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532 Das 17. Jh. bis zum Aussterben der Tiroler Linie der Habsburger (1665) und zur Gründung der Universität (1669)
Sprachbewusstsein
philologische
Schriftlektüre der Prädestination, d.h. diese als Faktum beschreibt, während sich das zweite ihrem
Wesen (essentia), das dritte ihrem Grund und Zweck widmen soll (53) : Tatsächlich
wird eine solche inhaltliche Verteilung des Stoffes nämlich nicht durchgehalten ;
der wahre Grund fĂĽr die Dreiteilung scheint eher die Absicht gewesen zu sein,
der Dreifaltigkeit symbolisch Rechnung zu tragen (vgl. 52). Voran gehen den drei
BĂĽchern Lobesschreiben und -gedichte, ein Vorwort des Autors an den Leser und
Indizes (unpaginiert), den Abschluss bilden ein wie der Hauptteil dialogischer An-
hang (183–188) sowie eine Abhandlung über den Zustand des verworfenen Sün-
ders (188–214), die beide offen gebliebene Fragen nachtragen, und ein letztes Ge-
dicht (215).
Im Folgenden wird nicht versucht, den Gedankengang des Werkes nachzuvoll-
ziehen, was aus den schon genannten Gründen wenig zielführend wäre. Stattdessen
sollen zwei Aspekte hervorgehoben werden : zum einen Borois hohes Sprachbe-
wusstsein, zum anderen die Offenheit, mit der er auf die Schwierigkeiten der The-
matik eingeht. Mit welcher Sorgfalt sich Boroi den Problemen von der sprachlichen
Seite her nähert, lässt sich beispielhaft an seinem Umgang mit dem Schlüsselwort
praedestinatio aufzeigen (56–57). Zunächst bestimmt er die Bedeutung des Präfixes
prae- („vor-“) : Es designat ordinem in finem futurum („bezeichnet die Anordnung
auf ein künftiges Ziel hin“). Sodann bespricht er das semantisch vielfältige Verb des-
tinare („bestimmen“) bzw. das Substantiv destinatio („Bestimmung“), deren weitere
Bedeutungen in die Richtung „schicken“, „lenken“, „verfügen“, „abordnen“ gehen
können. Hieraus schließt er dann : […] sic praedestinatio dici poterit missio, directio,
deliberatio, animi determinatio sive propositum, ordinatio, deputatio et iudicatio ad
finem determinatum („[…] so wird man Vorbestimmung paraphrasieren können
als Schickung, Ausrichtung, Erwägung, Bestimmung des Geistes oder Vorsatz, An-
ordnung, Hinsendung und Beurteilung zu einem bestimmten Ziel“). Das prae- sei
dabei nicht tautologisch, weil das Simplex destinatio zu allgemein wäre : Es lasse
sich nicht nur auf Menschen, sondern auch auf andere Lebewesen und auf Dinge
anwenden. Da die Menschen aber im Gegensatz zu diesen ein ĂĽbernatĂĽrliches Ziel
verfolgten, mĂĽsse praedestinatio ihrer Rettung vorbehalten bleiben.
Ein weiteres Beispiel kann zugleich den sensiblen Umgang mit dem Text der Vul-
gata illustrieren, den Boroi vielfach an den Tag legt : Zur Stelle 1 Tim 2,4 qui omnes
homines vult salvos fieri („nach dessen Willen alle Menschen heil werden sollen“)
merkt er an, dies bedeute nicht genau, dass Gott uns alle salvare („retten“) wolle.
Die Rettung liege nämlich nicht bei Gott allein, sondern die Menschen müssten als
cooperatores („Mitarbeiter“) durch gute Werke und Gebete auch selbst einen Beitrag
leisten (85). Damit kommt ein zentraler Aspekt der durch das Konzil von Trient
vorgenommenen Präzisierung der katholischen Position gegenüber den Luthera-
nern und Calvinisten zum Ausdruck.
TYROLIS LATINA
Geschichte der lateinischen Literatur in Tirol, Band 1
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- TYROLIS LATINA
- Untertitel
- Geschichte der lateinischen Literatur in Tirol
- Band
- 1
- Autoren
- Martin Korenjak
- Florian Schaffenrath
- Lav Šubarić
- Herausgeber
- Karlheinz Töchterle
- Ort
- Wien
- Datum
- 2012
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78868-3
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 602
- Schlagwörter
- Neo-Latin, Tyrol, History, Literature, Neu-Latein, Tirol, Literatur, Geschichte
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 9
- Epochenbild (Josef Riedmann) 21
- Ăśberblick (Gabriela Kompatscher) 31
- Epochenbild (Lav Šubarić) 55
- Dichtung (Martin Korenjak) 66
- Rhetorik und Beredsamkeit (Martin Korenjak) 95
- Geschichtsschreibung (Josef Riedmann/Florian Schaffenrath) 105
- Biographie (Wolfgang Kofler) 123
- Brief (Christina Antenhofer/Lukas Oberrauch) 130
- Musik (Lukas Oberrauch) 143
- Kirchliches Schrifttum (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 147
- Philosophie (Stefan Tilg) 167
- Medizin und Naturwissenschaft (Lav Šubarić) 189
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne) 198
- Das 16. Jh. bis zum Tod Erzherzog Ferdinands II. von Tirol (1595) Epochenbild (Karlheinz Töchterle) 215
- Dichtung (Wolfgang Kofler/Martin Korenjak) 225
- Theater (Stefan Tilg) 266
- Beredsamkeit (Martin Korenjak) 282
- Geschichtsschreibung (Florian Schaffenrath) 307
- Brief (Martin Korenjak) 335
- Theologie (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 342
- Philosophie (Stefan Tilg) 349
- Naturwissenschaft (Lav Šubarić) 355
- Medizin (Lukas Oberrauch) 362
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne) 378
- Das 17. Jh. bis zum Aussterben der Tiroler Linie der Habsburger (1665) und zur Gründung der Universität (1669) Epochenbild (Stefan Tilg) 385
- Dichtung (Martin Korenjak) 397
- Theater (Stefan Tilg) 436
- Beredsamkeit (Martin Korenjak) 465
- Geschichtsschreibung (Lav Šubarić) 480
- Biographie (Florian Schaffenrath) 505
- Brief (Martin Korenjak) 517
- Theologie und kirchliches Schrifttum (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 525
- Philosophie (Stefan Tilg) 545
- Naturwissenschaft (Martin Korenjak) 555
- Medizin (Lav Šubarić) 564
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne) 584
- Farbtafeln 593