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476 Das 17. Jh. bis zum Aussterben der Tiroler Linie der Habsburger (1665) und zur Gründung der Universität (1669)
Übungsreden von
Jesuitenschülern zugleich die Funktion von Widmungsbriefen : Die Werke werden in ihnen je-
weils noch lebenden Angehörigen des Hauses Habsburg dediziert, nämlich Kaiser
Matthias und den Erzherzögen Ferdinand, Leopold und Karl bzw. Kaiser Ferdi-
nand II. und den Erzherzögen Albrecht, Leopold und Karl. Den Habsburgern
sollte auf diese Weise die Treue und Anhänglichkeit Tirols vor Augen geführt wer-
den, womit im Falle der Rede für Maximilian sicher auch der Wunsch verbunden
war, möglichst bald wieder einen Regenten zu bekommen und nicht wieder wie
nach dem Tod Ferdinands II. 1595 ein mehrjähriges Interregnum durchmachen
zu müssen.
Die Schulrede ist in dieser Epoche durch eine einzelne Rede und ein größeres
Corpus aus dem Innsbrucker Jesuitengymnasium repräsentiert. Im Gegensatz zu
den Reden aus den Scholastica Oenipontana (vgl. hier S. 295–303) handelt es sich
bei diesen Texten nicht um von Lehrern komponierte Festreden, sondern, ähnlich
wie bei Küfners Oratiuncula (vgl. hier S. 292–295), um Übungen, die Schüler der
Rhetorikklasse im Rahmen des regulären Unterrichtsbetriebs verfassten und vortru-
gen. Die Studienordnung der Jesuiten machte es jedem Rhetorikschüler zur Pflicht,
pro Monat mindestens eine Rede zu verfassen, und sah verschiedene Gelegenheiten
vor, diese vor der eigenen Klasse oder einer größeren Hörerschaft aus Lehrern und
Schülern zu halten. Auch rhetorische Wettkämpfe wurden veranstaltet, wobei die
Modalitäten (Rede und Gegenrede vor einem Schiedsrichter, anschließend Urteils-
verkündung durch diesen) ungefähr denen des Wettstreits aus den Scholastica (vgl.
hier S. 298–299) entsprachen.9 Diese schulinternen Übungstexte sind in der Regel
von geringerer Qualität als die für ein weiteres Publikum bestimmten Ansprachen zu
schulischen und kirchlichen Feiern. Wie diese lassen sie sich in erster Linie dem pan-
egyrischen Genos zuordnen (auch wenn dieses bei den Wettkämpfen einen gewissen
gerichtlichen Einschlag erhält), wobei die meisten der zu lobenden oder allenfalls zu
tadelnden Gegenstände in diesem Fall weltlicher Art sind. Die Reden ähneln den-
jenigen aus den Scholastica auch in ihren häufigen Zitaten aus antiken Gewährsleu-
ten, welche „das gelehrte Wissen“ der jungen Autoren, ein wichtiges Unterrichtsziel
(Duhr 1896, 243), belegen sollen, mit dem einen Unterschied, dass hier öfter die in
der Poesie- und der Rhetorikklasse intensiv gelesenen klassischen Dichter zitiert wer-
den. In ihrer Gesamtheit bieten die Übungsreden eine schülerzentrierte, alltagsnahe
Ergänzung zu den Festreden der vorangegangenen Epoche und tragen so zu einem
umfassenderen Bild des jesuitischen Rhetorikunterrichts bei.
unbekannten P.M. (26), bei Matthias sechs vierzeilige Epigramme auf dessen Herrschaftsinsignien
und ein Ellogium (35–40).
9 Vgl. die einleitenden Notizen zu den gleich zu besprechenden Wettkampfreden aus dem Corpus des
Andreas Castner ([79], [84]). Im Allgemeinen s. Duhr 1896, 243–249.
TYROLIS LATINA
Geschichte der lateinischen Literatur in Tirol, Band 1
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- TYROLIS LATINA
- Untertitel
- Geschichte der lateinischen Literatur in Tirol
- Band
- 1
- Autoren
- Martin Korenjak
- Florian Schaffenrath
- Lav Šubarić
- Herausgeber
- Karlheinz Töchterle
- Ort
- Wien
- Datum
- 2012
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78868-3
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 602
- Schlagwörter
- Neo-Latin, Tyrol, History, Literature, Neu-Latein, Tirol, Literatur, Geschichte
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 9
- Epochenbild (Josef Riedmann) 21
- Überblick (Gabriela Kompatscher) 31
- Epochenbild (Lav Šubarić) 55
- Dichtung (Martin Korenjak) 66
- Rhetorik und Beredsamkeit (Martin Korenjak) 95
- Geschichtsschreibung (Josef Riedmann/Florian Schaffenrath) 105
- Biographie (Wolfgang Kofler) 123
- Brief (Christina Antenhofer/Lukas Oberrauch) 130
- Musik (Lukas Oberrauch) 143
- Kirchliches Schrifttum (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 147
- Philosophie (Stefan Tilg) 167
- Medizin und Naturwissenschaft (Lav Šubarić) 189
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne) 198
- Das 16. Jh. bis zum Tod Erzherzog Ferdinands II. von Tirol (1595) Epochenbild (Karlheinz Töchterle) 215
- Dichtung (Wolfgang Kofler/Martin Korenjak) 225
- Theater (Stefan Tilg) 266
- Beredsamkeit (Martin Korenjak) 282
- Geschichtsschreibung (Florian Schaffenrath) 307
- Brief (Martin Korenjak) 335
- Theologie (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 342
- Philosophie (Stefan Tilg) 349
- Naturwissenschaft (Lav Šubarić) 355
- Medizin (Lukas Oberrauch) 362
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne) 378
- Das 17. Jh. bis zum Aussterben der Tiroler Linie der Habsburger (1665) und zur Gründung der Universität (1669) Epochenbild (Stefan Tilg) 385
- Dichtung (Martin Korenjak) 397
- Theater (Stefan Tilg) 436
- Beredsamkeit (Martin Korenjak) 465
- Geschichtsschreibung (Lav Šubarić) 480
- Biographie (Florian Schaffenrath) 505
- Brief (Martin Korenjak) 517
- Theologie und kirchliches Schrifttum (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 525
- Philosophie (Stefan Tilg) 545
- Naturwissenschaft (Martin Korenjak) 555
- Medizin (Lav Šubarić) 564
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne) 584
- Farbtafeln 593