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Medizin 571
Rezeption
Chylosophia
gegen Galen
galenische
Position
einigen deutschen Versen dessen Inhalt zusammengefasst oder der Gegner ganz all-
gemein geschmäht. Unter den Zitaten kommen neben zahlreichen, manchmal arg
aus dem Kontext gerissenen und umgedeuteten Stellen aus Galen und Hippokrates
recht oft auch Sentenzen aus Cicero, Plautus und Terenz vor, welche moralische
Maximen bieten.
1706 untersuchte der Innsbrucker Professor Ferdinand Karl Weinhart (vgl. hier
S. 866–868) aus einer durchaus noch humoralpathologischen Position die medizi-
nischen Argumente im Streit zwischen Guarinonius und ClauĂź. Seine Dissertation
mit dem Titel Conflictus medicus inter merophilum et hydroenobibum („Medizini-
scher Streit zwischen dem Liebhaber reinen und dem Trinker verwässerten Wei-
nes“ ; Innsbruck 1706 ; s. hier S. 867–868) erklärt zwar Guarinonius zum fach-
lichen Sieger, doch muss dieses Urteil mit Vorsicht genossen werden : Weinhart
war ein Nachkomme Paul Weinharts d.Ă„., der viele medizinische und moralische
Ansichten von Guarinonius teilte und einer seiner besten Freunde war.
1648 erschien zum letzten Mal eine Schrift aus Guarinonius’ Feder im Druck.
Wie schon der Titel dieses Dialogs, Chylosophiae academicae […] tomi duo […] pri-
mique tomi pars prima („Zwei Bände […] der akademischen Weisheit vom Speise-
brei […] und zwar der erste Teil des ersten Bandes“ ; Innsbruck 1648) zeigt, wurde
damit nur der Anfangsteil eines als wesentlich länger geplanten Werkes veröffent-
licht (vgl. Abb. 92). Allein der veröffentlichte Teil umfasst über 450 Seiten, sodass
der Umfang des ganzen Werks vermutlich an den der Grewel herangereicht hätte,
wenn Guarinonius sein Vorhaben zu Ende geführt hätte. Guarinonius plante die
Chylosophia, die Papst Innozenz X. (1644–1655), gewidmet war, offensichtlich als
Krönung seines Lebenswerks, als wissenschaftliche und literarische Leistung, für
die ihn die Nachwelt in Erinnerung behalten wĂĽrde. Sie darf auf jeden Fall als das
literarisch ambitionierteste und formvollendetste seiner Werke gelten.
Mit seiner Schrift wollte Guarinonius die Wahrheit ĂĽber die physiologischen
Vorgänge der Verdauung verkünden und die damals in der gelehrten Medizin gel-
tenden Ansichten widerlegen. Während er in der Hydroenogamia noch genau wie
sein Kontrahent versucht hatte, sich als orthodoxer Galeniker darzustellen, und nur
die richtige Interpretation der Autoritäten strittig war, nicht aber die Autoritäten
selbst, musste Guarinonius hier dem Widerspruch begegnen, der sich zwischen sei-
nem Anspruch, etwas Neues zu offenbaren, und seinem Selbstverständnis als akade-
misch gebildeter und der Tradition verpflichteter Arzt ergab. Guarinonius fand eine
moralisch-religiöse Lösung : Die Vorsehung habe gewollt, dass der Ruhm einer so
bedeutenden Entdeckung einem Christen, und zwar einem Katholiken, vorbehalten
bleibe, daher müssten antike Autoritäten in diesem Punkt notwendigerweise irren.
Gemäß der damals vorherrschenden, auf Galen fußenden Lehrmeinung wird
die Nahrung im Magen einem Kochvorgang unterworfen. Während die Abfallpro-
TYROLIS LATINA
Geschichte der lateinischen Literatur in Tirol, Band 1
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- TYROLIS LATINA
- Untertitel
- Geschichte der lateinischen Literatur in Tirol
- Band
- 1
- Autoren
- Martin Korenjak
- Florian Schaffenrath
- Lav Šubarić
- Herausgeber
- Karlheinz Töchterle
- Ort
- Wien
- Datum
- 2012
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78868-3
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 602
- Schlagwörter
- Neo-Latin, Tyrol, History, Literature, Neu-Latein, Tirol, Literatur, Geschichte
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 9
- Epochenbild (Josef Riedmann) 21
- Ăśberblick (Gabriela Kompatscher) 31
- Epochenbild (Lav Šubarić) 55
- Dichtung (Martin Korenjak) 66
- Rhetorik und Beredsamkeit (Martin Korenjak) 95
- Geschichtsschreibung (Josef Riedmann/Florian Schaffenrath) 105
- Biographie (Wolfgang Kofler) 123
- Brief (Christina Antenhofer/Lukas Oberrauch) 130
- Musik (Lukas Oberrauch) 143
- Kirchliches Schrifttum (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 147
- Philosophie (Stefan Tilg) 167
- Medizin und Naturwissenschaft (Lav Šubarić) 189
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne) 198
- Das 16. Jh. bis zum Tod Erzherzog Ferdinands II. von Tirol (1595) Epochenbild (Karlheinz Töchterle) 215
- Dichtung (Wolfgang Kofler/Martin Korenjak) 225
- Theater (Stefan Tilg) 266
- Beredsamkeit (Martin Korenjak) 282
- Geschichtsschreibung (Florian Schaffenrath) 307
- Brief (Martin Korenjak) 335
- Theologie (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 342
- Philosophie (Stefan Tilg) 349
- Naturwissenschaft (Lav Šubarić) 355
- Medizin (Lukas Oberrauch) 362
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne) 378
- Das 17. Jh. bis zum Aussterben der Tiroler Linie der Habsburger (1665) und zur Gründung der Universität (1669) Epochenbild (Stefan Tilg) 385
- Dichtung (Martin Korenjak) 397
- Theater (Stefan Tilg) 436
- Beredsamkeit (Martin Korenjak) 465
- Geschichtsschreibung (Lav Šubarić) 480
- Biographie (Florian Schaffenrath) 505
- Brief (Martin Korenjak) 517
- Theologie und kirchliches Schrifttum (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 525
- Philosophie (Stefan Tilg) 545
- Naturwissenschaft (Martin Korenjak) 555
- Medizin (Lav Šubarić) 564
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne) 584
- Farbtafeln 593