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Beredsamkeit 469
Sprachspiele
seiner Rede keinen Hinweis darauf, dass er eine spezielle Klientel vertritt. Vielmehr
entsprechen die vier möglichen Gesichtspunkte, unter deen man laut Guarinonius
den freudigen Anlass behandeln kann – die Kardinalswürde an sich, die hinter der
Wahl stehende treibende Kraft, nämlich Carlos Tugend, der Verleiher der Würde,
nämlich der Papst, und der Würdenträger, nämlich Carlo, und allgemeiner die drei
Kardinäle aus dem Hause Madruzzo (Bl. A2v–A3r) – sachlich recht genau den drei
Hauptthemen Inamas. Allerdings erklärt Guarinonius gleich im Anschluss an diese
Aufzählung, nur die Kardinalswürde und die drei Madruzzo-Kardinäle behandeln
zu wollen. Dementsprechend ist seine Rede kĂĽrzer und zugleich dichter als die
Inamas. Was den ersten der zwei eben genannten Punkte betrifft, verzichtet der
Redner auf gelehrte Deduktionen und kommt schnell zu folgender Einschätzung :
Vergleicht und parallelisiert man geistliche und weltliche WĂĽrden, so entspricht
die Kardinalswürde als zweithöchster Rang nach dem Pontifikat der Königswürde
als zweithöchstem Rang nach dem Kaisertum, wobei man noch bedenken muss,
dass die geistliche Hierarchie insgesamt höher steht als die weltliche (Bl. A3rv). Das
zweite Thema (Bl. A4r–B4r) gibt Guarinonius Gelegenheit, wiederum ein helles
Licht auf die Familie Madruzzo zu werfen, wobei er sich allerdings wieder stärker
konzentriert als Inama und nur Cristoforo, Lodovico und Carlo erwähnt. Auch
das Verhältnis zwischen Carlo und seinen Untertanen kommt wie bei jenem zur
Sprache (Bl. B3v–B4r). Der thematische Vergleich zwischen den beiden Ansprachen
zeigt, wie beschränkt das sich aus dem Zusammenspiel von rhetorischer Tradition
und konkretem Anlass ergebende thematische Material fĂĽr einen Panegyriker sein
konnte. Wenn er nicht ein Ausnahmetalent auf dem Gebiet der inventio („Themen-
findung“) war, lagen seine hauptsächlichen Wahlmöglichkeiten diesbezüglich in der
Selektion und Anordnung der einzelnen sich ihm gleichsam von selbst aufdrängen-
den Punkte sowie in ihrer knapperen oder ausfĂĽhrlicheren Behandlung.
Während Guarinonius in inhaltlicher und dispositorischer Hinsicht nur solides
Handwerk bietet, ist ein anderer Aspekt seiner Rede durchaus bemerkenswert und
macht sie streckenweise zu einer vergnüglichen Lektüre, nämlich sein spielerischer
Umgang mit der Sprache. So sind etwa Guarinonius’ Etymologien viel phantasie-
voller als diejenigen Inamas : Cardinalis wird z.B. als cardineus ales (Bl. A3v ; „Vogel
von eminenter Bedeutung“), d.h. als eine Art Engel auf Erden erklärt. Im Falle des
Namens Tridentum (Trient) werden zunächst ältere Ableitungen, etwa vom tridens
(„Dreizack“) Neptuns, zurückgewiesen, dann präsentiert Guarinonius seine eigene
Herleitung von trinum ornamentum (Bl. B3v–B4r ; „dreifacher Schmuck“, gemeint
sind die drei Kardinäle). Auch die namenssymbolischen Ausdeutungen von Caro-
lus, die belegen sollen, dass die Vorsehung den zu Feiernden zu GroĂźem bestimmt
hat, können als kreativ gelten : Werden z.B. die einzelnen Silben rückwärts gelesen,
so ergibt das AC-OR-SU-L, was sich als AbkĂĽrzung fĂĽr Accendet Orbem Summo
TYROLIS LATINA
Geschichte der lateinischen Literatur in Tirol, Band 1
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- TYROLIS LATINA
- Untertitel
- Geschichte der lateinischen Literatur in Tirol
- Band
- 1
- Autoren
- Martin Korenjak
- Florian Schaffenrath
- Lav Šubarić
- Herausgeber
- Karlheinz Töchterle
- Ort
- Wien
- Datum
- 2012
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78868-3
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 602
- Schlagwörter
- Neo-Latin, Tyrol, History, Literature, Neu-Latein, Tirol, Literatur, Geschichte
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 9
- Epochenbild (Josef Riedmann) 21
- Ăśberblick (Gabriela Kompatscher) 31
- Epochenbild (Lav Šubarić) 55
- Dichtung (Martin Korenjak) 66
- Rhetorik und Beredsamkeit (Martin Korenjak) 95
- Geschichtsschreibung (Josef Riedmann/Florian Schaffenrath) 105
- Biographie (Wolfgang Kofler) 123
- Brief (Christina Antenhofer/Lukas Oberrauch) 130
- Musik (Lukas Oberrauch) 143
- Kirchliches Schrifttum (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 147
- Philosophie (Stefan Tilg) 167
- Medizin und Naturwissenschaft (Lav Šubarić) 189
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne) 198
- Das 16. Jh. bis zum Tod Erzherzog Ferdinands II. von Tirol (1595) Epochenbild (Karlheinz Töchterle) 215
- Dichtung (Wolfgang Kofler/Martin Korenjak) 225
- Theater (Stefan Tilg) 266
- Beredsamkeit (Martin Korenjak) 282
- Geschichtsschreibung (Florian Schaffenrath) 307
- Brief (Martin Korenjak) 335
- Theologie (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 342
- Philosophie (Stefan Tilg) 349
- Naturwissenschaft (Lav Šubarić) 355
- Medizin (Lukas Oberrauch) 362
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne) 378
- Das 17. Jh. bis zum Aussterben der Tiroler Linie der Habsburger (1665) und zur Gründung der Universität (1669) Epochenbild (Stefan Tilg) 385
- Dichtung (Martin Korenjak) 397
- Theater (Stefan Tilg) 436
- Beredsamkeit (Martin Korenjak) 465
- Geschichtsschreibung (Lav Šubarić) 480
- Biographie (Florian Schaffenrath) 505
- Brief (Martin Korenjak) 517
- Theologie und kirchliches Schrifttum (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 525
- Philosophie (Stefan Tilg) 545
- Naturwissenschaft (Martin Korenjak) 555
- Medizin (Lav Šubarić) 564
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne) 584
- Farbtafeln 593