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366 Das 16. Jh. bis zum Tod Erzherzog Ferdinands
II. von Tirol (1595)
Anekdoten spezifischen Charakteristika der Krankengeschichte in der Renaissancezeit (Burg
1990, 49 ; Müller 1999, 94). Der karge und trockene sprachliche Duktus legt die
Vermutung nahe, dass das Werk kaum für ein breiteres Publikum gedacht war, son-
dern eher als Informationssammlung für einen restringierten Kreis von Fachleuten,
wenn nicht gar ausschließlich für den Eigengebrauch. Dafür spricht nicht zuletzt
die Tatsache, dass das Diarium nie gedruckt wurde. Auffallend ist auch der unein-
heitliche Gebrauch der Sprache. Immer wieder wechselt der Verfasser ins Deutsche,
oftmals auch mitten im Satz. Diese bisweilen befremdliche Praxis ist bei Handsch
nichts Ungewöhnliches (Rudel 1925, 74) und scheint einem gewissen Prinzip zu
folgen. So fällt auf, dass Patienten bei der Beschreibung ihres Gesundheitszustandes
häufig in ihrer (deutschen) Muttersprache zitiert werden, vermutlich deshalb, weil
der Verfasser größtmögliche Genauigkeit bei der Wiedergabe der für Diagnose und
Therapie wichtigen Aussagen erzielen und Ungenauigkeiten bzw. Missverständnis-
sen, die durch eine Übersetzung ins Lat. hätten entstehen können, vorbeugen wollte.
Besonders erwähnenswert sind zahlreiche Anekdoten, die Handsch immer wie-
der in seine Aufzeichnungen einfließen lässt und die meist vollkommen losgelöst
vom wissenschaftlichen Zusammenhang sind. Zusätzlich wurden sie durch hori-
zontale Linien optisch vom Rest des Textes getrennt. Auf die Besonderheit, dass
im Diarium wie auch in anderen Werken Handschs das Hauptaugenmerk häufig
weniger auf den eigentlichen Krankengeschichten als vielmehr auf Kuriositäten
liegt, hat bereits Wolkan 1925, 124–133 hingewiesen. Viele der Anekdoten sind
Beschreibungen einfacher physikalischer Experimente, die damals durchaus Erstau-
nen hervorrufen konnten. So findet sich etwa die Beschreibung eines Versuchs, dem
die Oberflächenspannung von Wasser zugrunde liegt : Si in poculum aqua plenum
iniiciatur catena aurea, non effluet aqua, sed in margine attoletur quasi in cumulum.
(Bl. 57r ; „Wenn man in einen Becher, der randvoll mit Wasser gefüllt ist, eine gol-
dene Kette gibt, wird das Wasser nicht ausfließen, sondern sich an den Rändern
aufstauen und eine Art Hügel bilden“). Andernorts trifft man auch auf Witziges
(Bl. 30v) :
Cuidam in ludo magnae balae, proiectus [sic] fuit ea pila in oculum, qui excussus cecidit in
terram ; ille subito reposuit eum, et vidit tam bene ut antea. Fuit vitreus oculus.
Beim Spiel mit dem großen Ball bekam jemand den Ball ins Auge, das heraussprang und
zu Boden fiel. Er setzte es sofort wieder an seinen Platz und sah damit so gut wie vorher –
das Auge war nämlich aus Glas.
Handsch beschränkt sich aber nicht nur darauf, seine eigenen Kenntnisse und Er-
zählungen wiederzugeben ; auch hier führt er die oben angesprochene Gewohnheit,
TYROLIS LATINA
Geschichte der lateinischen Literatur in Tirol, Band 1
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- TYROLIS LATINA
- Untertitel
- Geschichte der lateinischen Literatur in Tirol
- Band
- 1
- Autoren
- Martin Korenjak
- Florian Schaffenrath
- Lav Šubarić
- Herausgeber
- Karlheinz Töchterle
- Ort
- Wien
- Datum
- 2012
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78868-3
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 602
- Schlagwörter
- Neo-Latin, Tyrol, History, Literature, Neu-Latein, Tirol, Literatur, Geschichte
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 9
- Epochenbild (Josef Riedmann) 21
- Überblick (Gabriela Kompatscher) 31
- Epochenbild (Lav Šubarić) 55
- Dichtung (Martin Korenjak) 66
- Rhetorik und Beredsamkeit (Martin Korenjak) 95
- Geschichtsschreibung (Josef Riedmann/Florian Schaffenrath) 105
- Biographie (Wolfgang Kofler) 123
- Brief (Christina Antenhofer/Lukas Oberrauch) 130
- Musik (Lukas Oberrauch) 143
- Kirchliches Schrifttum (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 147
- Philosophie (Stefan Tilg) 167
- Medizin und Naturwissenschaft (Lav Šubarić) 189
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne) 198
- Das 16. Jh. bis zum Tod Erzherzog Ferdinands II. von Tirol (1595) Epochenbild (Karlheinz Töchterle) 215
- Dichtung (Wolfgang Kofler/Martin Korenjak) 225
- Theater (Stefan Tilg) 266
- Beredsamkeit (Martin Korenjak) 282
- Geschichtsschreibung (Florian Schaffenrath) 307
- Brief (Martin Korenjak) 335
- Theologie (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 342
- Philosophie (Stefan Tilg) 349
- Naturwissenschaft (Lav Šubarić) 355
- Medizin (Lukas Oberrauch) 362
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne) 378
- Das 17. Jh. bis zum Aussterben der Tiroler Linie der Habsburger (1665) und zur Gründung der Universität (1669) Epochenbild (Stefan Tilg) 385
- Dichtung (Martin Korenjak) 397
- Theater (Stefan Tilg) 436
- Beredsamkeit (Martin Korenjak) 465
- Geschichtsschreibung (Lav Šubarić) 480
- Biographie (Florian Schaffenrath) 505
- Brief (Martin Korenjak) 517
- Theologie und kirchliches Schrifttum (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 525
- Philosophie (Stefan Tilg) 545
- Naturwissenschaft (Martin Korenjak) 555
- Medizin (Lav Šubarić) 564
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne) 584
- Farbtafeln 593