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Dickers und Singers künstlerische
Ausbildung52
gerInnen und KünstlerInnen, kurz nach der von Groß gehaltenen Rede, am 19. De-
zember 1919 an das Staatsministerium des Freistaates Sachsen-Weimar-Eisenach: „Was
die Leitung des Bauhauses angeht, so wird behauptet, daß sie zielbewußt daraufhin ar-
beite, das Bauhaus seines Charakters als Kunstinstitut immer mehr zu entkleiden und
es zu einem Betriebe zu gestalten, der schließlich nur noch der Ausbildung gehobener
Handwerker dienen soll. Die ganze Überlieferung des Kunstinstituts werde über Bord
geworfen und mit geflissentlich zur Schau getragener Verachtung werde alles behandelt,
worauf früher Weimar stolz war [...]. Insbesondere wird Herrn Gropius einseitige Be-
günstigung fremdstämmiger Elemente zum Vorwurf gemacht, unter der der größte Teil
der Schüler deutschen Stammes zu leiden hätte. [...] Wenn das wahr ist, daß Herr Groß
für die Vertretung seines Deutschtums in solcher Weise behandelt worden ist, dann ist es
unabweisbare Pflicht der Staatsregierung, ihn mit allen zu Gebote stehenden Mitteln in
Schutz zu nehmen und dafür zu sorgen, daß solch unerhörte Vorkommnisse am Bauhaus
sich nicht wiederholen können.“145
In der Folge wurden durch das Ministerium Befragungen von Personen durchgeführt,
die mit dem Bauhaus in Verbindung standen. So berichtet beispielsweise der Schüler
Gerd Schniewind am 14. Februar 1920: „Ich habe den Krieg mitgemacht und bin im Ja-
nuar 1919 aus dem Felde in die Hochschule zurückgekehrt. Ich hatte gleich nach meiner
Rückkehr den Eindruck, als ob der Ton unter der Schülerschaft sich etwas geändert habe.
Das wurde immer stärker der Fall, namentlich auch nach dem Kommen von Gropius,
und am stärksten änderte sich der Ton nach dem Eintritt der Ittenschüler. Wir Deut-
schen hatten immer mehr das Gefühl, als ob wir von den Ausländern, die in Morgen-
stern, Singer und Frl. Friedländer146 starke Vertreter hatten, bei Seite gedrängt würden.
Zum Beispiel beim Abendakt drängten sich sichtlich die Ittenschüler vor, suchten ihre
Gedanken über das Stehen des Aktes durchzusetzen und brachten schließlich es dahin,
daß darunter der ganze Lehrplan litt.“147 Und die Schülerin Thekla Diedrich äußert am
9. Februar 1920: „Im Herbst war Herr Itten aus Wien als Lehrer im Bauhaus eingezogen
mit ca. 25 Schülern, zumeist Juden österreichischer, tschechoslowakischer und unga-
rischer Nationalität. Herr Gropius unterstützte diese eben Eingetretenen anscheinend
durch Freitisch, Atelier und Stipendien, worüber unter der deutschen Schülerschaft Un-
zufriedenheit herrschte.“148
145 ThHStA Weimar, Staatsministerium, Departement des Kultus Nr. 276, Bl. 6–7 (Abschrift), in: Wahl
2009, S. 531–532.
146 Es dürfte Marguerite Friedlaender-Wildenhain gemeint sein, die sich am Bauhaus auf Töpferei spe-
zialisierte. Siehe: Müller 2009, S. 76–83.
147 ThHStA Weimar, Staatsministerium, Departement des Kultus Nr. 276, Bl. 104, in: Wahl 2009,
S. 235.
148 ThHStA Weimar, Staatsministerium, Departement des Kultus Nr. 276, Bl. 76 (Ausfertigung), in:
Wahl 2009, S. 229.
© 2021 Böhlau Verlag | Brill Österreich GmbH
https://doi.org/10.7767/9783205213161 | CC BY-NC 4.0
Bauhaus in Wien?
Möbeldesign, Innenraumgestaltung und Architektur der Wiener Ateliergemeinschaft von Friedl Dicker und Franz Singer
- Titel
- Bauhaus in Wien?
