelalter keineswegs allein stand. Versuche, das Phänomen Luther
aus psychiatrischer Sicht zu erfassen, haben zur Diagnose einer depressiven Ver-
anlagung oder sogar einer Angstneurose geführt. Solche Probleme mögen Luthers
TYROLIS LATINA
Geschichte der lateinischen Literatur in Tirol, Band 1
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- TYROLIS LATINA
- Untertitel
- Geschichte der lateinischen Literatur in Tirol
- Band
- 1
- Autoren
- Martin Korenjak
- Florian Schaffenrath
- Lav Šubarić
- Herausgeber
- Karlheinz Töchterle
- Ort
- Wien
- Datum
- 2012
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78868-3
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 602
- Schlagwörter
- Neo-Latin, Tyrol, History, Literature, Neu-Latein, Tirol, Literatur, Geschichte
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 9
- Epochenbild (Josef Riedmann) 21
- Überblick (Gabriela Kompatscher) 31
- Epochenbild (Lav Šubarić) 55
- Dichtung (Martin Korenjak) 66
- Rhetorik und Beredsamkeit (Martin Korenjak) 95
- Geschichtsschreibung (Josef Riedmann/Florian Schaffenrath) 105
- Biographie (Wolfgang Kofler) 123
- Brief (Christina Antenhofer/Lukas Oberrauch) 130
- Musik (Lukas Oberrauch) 143
- Kirchliches Schrifttum (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 147
- Philosophie (Stefan Tilg) 167
- Medizin und Naturwissenschaft (Lav Šubarić) 189
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne) 198
- Das 16. Jh. bis zum Tod Erzherzog Ferdinands II. von Tirol (1595) Epochenbild (Karlheinz Töchterle) 215
- Dichtung (Wolfgang Kofler/Martin Korenjak) 225
- Theater (Stefan Tilg) 266
- Beredsamkeit (Martin Korenjak) 282
- Geschichtsschreibung (Florian Schaffenrath) 307
- Brief (Martin Korenjak) 335
- Theologie (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 342
- Philosophie (Stefan Tilg) 349
- Naturwissenschaft (Lav Šubarić) 355
- Medizin (Lukas Oberrauch) 362
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne) 378
- Das 17. Jh. bis zum Aussterben der Tiroler Linie der Habsburger (1665) und zur Gründung der Universität (1669) Epochenbild (Stefan Tilg) 385
- Dichtung (Martin Korenjak) 397
- Theater (Stefan Tilg) 436
- Beredsamkeit (Martin Korenjak) 465
- Geschichtsschreibung (Lav Šubarić) 480
- Biographie (Florian Schaffenrath) 505
- Brief (Martin Korenjak) 517
- Theologie und kirchliches Schrifttum (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 525
- Philosophie (Stefan Tilg) 545
- Naturwissenschaft (Martin Korenjak) 555
- Medizin (Lav Šubarić) 564
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne) 584
- Farbtafeln 593