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Die Zeit in Wien 29
Franz Singer besuchte zunächst die Volksschule bei den Schotten und von 1905–1907
einen Kinderkurs im Atelier der Malerin Emma Schlangenhausen13 (1882–1947) unter
der Oberleitung von Alfred Roller14 (1864–1935) (Abb. 2). In seinem Ansuchen um
Verleihung der Befugnis eines Architekten schildert Franz Singer seinen weiteren schu-
lischen Werdegang wie folgt: „Die ersten zwei Mitteljahre besuchte ich das akademische
Gymnasium, die nächsten fünf Jahre das neu gegründete Franz-Josefs’ Realgymnasium,
lernte – wegen Krankheit – die achte Klasse zu Hause und legte, im Sommer 1914,
als Externist, im Elisabeth-Realgymnasium in Brünn mit Erfolg die Reifeprüfung ab“15.
Parallel zur Schulzeit nahm er von 1910 bis 1913 Zeichenunterricht bei dem Radierer
Ferdinand Gold (1882–1981), der Mitglied des Künstlerhauses war. Nach der Schulzeit
wurde Singer schließlich von September 1914 bis März 1915 Schüler des Malers Felix
Albrecht Harta16 (1884–1967). Der Besuch der im November 1913 in der Wiener Gale-
rie Miethke17 gezeigten Adolf Hölzel-Ausstellung und ein Vortrag jenes Künstlers dürf-
ten Singer darin bestärkt haben, das Studium der Malerei weiterzuverfolgen, da er diese
Erfahrung in seinem Lebenslauf von 1937 als „entscheidenden Eindruck“18 bezeichnet.
Friedl Dicker wurde am 30. Juli 1898 als Friederike Dicker geboren (Abb. 3). Ihre
Eltern stammten beide aus Prag. Ihre Mutter Karoline Dicker (1865–1902), geborene
Fanta, starb bereits mit nur 37 Jahren, als Friedl Dicker drei Jahre alt war. Ihr Vater, der
13 Emma Schlangenhausen war Grafikerin und Malerin. Sie studierte bis 1905 bei Alfred Roller, Lud-
wig Michalik und Koloman Moser an der Wiener Kunstgewerbeschule. Ein weiterer Lehrer war
Cuno Amiet. Nach anfänglicher Ölmalerei konzentrierte sie sich auf den Holzschnitt. Siehe: Wally
1991, S. 369.
14 Alfred Roller war seit 1901 Lehrer an der Wiener Kunstgewerbeschule und von 1909–1934 Direk-
tor. Siehe: Fliedl 1986, S. 296.
15 Franz Singer, Ansuchen um Verleihung der Befugnis eines Architekten, Lebenslauf, 31.7.1937,
Original: ÖStA/AdR HBbBuT BMfHuV Allg Reihe PTech Singer Franz Karl 08.02.1896 GZl.
71537/1937 Singer, Franz Karl, 08.02.1896, 1919–1938 (Akt (Sammelakt, Grundzl., Konvolut,
Dossier, File)). Kopie: AGS.
16 Felix Albrecht Harta (eigtl. Hirsch) (1884–1967), österreichischer Maler, Grafiker und Zeichner.
Stand in freundschaftlichem Kontakt mit den Künstlern Kokoschka, Schiele, Klimt, von Gütersloh
und Oppenheimer. Sein Werk repräsentiert die österreichische Kunst der Zwischenkriegszeit und
orientiert sich am Expressionismus. Siehe: Schaffer 2011, S. 462.
17 Die Galerie Miethke war eine bedeutende Kunsthandlung in Wien. 1864 als Buch- und Antiqua-
riatshandel Miethke & Wawra von dem in Potsdam geborenen Hugo Othmar Miethke und Josef
Karl Eduard Wawra gegründet, profilierte sie sich unter der künstlerischen Leitung von Carl Moll zu
Beginn des 20. Jahrhunderts zu einer der bedeutendsten Avantgarde-Galerien Österreich-Ungarns.
Siehe: Natter 2003, S. 262–263.
18 Franz Singer, Ansuchen um Verleihung der Befugnis eines Architekten, Lebenslauf, 31.7.1937,
Original: ÖStA/AdR HBbBuT BMfHuV Allg Reihe PTech Singer Franz Karl 08.02.1896 GZl.
71537/1937 Singer, Franz Karl, 08.02.1896, 1919–1938 (Akt (Sammelakt, Grundzl., Konvolut,
Dossier, File)). Kopie: AGS.
© 2021 Böhlau Verlag | Brill Österreich GmbH
https://doi.org/10.7767/9783205213161 | CC BY-NC 4.0
Bauhaus in Wien?
Möbeldesign, Innenraumgestaltung und Architektur der Wiener Ateliergemeinschaft von Friedl Dicker und Franz Singer
- Titel
- Bauhaus in Wien?
