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552 Das 17. Jh. bis zum Aussterben der Tiroler Linie der Habsburger (1665) und zur Gründung der Universität (1669)
Bliemel, CXV
controversiae
philosophicae an weltliche Herren gehen, sind hier in der Regel an hohe Geistliche gerichtet. Das
Ziel der Empfehlung für zukünftige Dienste bleibt dasselbe, wenn auch die Karrie-
ren der Professen absehbarer sind und ihre Bitten deshalb nicht so dringlich wirken
wie die angehender Beamter. Während die Jesuiten in Tirol zu dieser Zeit nur Logik
unterrichteten, lehrte und disputierte man in den Klöstern aus der ganzen Philoso-
phie, so z.B. in der unter dem Vorsitz von Tobias Zigl in Stams geprüften Pharetra
ex praecipuis difficultatibus universae philosophiae repleta („Mit den vornehmlichsten
Schwierigkeiten der ganzen Philosophie gefüllter Köcher“ ; Innsbruck 1664). Au-
ßerdem gab es für die Vermittlung des Stoffs in den Klöstern keine einheitlichen
Vorgaben wie in der Ratio studiorum. Aus diesen Gründen ist die Vielfalt der The-
men und Methoden größer als bei den Jesuiten. Das kann aber auch bedeuten, dass
der Zugang zur Logik selektiver ist und sich auf spezielle formale Probleme kon-
zentriert, wie z.B. in den im Augustiner-Chorherrenstift Neustift unter dem Vorsitz
von Ulrich Arsenius von vier Professen disputierten Centum syllogismi („Hundert
Syllogismen“ ; Innsbruck 1624). In dieser Analyse von, wie es in der Vorrede heißt,
„guten“ und „schlechten“ Syllogismen sollten die Studenten eine Richtschnur für
die Schärfung ihres Urteilsvermögens erhalten. Auch in der Disputation aus dem
Innsbrucker Servitenkloster – unter dem Vorsitz von Hyazinth Grandl – über die
Philosophia rationalis sive decisiones ex universa logica desumptae („Dialektische Phi-
losophie oder Entscheidungen, die aus der gesamten Logik genommen sind“ ; Inns-
bruck 1650) erscheint die Logik stark formalisiert. Schwerpunktmäßig werden hier
Begriffe und Zeichen untersucht. Eine weitere Besonderheit klösterlicher Disputa-
tionen ist, dass die an öffentlichen Schulen und Universitäten recht streng durch-
geführte Trennung von Philosophie und Theologie nicht so genau genommen wird
und also theologische Fragen auch im philosophischen Diskurs größeres Gewicht
bekommen können. Hierzu sei ein auch in anderer Hinsicht interessantes Beispiel
etwas genauer besprochen :
Im Wiltener Prämonstratenserstift präsidierte 1655 der Chorherr Wilhelm Blie-
mel einer Disputation über CXV controversiae philosophicae („115 philosophische
Kontroversen“), deren Stoff dem Leben des Hl. Norbert, des Gründers des Prä-
monstratenserordens, entnommen wurde und die im selben Jahr in Innsbruck im
Druck erschienen (vgl. Abb. 84). Bliemel trat u.a. auch als Verfasser historiographi-
scher, kanonistischer und theologischer Werke hervor (vgl. hier S. 496–497 und
584–586). Vielleicht kommt von daher die originelle Grundidee des Werks, eine
Verbindung von Hagiographie und Philosophie zu schaffen. Sie wird in einer An-
merkung am Beginn der Disputation erklärt (Bl. 3r) :
Cum nihil in rerum natura sit vel fiat, quod non ad Philosophicam incudem revocari et ex-
aminari possit, placuit honoris et debitae observantiae ergo, qua in sanctum patrem et Fun-
TYROLIS LATINA
Geschichte der lateinischen Literatur in Tirol, Band 1
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- TYROLIS LATINA
- Untertitel
- Geschichte der lateinischen Literatur in Tirol
- Band
- 1
- Autoren
- Martin Korenjak
- Florian Schaffenrath
- Lav Šubarić
- Herausgeber
- Karlheinz Töchterle
- Ort
- Wien
- Datum
- 2012
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78868-3
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 602
- Schlagwörter
- Neo-Latin, Tyrol, History, Literature, Neu-Latein, Tirol, Literatur, Geschichte
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 9
- Epochenbild (Josef Riedmann) 21
- Überblick (Gabriela Kompatscher) 31
- Epochenbild (Lav Šubarić) 55
- Dichtung (Martin Korenjak) 66
- Rhetorik und Beredsamkeit (Martin Korenjak) 95
- Geschichtsschreibung (Josef Riedmann/Florian Schaffenrath) 105
- Biographie (Wolfgang Kofler) 123
- Brief (Christina Antenhofer/Lukas Oberrauch) 130
- Musik (Lukas Oberrauch) 143
- Kirchliches Schrifttum (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 147
- Philosophie (Stefan Tilg) 167
- Medizin und Naturwissenschaft (Lav Šubarić) 189
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne) 198
- Das 16. Jh. bis zum Tod Erzherzog Ferdinands II. von Tirol (1595) Epochenbild (Karlheinz Töchterle) 215
- Dichtung (Wolfgang Kofler/Martin Korenjak) 225
- Theater (Stefan Tilg) 266
- Beredsamkeit (Martin Korenjak) 282
- Geschichtsschreibung (Florian Schaffenrath) 307
- Brief (Martin Korenjak) 335
- Theologie (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 342
- Philosophie (Stefan Tilg) 349
- Naturwissenschaft (Lav Šubarić) 355
- Medizin (Lukas Oberrauch) 362
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne) 378
- Das 17. Jh. bis zum Aussterben der Tiroler Linie der Habsburger (1665) und zur Gründung der Universität (1669) Epochenbild (Stefan Tilg) 385
- Dichtung (Martin Korenjak) 397
- Theater (Stefan Tilg) 436
- Beredsamkeit (Martin Korenjak) 465
- Geschichtsschreibung (Lav Šubarić) 480
- Biographie (Florian Schaffenrath) 505
- Brief (Martin Korenjak) 517
- Theologie und kirchliches Schrifttum (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 525
- Philosophie (Stefan Tilg) 545
- Naturwissenschaft (Martin Korenjak) 555
- Medizin (Lav Šubarić) 564
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne) 584
- Farbtafeln 593