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Theologie und kirchliches Schrifttum 535
Wann kommt
das Weltende ?
Predigt
doch die eigentlichen Themen der Kapitel haben in der Regel weder mit ihnen
(eine Ausnahme bilden Kap. 11 und 12, wo Himmel und Hölle mit Tag und Nacht
korrelieren) noch mit Zeit i.A. viel zu tun. De facto handelt es sich um ein Erbau-
ungsbuch mit frommen Reflexionen, die – ohne stringenten Gedankenfortschritt
im Detail – mit Gott als Ursprung alles Seienden beginnen und mit dem Jüngsten
Gericht enden.
Mitunter kommen allerdings doch auch im eigentlichen Sinne chronologische
Themen zur Sprache. In besonderem Maße ist dies in Kap. 6 (129–138) der Fall,
wo die Frage nach der Dauer der Welt und dem Zeitpunkt des Weltendes diskutiert
wird. Seit dem frühen Mittelalter weit verbreitet waren Vorstellungen von einer Welt-
dauer von insgesamt sechs Jahrtausenden, je zwei vor dem mosaischen Gesetz, unter
dem Gesetz (d.h. zwischen Moses und dem Messias) und unter dem Messias (Borst
1990, 32 ; Brincken 2000, 86–87). Dieser Ansicht gesteht Seiser eine gewisse Wahr-
scheinlichkeit zu, wobei er freilich nur von ungefähren Werten sprechen möchte
(134 ; non praecise, sed circiter aut plus minus). Andere Berechnungen weist er zurück
(129–134), so etwa die These eines Anonymus, der den Weltuntergang auf 1656
festsetzt. Er bedient sich dabei nicht nur astrologischer Überlegungen, sondern weist
auch auf die im NT vertretene Ansicht hin, die Welt könne nicht untergehen, bevor
die christliche Botschaft zu allen Völkern vorgedrungen sei (Mt 24,14 ; Mk 13,30).
Ein hoher Stellenwert wurde bei sämtlichen Initiativen zur Verbesserung des
Zustands der Kirche und zur Hebung der Volksfrömmigkeit, die im Spätmittel-
alter und im Zeitalter der katholischen Reform gesetzt wurden, stets der Predigt
bescheinigt. Was Tirol betrifft, so weiß man von manchen Brixner Bischöfen und
Weihbischöfen, dass sie auch selbst die Kanzel bestiegen, die Hauptlast lag indes
bei den Pfarrern (Trenkwalder 1984, 147–156). Die inhaltlichen Vorgaben, die
auf Diözesansynoden gegeben wurden, waren allerdings bescheiden : In erster Li-
nie ging es um die Vermittlung religiösen Elementarwissens ; dazu kam Belehrung
über die rechte Lebensweise. Ein anspruchsvollerer Verkündigungsbegriff (LThK 8,
528) dürfte eine eher theoretische Größe gewesen sein. Die Homilie, in der eine
Bibelstelle ausgelegt wurde, dominierte zumal in der Volkspredigt gegenüber dem
thematisch definierten sermo (wörtlich „Gespräch“ ; Trenkwalder 1984, 156–163 ;
LThK 8, 529–530). In der Diözese Brixen war mit dem sogenannten Postillieren
(Erwähnung der jeweiligen Obliegenheiten des Sonntags, volkssprachliche Lesung
aus dem Evangelium, Darlegung einer Besonderheit aus diesem, Verkündung der
weiteren Feste der Woche) eine besonders anspruchslose Form der Predigt weit ver-
breitet (Trenkwalder 1984, 165). Im 16. Jh., als es darum ging, das konfessionelle
Profil des Katholizismus zu schärfen, verlagerte sich der Schwerpunkt insofern ein
wenig, als man das Ziel der Predigt nun mehr darin sah, die Hörer zu bewegen
(movere) als zu unterrichten (docere ; vgl. LThK 8, 530–531).
TYROLIS LATINA
Geschichte der lateinischen Literatur in Tirol, Band 1
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- TYROLIS LATINA
- Untertitel
- Geschichte der lateinischen Literatur in Tirol
- Band
- 1
- Autoren
- Martin Korenjak
- Florian Schaffenrath
- Lav Šubarić
- Herausgeber
- Karlheinz Töchterle
- Ort
- Wien
- Datum
- 2012
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78868-3
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 602
- Schlagwörter
- Neo-Latin, Tyrol, History, Literature, Neu-Latein, Tirol, Literatur, Geschichte
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 9
- Epochenbild (Josef Riedmann) 21
- Überblick (Gabriela Kompatscher) 31
- Epochenbild (Lav Šubarić) 55
- Dichtung (Martin Korenjak) 66
- Rhetorik und Beredsamkeit (Martin Korenjak) 95
- Geschichtsschreibung (Josef Riedmann/Florian Schaffenrath) 105
- Biographie (Wolfgang Kofler) 123
- Brief (Christina Antenhofer/Lukas Oberrauch) 130
- Musik (Lukas Oberrauch) 143
- Kirchliches Schrifttum (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 147
- Philosophie (Stefan Tilg) 167
- Medizin und Naturwissenschaft (Lav Šubarić) 189
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne) 198
- Das 16. Jh. bis zum Tod Erzherzog Ferdinands II. von Tirol (1595) Epochenbild (Karlheinz Töchterle) 215
- Dichtung (Wolfgang Kofler/Martin Korenjak) 225
- Theater (Stefan Tilg) 266
- Beredsamkeit (Martin Korenjak) 282
- Geschichtsschreibung (Florian Schaffenrath) 307
- Brief (Martin Korenjak) 335
- Theologie (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 342
- Philosophie (Stefan Tilg) 349
- Naturwissenschaft (Lav Šubarić) 355
- Medizin (Lukas Oberrauch) 362
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne) 378
- Das 17. Jh. bis zum Aussterben der Tiroler Linie der Habsburger (1665) und zur Gründung der Universität (1669) Epochenbild (Stefan Tilg) 385
- Dichtung (Martin Korenjak) 397
- Theater (Stefan Tilg) 436
- Beredsamkeit (Martin Korenjak) 465
- Geschichtsschreibung (Lav Šubarić) 480
- Biographie (Florian Schaffenrath) 505
- Brief (Martin Korenjak) 517
- Theologie und kirchliches Schrifttum (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 525
- Philosophie (Stefan Tilg) 545
- Naturwissenschaft (Martin Korenjak) 555
- Medizin (Lav Šubarić) 564
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne) 584
- Farbtafeln 593