- Untertitel
- Möbeldesign, Innenraumgestaltung und Architektur der Wiener Ateliergemeinschaft von Friedl Dicker und Franz Singer
- Autor
- Katharina Hövelmann
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21316-1
- Abmessungen
- 17.4 x 25.6 cm
- Seiten
- 492
Inhaltsverzeichnis
- 1 Einleitung 9
- 1.1 Ein vergessenes Kapitel Wiener Design- und Architekturgeschichte 9
- 1.2 Forschungsstand 10
- 1.3 Quellenlage 15
- 1.4 Forschungsziele und Methodik 21
- 2 Dickers und Singers künstlerische Ausbildung im Zeichen von Kunstschulreform und Lebensreformbewegung 27
- 2.1 Die Zeit in Wien 27
- 2.1.1 Herkunft und Ausbildung bis 1916 27
- 2.1.2 Kunstschule Johannes Itten und Netzwerke 1916–1919 33
- 2.2 Studienzeit am Bauhaus in Weimar 1919–1923 47
- 2.2.1 Die Wiener Gruppe um Johannes Itten 47
- 2.2.2 Unterricht 56
- 2.2.3 Erste Architekturentwürfe – Vier Einfamilienhäuser 77
- 3 Berufliche Anfänge 89
- 3.1 Aufträge für Theater in Dresden und Berlin 1921–1922 89
- 3.2 Werkstätten Bildender Kunst GmbH, Berlin 1923–1926 92
- 3.2.1 Arbeiten für Die Truppe 107
- 3.2.2 Die Auflösung 114
- 4 Die Wiener Ateliergemeinschaft 1925–1938 117
- 4.1 Die Zusammenarbeit von Dicker und Singer 1925–1931 117
- 4.2 Architekturfachkenntnis im Hintergrund – Die AteliermitarbeiterInnen 134
- 4.3 AuftraggeberInnen 140
- 4.4 Strategien der Bewerbung 147
- 4.4.1 Axonometrie und Modell 147
- 4.4.2 Fotografie 154
- 4.4.3 Publikationen 157
- 4.5 Dickers und Singers Wege ab 1933/1934 162
- 5 „Das moderne Wohnprinzip“ – Zwischen Bauhaus und Wien 173
- 5.1 Das Bauhaus als Basis 173
- 5.2 Zur Situation in Wien – Innenraumgestaltung und Architektur 175
- 5.2.1 Die Wiener Moderne um 1900 175
- 5.2.2 Wien in der Zwischenkriegszeit 177
- 5.3 Theorie und Anspruch der Ateliergemeinschaft 182
- 5.4 Einrichtungsgegenstände: Möbel, Leuchten und Kachelöfen 185
- 5.4.1 Vom Einzelstück zur Typisierung – Frühe Möbel 1925–1929 185
- 5.4.1.1 Bauhaus und De Stijl als Vorbild 185
- 5.4.1.2 Verwandelbarkeit als Prinzip 202
- 5.4.1.3 Verbindungen zum Wiener Jugendstil und Biedermeier 210
- 5.4.1.4 Zwischen sozialem und künstlerischem Anspruch: Typisierungstendenzen 216
- 5.4.1.5 Möbeltischler und Hersteller 228
- 5.4.2 Wege zur Serienfabrikation – Stahlrohr- und Sperrholzmöbel 1929–1938 230
- 5.4.2.1 Der Stahlrohrstapelstuhl von Bruno Pollak 234
- 5.4.2.2 Stahlrohrmöbelentwürfe der Ateliergemeinschaft 238
- 5.4.2.3 Hersteller und Produktionsversuche der Stahlrohrmöbel 251
- 5.4.2.4 Entwürfe für die Firma Metz & Co 253
- 5.4.2.5 Sperrholzmöbel 261
- 5.4.2.6 Produktionsversuche der Sperrholzmöbel 264
- 5.4.3 Eine Welt für Kinder – Kindermöbel und Baukastenspiele 1927–1938 266
- 5.4.4 Leuchten und andere Metallarbeiten 289
- 5.4.5 Kachelöfen 302
- 5.5 Raumgestaltungen und Architektur 309
- 5.5.1 Verwendung von Farbe als Gestaltungsmittel 309
- |5.5.2 Intervention im Haus Moller von Adolf Loos und im dazugehörigen Garten 319
- 5.5.2.1 Ein neu entdeckter Möblierungsentwurf 319
- 5.5.2.2 Das Zimmer für Anny Wottitz-Moller 334
- 5.5.2.3 Das Gartenhaus 337
- 5.5.3 Wohnkonzepte auf kleinster Fläche 339
- 5.5.3.1 Einwohnräume 339
- 5.5.3.2 „Wachsende Häuser“ – Entwürfe für Kleinhauswohnbauten in Palästina 362
- 5.5.4 Fulminanter Höhe- und Endpunkt – Das Gästehaus Auersperg-Hériot 379
- 5.6 Epilog: Sozialer Anspruch oder Zeitgeist? – Eine kritische Bewertung 411
- 6 Resümee und Ausblick 417
- 7 Anhang 425
- 7.1 Quellentexte 425
- 7.2 Biografie Friedl Dicker / Franz Singer 428
- 7.3 Archive und Sammlungen 431
- 7.4 Literatur 436
- 7.5 Webseiten 473
- 7.6 Bildnachweis 477
- 7.7 Abkürzungen 480
- 7.8 Abstract 481
- 7.9 Register 482