- Untertitel
- Möbeldesign, Innenraumgestaltung und Architektur der Wiener Ateliergemeinschaft von Friedl Dicker und Franz Singer
- Autor
- Katharina Hövelmann
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21316-1
- Abmessungen
- 17.4 x 25.6 cm
- Seiten
- 492
Inhaltsverzeichnis
- 1 Einleitung 9
- 1.1 Ein vergessenes Kapitel Wiener Design- und Architekturgeschichte 9
- 1.2 Forschungsstand 10
- 1.3 Quellenlage 15
- 1.4 Forschungsziele und Methodik 21
- 2 Dickers und Singers künstlerische Ausbildung im Zeichen von Kunstschulreform und Lebensreformbewegung 27
- 2.1 Die Zeit in Wien 27
- 2.1.1 Herkunft und Ausbildung bis 1916 27
- 2.1.2 Kunstschule Johannes Itten und Netzwerke 1916–1919 33
- 2.2 Studienzeit am Bauhaus in Weimar 1919–1923 47
- 2.2.1 Die Wiener Gruppe um Johannes Itten 47
- 2.2.2 Unterricht 56
- 2.2.3 Erste Architekturentwürfe – Vier Einfamilienhäuser 77
- 3 Berufliche Anfänge 89
- 3.1 Aufträge für Theater in Dresden und Berlin 1921–1922 89
- 3.2 Werkstätten Bildender Kunst GmbH, Berlin 1923–1926 92
- 3.2.1 Arbeiten für Die Truppe 107
- 3.2.2 Die Auflösung 114
- 4 Die Wiener Ateliergemeinschaft 1925–1938 117
- 4.1 Die Zusammenarbeit von Dicker und Singer 1925–1931 117
- 4.2 Architekturfachkenntnis im Hintergrund – Die AteliermitarbeiterInnen 134
- 4.3 AuftraggeberInnen 140
- 4.4 Strategien der Bewerbung 147
- 4.4.1 Axonometrie und Modell 147
- 4.4.2 Fotografie 154
- 4.4.3 Publikationen 157
- 4.5 Dickers und Singers Wege ab 1933/1934 162
- 5 „Das moderne Wohnprinzip“ – Zwischen Bauhaus und Wien 173
- 5.1 Das Bauhaus als Basis 173
- 5.2 Zur Situation in Wien – Innenraumgestaltung und Architektur 175
- 5.2.1 Die Wiener Moderne um 1900 175
- 5.2.2 Wien in der Zwischenkriegszeit 177
- 5.3 Theorie und Anspruch der Ateliergemeinschaft 182
- 5.4 Einrichtungsgegenstände: Möbel, Leuchten und Kachelöfen 185
- 5.4.1 Vom Einzelstück zur Typisierung – Frühe Möbel 1925–1929 185
- 5.4.1.1 Bauhaus und De Stijl als Vorbild 185
- 5.4.1.2 Verwandelbarkeit als Prinzip 202
- 5.4.1.3 Verbindungen zum Wiener Jugendstil und Biedermeier 210
- 5.4.1.4 Zwischen sozialem und künstlerischem Anspruch: Typisierungstendenzen 216
- 5.4.1.5 Möbeltischler und Hersteller 228
- 5.4.2 Wege zur Serienfabrikation – Stahlrohr- und Sperrholzmöbel 1929–1938 230
- 5.4.2.1 Der Stahlrohrstapelstuhl von Bruno Pollak 234
- 5.4.2.2 Stahlrohrmöbelentwürfe der Ateliergemeinschaft 238
- 5.4.2.3 Hersteller und Produktionsversuche der Stahlrohrmöbel 251
- 5.4.2.4 Entwürfe für die Firma Metz & Co 253
- 5.4.2.5 Sperrholzmöbel 261
- 5.4.2.6 Produktionsversuche der Sperrholzmöbel 264
- 5.4.3 Eine Welt für Kinder – Kindermöbel und Baukastenspiele 1927–1938 266
- 5.4.4 Leuchten und andere Metallarbeiten 289
- 5.4.5 Kachelöfen 302
- 5.5 Raumgestaltungen und Architektur 309
- 5.5.1 Verwendung von Farbe als Gestaltungsmittel 309
- |5.5.2 Intervention im Haus Moller von Adolf Loos und im dazugehörigen Garten 319
- 5.5.2.1 Ein neu entdeckter Möblierungsentwurf 319
- 5.5.2.2 Das Zimmer für Anny Wottitz-Moller 334
- 5.5.2.3 Das Gartenhaus 337
- 5.5.3 Wohnkonzepte auf kleinster Fläche 339
- 5.5.3.1 Einwohnräume 339
- 5.5.3.2 „Wachsende Häuser“ – Entwürfe für Kleinhauswohnbauten in Palästina 362
- 5.5.4 Fulminanter Höhe- und Endpunkt – Das Gästehaus Auersperg-Hériot 379
- 5.6 Epilog: Sozialer Anspruch oder Zeitgeist? – Eine kritische Bewertung 411
- 6 Resümee und Ausblick 417
- 7 Anhang 425
- 7.1 Quellentexte 425
- 7.2 Biografie Friedl Dicker / Franz Singer 428
- 7.3 Archive und Sammlungen 431
- 7.4 Literatur 436
- 7.5 Webseiten 473
- 7.6 Bildnachweis 477
- 7.7 Abkürzungen 480
- 7.8 Abstract 481
- 7.9 Register 482