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Geschichtsschreibung 483
Lequile
ter Anstoß erregte.1 Dass er die Dynastie damit jedoch nicht etwa angreifen wollte,
sondern vielmehr durchaus habsburgfreundlich gesinnt war, zeigt etwa die folgende
Passage aus dem Proömium (Bl. [1]r) :
Sed animi fallor aut nulla omnino familia fuit, in qua plura omni tempore virtutum omnium
exempla atque testimonia et e contrario pauciora vitia fuerunt, ut in incerto reliquisse principes
Habsburgi-Austriaci videantur iustius tot et tanta regna, provincias et imperia promeruerint
an gloriosius administrarint ; tot adeo fortitudinis et temperantiae, benignitatis ac moderatio-
nis, clementiae et aequitatis, iustitiae atque sapientiae documenta praestiterunt et ante omnia
religionis et pietatis.
Doch entweder ich täusche mich oder es gab niemals eine Familie, in der es zu allen Zeiten
mehr Beispiele und Zeugnisse für alle Tugenden und auf der anderen Seite weniger Laster
gegeben hat, so dass man sich nicht sicher sein kann, ob sich die österreichischen Habsbur-
ger mit größerem Recht so viele und so große Reiche, Länder und Herrschaften verdient
oder sie mit größerer Ehre verwaltet haben : So viele Beweise ihrer Tapferkeit und Mäßi-
gung, ihrer Wohltätigkeit und Beherrschtheit, ihrer Milde und Ausgewogenheit, ihrer Ge-
rechtigkeit und Weisheit haben sie geliefert, v.a. aber ihrer Religiosität und Frömmigkeit.
Der 1604 unter dem Namen Donatus Maria Tafuri geborene Franziskaner Di-
ego Lequile nannte sich so nach seinem Geburtsort, dem Städtchen Lequile in
Apulien. Mit der Zeit erarbeitete er sich einen beachtlichen Ruf als Prediger. Sein
Lebensweg führte ihn über die Stationen Bari, Rom, Bergamo, Mantua und Ge-
nua 1651 auch nach Innsbruck, wo ihn Erzherzog Ferdinand Karl an seinen Hof
berief. Hier diente er acht Jahre lang als italienischer Hofprediger, Beichtvater der
Erzherzogin Anna, Hofkaplan und Haustheologe, aber auch als erzherzoglicher
Geheimrat, Hofhistoriograph, Librettist und Dichter in italienischer Sprache. Der
Erzherzog protegierte ihn gegen Disziplinierungsversuche, welche die Tiroler Or-
densoberen wegen seines nach ihrer Ansicht skandalösen Lebenswandels unternah-
men. Lequile stand auch in der Gunst Kaiser Ferdinands III., der ihn 1653 sogar
zum Titularbischof ernannte. Als er 1658 in Ungnade fiel und die ihm befohlene
Abreise nach Rom verzögern wollte, wurde er vom Tiroler Provinzial kurzerhand
1 Für Tirol zeigt dies etwa eine Hs. mit dem Titel Antiquo-Habsburgum seu Avendum contra Guilli-
mannum et quosvis, etiam neotericos, authores vindicatum („Alt-Habsburg oder Remiremont gegen
Guillimannus und alle möglichen Autoren, auch solche neueren Datums, in Schutz genommen“ ;
OFM PA, Cod. 1057/4), die vom Beginn des 18. Jhs. stammen dürfte. Der anonyme Autor at-
tackiert Guillimannus scharf und versucht mit Remiremont in den Vogesen und St. Trudpert im
Schwarzwald zwei oberrheinische Orte, die dieser ausgeschlossen hatte, mit den Habsburgern in
Verbindung zu bringen.
TYROLIS LATINA
Geschichte der lateinischen Literatur in Tirol, Band 1
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- TYROLIS LATINA
- Untertitel
- Geschichte der lateinischen Literatur in Tirol
- Band
- 1
- Autoren
- Martin Korenjak
- Florian Schaffenrath
- Lav Šubarić
- Herausgeber
- Karlheinz Töchterle
- Ort
- Wien
- Datum
- 2012
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78868-3
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 602
- Schlagwörter
- Neo-Latin, Tyrol, History, Literature, Neu-Latein, Tirol, Literatur, Geschichte
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 9
- Epochenbild (Josef Riedmann) 21
- Überblick (Gabriela Kompatscher) 31
- Epochenbild (Lav Šubarić) 55
- Dichtung (Martin Korenjak) 66
- Rhetorik und Beredsamkeit (Martin Korenjak) 95
- Geschichtsschreibung (Josef Riedmann/Florian Schaffenrath) 105
- Biographie (Wolfgang Kofler) 123
- Brief (Christina Antenhofer/Lukas Oberrauch) 130
- Musik (Lukas Oberrauch) 143
- Kirchliches Schrifttum (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 147
- Philosophie (Stefan Tilg) 167
- Medizin und Naturwissenschaft (Lav Šubarić) 189
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne) 198
- Das 16. Jh. bis zum Tod Erzherzog Ferdinands II. von Tirol (1595) Epochenbild (Karlheinz Töchterle) 215
- Dichtung (Wolfgang Kofler/Martin Korenjak) 225
- Theater (Stefan Tilg) 266
- Beredsamkeit (Martin Korenjak) 282
- Geschichtsschreibung (Florian Schaffenrath) 307
- Brief (Martin Korenjak) 335
- Theologie (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 342
- Philosophie (Stefan Tilg) 349
- Naturwissenschaft (Lav Šubarić) 355
- Medizin (Lukas Oberrauch) 362
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne) 378
- Das 17. Jh. bis zum Aussterben der Tiroler Linie der Habsburger (1665) und zur Gründung der Universität (1669) Epochenbild (Stefan Tilg) 385
- Dichtung (Martin Korenjak) 397
- Theater (Stefan Tilg) 436
- Beredsamkeit (Martin Korenjak) 465
- Geschichtsschreibung (Lav Šubarić) 480
- Biographie (Florian Schaffenrath) 505
- Brief (Martin Korenjak) 517
- Theologie und kirchliches Schrifttum (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 525
- Philosophie (Stefan Tilg) 545
- Naturwissenschaft (Martin Korenjak) 555
- Medizin (Lav Šubarić) 564
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne) 584
- Farbtafeln 593