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Theater 451
Scharl, Misologus
resipiscens
neue Linie der Habsburger große Hoffnungen knüpften. Beiden gemeinsam ist,
dass sie ihre implizite Huldigung an den Landesfürsten in lustiger Form vorbringen
und damit den üblicherweise gravitätischen Ton der Panegyrik brechen.
Noch im Jahr der Hochzeit von Leopold V. und Claudia de’ Medici wurde bei
einem späteren Besuch des erzherzoglichen Paares in Hall Scharls Misologus resipis-
cens („Der wieder zur Vernunft kommende Lernscheu“) gespielt.13 Wahrscheinlich
handelt es sich um die reguläre Herbstaufführung, da in einem Anhang noch der
Text der distributio praemiorum, der Preisverleihung an die besten Schüler, über-
liefert ist. Der Misologus resipiscens ist eine Komödie in der langen Tradition der
Schulspiele, die den Unterrichtsbetrieb selbst thematisieren (vgl. hier S.
269–270).
Wie bei der Caecilia folgen auch hier dem Spieltext Noten für die gesangliche
Darbietung, allerdings in einem bescheideneren Ausmaß : Auf sechs Seiten wird
– wieder in stimmenspezifischen Schlüsseln – ein Lied der Musen in sapphischen
Strophen notiert. Nach einem an Erzherzogin und Erzherzog gerichteten Prolog,
in dem sich der Prologsprecher für die Niedrigkeit des Themas entschuldigt, wird
in drei Akten ohne strenge Handlungsführung ein komisches Genrebild vom
Schülerleben gezeichnet.
1. Akt : Die negative Hauptfigur Misologus („Lernscheu“) erklärt sein Prinzip, auf die
Schule zu pfeifen und stattdessen den Vergnügungen des Lebens nachzugehen. Damit
macht er sich eine Schar von Anhängern. Als Kontrast dazu wird der fleißige und fromme
Philomusus („Musenliebhaber“) eingeführt, dem sich ebenfalls einige Schüler anschließen.
Der Bauer Menalcas, der für die Züchtigung von Schülern Ruten schneidet, trifft auf das
Grüppchen um Misologus und lässt sich seine Ruten abnehmen. Er fühlt sich als dummer
Mensch, da mit seinen Ruten zwar Magister und Doktoren gemacht würden, er selbst aber
davon nicht gescheiter werde. Auf das Angebot der faulen Schüler, ihn mitsamt seinem
Sohn alsbald zum Doktor zu machen, geht er deshalb freudig ein – das Motiv erinnert
an die sokratische Ausbildung, welche der Bauer Strepsiades und sein Sohn Pheidippi-
des in den Wolken des Aristophanes erfahren. Philomusus findet inzwischen die richtige
Auflösung für das Buchstabenrätsel, das ein Mitschüler von seinem Vater bekommen hat :
P.A.O.U.E. steht für Pietas ad omnia utilis est („Frömmigkeit ist für alles gut“ : der Wahl-
spruch Erzherzog Leopolds
V. nach 1 Tim 4,8).
2. Akt : Misologus und seine Anhänger treiben es immer bunter. Der Grammatikleh-
rer Priscian wurde von den bösen Schülern eingekerkert und muss nun (ungrammatisch
formulierten) Spott und Schläge über sich ergehen lassen. Misologus soll über ihn richten.
13 Für diese Aufführung gibt es keine Belege in den bisherigen Verzeichnissen von Jesuitendramen.
Die in dem beigefügten syllabus actorum angegebenen Tiroler Herkunftsorte der Schüler-Schauspie-
ler erweisen aber die Haller Provenienz des Stücks.
TYROLIS LATINA
Geschichte der lateinischen Literatur in Tirol, Band 1
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- TYROLIS LATINA
- Untertitel
- Geschichte der lateinischen Literatur in Tirol
- Band
- 1
- Autoren
- Martin Korenjak
- Florian Schaffenrath
- Lav Šubarić
- Herausgeber
- Karlheinz Töchterle
- Ort
- Wien
- Datum
- 2012
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78868-3
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 602
- Schlagwörter
- Neo-Latin, Tyrol, History, Literature, Neu-Latein, Tirol, Literatur, Geschichte
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 9
- Epochenbild (Josef Riedmann) 21
- Überblick (Gabriela Kompatscher) 31
- Epochenbild (Lav Šubarić) 55
- Dichtung (Martin Korenjak) 66
- Rhetorik und Beredsamkeit (Martin Korenjak) 95
- Geschichtsschreibung (Josef Riedmann/Florian Schaffenrath) 105
- Biographie (Wolfgang Kofler) 123
- Brief (Christina Antenhofer/Lukas Oberrauch) 130
- Musik (Lukas Oberrauch) 143
- Kirchliches Schrifttum (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 147
- Philosophie (Stefan Tilg) 167
- Medizin und Naturwissenschaft (Lav Šubarić) 189
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne) 198
- Das 16. Jh. bis zum Tod Erzherzog Ferdinands II. von Tirol (1595) Epochenbild (Karlheinz Töchterle) 215
- Dichtung (Wolfgang Kofler/Martin Korenjak) 225
- Theater (Stefan Tilg) 266
- Beredsamkeit (Martin Korenjak) 282
- Geschichtsschreibung (Florian Schaffenrath) 307
- Brief (Martin Korenjak) 335
- Theologie (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 342
- Philosophie (Stefan Tilg) 349
- Naturwissenschaft (Lav Šubarić) 355
- Medizin (Lukas Oberrauch) 362
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne) 378
- Das 17. Jh. bis zum Aussterben der Tiroler Linie der Habsburger (1665) und zur Gründung der Universität (1669) Epochenbild (Stefan Tilg) 385
- Dichtung (Martin Korenjak) 397
- Theater (Stefan Tilg) 436
- Beredsamkeit (Martin Korenjak) 465
- Geschichtsschreibung (Lav Šubarić) 480
- Biographie (Florian Schaffenrath) 505
- Brief (Martin Korenjak) 517
- Theologie und kirchliches Schrifttum (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 525
- Philosophie (Stefan Tilg) 545
- Naturwissenschaft (Martin Korenjak) 555
- Medizin (Lav Šubarić) 564
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne) 584
- Farbtafeln 593