Seite - 589 - in TYROLIS LATINA - Geschichte der lateinischen Literatur in Tirol, Band 1
Bild der Seite - 589 -
Text der Seite - 589 -
Rechtswissenschaft 589
praktischer
Nutzen
quaestio LXI
At huius thesauri quae utilitas, nisi in lucem protrahatur, summorum, inquam Praesulum obs-
curiora de Iubilei natura et adiunctis oracula explicationis lumine illustrentur ?
Aber welchen Nutzen hat dieser Schatz [d.h. der im Jubeljahr gewährte Ablass], wenn er
nicht ans Licht gezogen wird, d.h. die allzudunklen Orakel der Päpste über Natur und
Attribute des Jubeljahrs durch den Schein der Erklärung erhellt werden ?
Bei der Interpretation der Bullen erweist sich Gobat als präziser und scharfsinniger
Exeget. Darüber hinaus verfügt er auch über ein klares historisches Verständnis sei-
nes Gegenstandes und begreift das Jubeljahr als ein Phänomen, das geschichtlicher
Veränderung unterliegt. Bereits im dritten Paragraph des Vorworts an den Leser
erklärt er, der Dissens unter den Gelehrten, die sich zum Thema geäußert hätten,
rühre zu einem guten Teil daher, dass sich die einen auf ältere, die anderen auf jün-
gere Bullen bezögen, ohne dies klarzumachen. Deshalb habe er, Gobat, versucht,
alle einschlägigen Bullen einzusehen. In dem juristischen Adagium Distingue tem-
pora et concordabis iura („Halte die Zeiten auseinander, und du wirst die Rechtsver-
hältnisse in Übereinstimmung bringen“) fasst er seine Position zusammen.
Trotz seines gelehrten Charakters will der Sensus aber kein rein wissenschaft-
liches Werk sein, sondern auch praktischen Nutzen bieten. Dies zeigt schon die
Rede von der utilitas im angeführten Zitat, und das Titelblatt präzisiert, das Buch
sei in gratiam praecipue dominorum parochorum et confessariorum („als Hilfestel-
lung insbesondere für die Herren Pfarrer und Beichtväter“) verfasst : Man kann sich
gut vorstellen, wie schwierig es für diese Geistlichen war, die zahlreichen Anfragen
kompetent zu beantworten, die ihre von der Chance, einen Aufenthalt im Fege-
feuer zu vermeiden, begeisterten Schützlinge an sie richteten. Die menschenfreund-
liche Grundhaltung, die in dieser Zweckbestimmung zum Ausdruck zu kommen
scheint und die gut zu Gobats Ruf als toleranter Probabilist passt, findet sich in der
Behandlung vieler Einzelfragen wieder, so etwa, wenn abschließend (quaestio CXXI,
S. 331) die gegenwärtige Häufigkeit der Jubeljahre und Generalablässe ausdrück-
lich begrüßt und gegen Kritiker verteidigt wird.
Ein Überblick über die zahlreichen, vielfach ungemein komplexen Einzelfragen
muss hier unterbleiben. Stattdessen sei Gobats Darstellungsweise an einem ver-
gleichsweise simplen Problem exemplifiziert, das in der quaestio LXI (S. 159–160)
behandelt wird. Zunächst wird die Frage dargelegt : Der Papst hat als Vorausset-
zung für das Erlangen des Ablasses ein 40-Stunden-Gebet genannt, in den hiesigen
Jesuitenkonventen ist man aber gewohnt, bei solchen Gelegenheiten 60 Stunden
zu beten : Wird ein so Betender nach den ersten 40 Stunden des Ablasses würdig ?
Dann benennt Gobat die ratio dubitandi („Grund zu zweifeln“) : Wer nach 40 Stun-
den weiterbetet, verrichtet eben strenggenommen kein 40-Stunden-Gebet. Seine
TYROLIS LATINA
Geschichte der lateinischen Literatur in Tirol, Band 1
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- TYROLIS LATINA
- Untertitel
- Geschichte der lateinischen Literatur in Tirol
- Band
- 1
- Autoren
- Martin Korenjak
- Florian Schaffenrath
- Lav Šubarić
- Herausgeber
- Karlheinz Töchterle
- Ort
- Wien
- Datum
- 2012
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78868-3
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 602
- Schlagwörter
- Neo-Latin, Tyrol, History, Literature, Neu-Latein, Tirol, Literatur, Geschichte
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 9
- Epochenbild (Josef Riedmann) 21
- Überblick (Gabriela Kompatscher) 31
- Epochenbild (Lav Šubarić) 55
- Dichtung (Martin Korenjak) 66
- Rhetorik und Beredsamkeit (Martin Korenjak) 95
- Geschichtsschreibung (Josef Riedmann/Florian Schaffenrath) 105
- Biographie (Wolfgang Kofler) 123
- Brief (Christina Antenhofer/Lukas Oberrauch) 130
- Musik (Lukas Oberrauch) 143
- Kirchliches Schrifttum (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 147
- Philosophie (Stefan Tilg) 167
- Medizin und Naturwissenschaft (Lav Šubarić) 189
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne) 198
- Das 16. Jh. bis zum Tod Erzherzog Ferdinands II. von Tirol (1595) Epochenbild (Karlheinz Töchterle) 215
- Dichtung (Wolfgang Kofler/Martin Korenjak) 225
- Theater (Stefan Tilg) 266
- Beredsamkeit (Martin Korenjak) 282
- Geschichtsschreibung (Florian Schaffenrath) 307
- Brief (Martin Korenjak) 335
- Theologie (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 342
- Philosophie (Stefan Tilg) 349
- Naturwissenschaft (Lav Šubarić) 355
- Medizin (Lukas Oberrauch) 362
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne) 378
- Das 17. Jh. bis zum Aussterben der Tiroler Linie der Habsburger (1665) und zur Gründung der Universität (1669) Epochenbild (Stefan Tilg) 385
- Dichtung (Martin Korenjak) 397
- Theater (Stefan Tilg) 436
- Beredsamkeit (Martin Korenjak) 465
- Geschichtsschreibung (Lav Šubarić) 480
- Biographie (Florian Schaffenrath) 505
- Brief (Martin Korenjak) 517
- Theologie und kirchliches Schrifttum (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 525
- Philosophie (Stefan Tilg) 545
- Naturwissenschaft (Martin Korenjak) 555
- Medizin (Lav Šubarić) 564
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne) 584
- Farbtafeln 593