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Die Zeit in Wien 39
Schriften von Annie Besant (1847–1933) und wandte sich der Mazdaznanlehre63 zu.64
Itten und Mahler führte neben der Kunst also auch das Interesse für Theosophie zusam-
men. Über sie lernte Itten weitere Persönlichkeiten Wiens kennen, wie beispielsweise die
Komponisten Arnold Schönberg, Alban Berg (1885–1935) und Josef Matthias Hauer
(1883–1959), den Kunsthistoriker Josef Strzygowski (1862–1941) und den Architekten
Adolf Loos.65 Letzterer schätzte den jungen Lehrer Itten besonders. So initiierte er 1919
die Präsentation der Itten-Ausstellung in den Räumen der Künstlergruppe Freie Bewe-
gung in der Kärntnerstraße und führte in seinen 1919 erschienenen „Richtlinien für ein
Kunstamt“ zur Reform des Kunstbetriebs Itten unter der Rubrik „Schule“ sogar nament-
lich auf: „Zeichenunterricht hat nur als Mittel zum Zweck zu dienen. Der Zweck ist die
Schärfung der Sinne. Die Art des Malers Itten sei die Grundlage.“66
Eine besondere Beziehung bestand zu Josef Matthias Hauer, der nach einer langen
künstlerischen Blockade in Reaktion auf die geometrischen Kompositionen Ittens 1919
das „Zwölftonspiel“ Opus 19 entwickelte.67 Inspiration hierfür war die in Ittens Bildern
„angestrebte Totalität aller Farben des zwölfteiligen Farbenkreises, der methodische Ein-
satz komplementärer Farbkontraste und die auf Zahlenverhältnissen aufbauende kompo-
sitorische Grundstruktur“68. Ittens Verehrung für Hauers Kompositionen wird in einem
undatierten, wahrscheinlich 1920 entstandenen Brief an Hildegard Anbelang deutlich,
die nach dem frühen Tod ihrer Schwester Emmy Anbelang Ittens Ehefrau wurde: „Der
Sonnenmelos69 ist wohl das schönste was Hauer geschrieben hat und was ich überhaupt
bis jetzt an Musik hörte (meine eigene natürlich – hors concours).“70
Wie Itten standen auch Dicker und Singer dem Kreis um Schwarzwald nahe. In ei-
nem Brief von 1924 bezeichnet Schwarzwald Franz Singer als guten Freund und des-
sen 1921 geborener Sohn besuchte später ihre „Schwarzwaldschen Schulanstalten“.71
63 Die Mazdaznanlehre, eine Mischreligion mit zarathustrischen, christlichen und hinduistischen-tan-
trischen Vorstellungen, einer vegetarischen Ernährungslehre, einer am Yoga orientierten Atemlehre
sowie einer von theosophischen Vorstellungen Helena Blavatskys weiterentwickelten Rassenlehre
wurde von Otoman Zar-Adusht Ha’nish (Otto Hanisch, 19.12.1844, Teheran – 29.2.1936, Los
Angeles) begründet. Siehe: Wagner 2009, S. 119.
64 Wagner 2009, S. 111–112.
65 Laven 2006, S. 248–249.
66 Zitiert nach: Kat. Ausst. Museum Villa Stuck 1982, S. 40.
67 Bogner 2003, S. 90.
68 Ebd., S. 90.
69 Beim „Sonnenmelos“ handelt sich um eine Reihe von Bausteinen aus Opus 19, denen Hauer einen
eigenen Text unterlegte. Siehe: Ebd., S. 95.
70 Zitiert nach: Ebd., S. 95.
71 Schwarzwald schrieb eine Anfrage an Stadtrat Max Winter, in der sie um Rat in Bezug auf den
Vertrieb des Phantasus-Baukastens von Franz Singer bat. In diesem Brief bezeichnet sie Franz Singer
als guten „Freund“. Siehe: AGS, Brief Eugenie Schwarzwald an Max Winter, 28.10.1924. Schwarz-
© 2021 Böhlau Verlag | Brill Österreich GmbH
https://doi.org/10.7767/9783205213161 | CC BY-NC 4.0
Bauhaus in Wien?
Möbeldesign, Innenraumgestaltung und Architektur der Wiener Ateliergemeinschaft von Friedl Dicker und Franz Singer
- Titel
- Bauhaus in Wien?
- Untertitel
- Möbeldesign, Innenraumgestaltung und Architektur der Wiener Ateliergemeinschaft von Friedl Dicker und Franz Singer
- Autor
- Katharina Hövelmann
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21316-1
- Abmessungen
- 17.4 x 25.6 cm
- Seiten
- 492
Inhaltsverzeichnis
- 1 Einleitung 9
- 1.1 Ein vergessenes Kapitel Wiener Design- und Architekturgeschichte 9
- 1.2 Forschungsstand 10
- 1.3 Quellenlage 15
- 1.4 Forschungsziele und Methodik 21
- 2 Dickers und Singers künstlerische Ausbildung im Zeichen von Kunstschulreform und Lebensreformbewegung 27
- 2.1 Die Zeit in Wien 27
- 2.1.1 Herkunft und Ausbildung bis 1916 27
- 2.1.2 Kunstschule Johannes Itten und Netzwerke 1916–1919 33
- 2.2 Studienzeit am Bauhaus in Weimar 1919–1923 47
- 2.2.1 Die Wiener Gruppe um Johannes Itten 47
- 2.2.2 Unterricht 56
- 2.2.3 Erste Architekturentwürfe – Vier Einfamilienhäuser 77
- 3 Berufliche Anfänge 89
- 3.1 Aufträge für Theater in Dresden und Berlin 1921–1922 89
- 3.2 Werkstätten Bildender Kunst GmbH, Berlin 1923–1926 92
- 3.2.1 Arbeiten für Die Truppe 107
- 3.2.2 Die Auflösung 114
- 4 Die Wiener Ateliergemeinschaft 1925–1938 117
- 4.1 Die Zusammenarbeit von Dicker und Singer 1925–1931 117
- 4.2 Architekturfachkenntnis im Hintergrund – Die AteliermitarbeiterInnen 134
- 4.3 AuftraggeberInnen 140
- 4.4 Strategien der Bewerbung 147
- 4.4.1 Axonometrie und Modell 147
- 4.4.2 Fotografie 154
- 4.4.3 Publikationen 157
- 4.5 Dickers und Singers Wege ab 1933/1934 162
- 5 „Das moderne Wohnprinzip“ – Zwischen Bauhaus und Wien 173
- 5.1 Das Bauhaus als Basis 173
- 5.2 Zur Situation in Wien – Innenraumgestaltung und Architektur 175
- 5.2.1 Die Wiener Moderne um 1900 175
- 5.2.2 Wien in der Zwischenkriegszeit 177
- 5.3 Theorie und Anspruch der Ateliergemeinschaft 182
- 5.4 Einrichtungsgegenstände: Möbel, Leuchten und Kachelöfen 185
- 5.4.1 Vom Einzelstück zur Typisierung – Frühe Möbel 1925–1929 185
- 5.4.1.1 Bauhaus und De Stijl als Vorbild 185
- 5.4.1.2 Verwandelbarkeit als Prinzip 202
- 5.4.1.3 Verbindungen zum Wiener Jugendstil und Biedermeier 210
- 5.4.1.4 Zwischen sozialem und künstlerischem Anspruch: Typisierungstendenzen 216
- 5.4.1.5 Möbeltischler und Hersteller 228
- 5.4.2 Wege zur Serienfabrikation – Stahlrohr- und Sperrholzmöbel 1929–1938 230
- 5.4.2.1 Der Stahlrohrstapelstuhl von Bruno Pollak 234
- 5.4.2.2 Stahlrohrmöbelentwürfe der Ateliergemeinschaft 238
- 5.4.2.3 Hersteller und Produktionsversuche der Stahlrohrmöbel 251
- 5.4.2.4 Entwürfe für die Firma Metz & Co 253
- 5.4.2.5 Sperrholzmöbel 261
- 5.4.2.6 Produktionsversuche der Sperrholzmöbel 264
- 5.4.3 Eine Welt für Kinder – Kindermöbel und Baukastenspiele 1927–1938 266
- 5.4.4 Leuchten und andere Metallarbeiten 289
- 5.4.5 Kachelöfen 302
- 5.5 Raumgestaltungen und Architektur 309
- 5.5.1 Verwendung von Farbe als Gestaltungsmittel 309
- |5.5.2 Intervention im Haus Moller von Adolf Loos und im dazugehörigen Garten 319
- 5.5.2.1 Ein neu entdeckter Möblierungsentwurf 319
- 5.5.2.2 Das Zimmer für Anny Wottitz-Moller 334
- 5.5.2.3 Das Gartenhaus 337
- 5.5.3 Wohnkonzepte auf kleinster Fläche 339
- 5.5.3.1 Einwohnräume 339
- 5.5.3.2 „Wachsende Häuser“ – Entwürfe für Kleinhauswohnbauten in Palästina 362
- 5.5.4 Fulminanter Höhe- und Endpunkt – Das Gästehaus Auersperg-Hériot 379
- 5.6 Epilog: Sozialer Anspruch oder Zeitgeist? – Eine kritische Bewertung 411
- 6 Resümee und Ausblick 417
- 7 Anhang 425
- 7.1 Quellentexte 425
- 7.2 Biografie Friedl Dicker / Franz Singer 428
- 7.3 Archive und Sammlungen 431
- 7.4 Literatur 436
- 7.5 Webseiten 473
- 7.6 Bildnachweis 477
- 7.7 Abkürzungen 480
- 7.8 Abstract 481
- 7.9 Register 482