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Studienzeit am Bauhaus in Weimar 1919–1923 57
Kräfte, verschiedene Kräfte zur Einheit fügen / verschiedene Kräfte zu organisieren – ver-
schiedene Kräfte zum einheitlichen Organismus zusammenbauen [...].“174
Die Ausbildungen am Bauhaus sollten mit Meister- und Gesellenprüfungen abge-
schlossen werden. In der Anfangszeit standen jedoch vorerst kaum handwerkliche Leh-
rerInnen zur Verfügung und so lag im ersten Jahr ein stärkeres Gewicht auf der künst-
lerischen Ausbildung. Neben Johannes Itten, der zu den prägendsten Lehrpersonen des
frühen Bauhauses zählt, und den von der ehemaligen Kunstschule übernommenen Leh-
rern nahmen der Maler Lyonel Feininger (1871–1956), der Bildhauer Gerhard Marcks
(1889–1981), später dann Georg Muche (1895–1987), Lothar Schreyer (1886–1966),
Oskar Schlemmer (1888–1943), Paul Klee (1879–1940) und Wassily Kandinsky (1866–
1944) Lehraufträge an. Die Berufung handwerklicher Lehrer für die Werkstätten ent-
puppte sich als schwieriger, da sich nur wenige Kandidaten fanden, die den Anforderun-
gen genügten und zur Ausbildung von Lehrlingen berechtigt waren. Unmittelbar 1919
schlossen sich jedoch Otto Dorfner (1885–1955) mit seiner Buchbinderei und Helene
Börner (1867–unbek.) mit ihrer Weberei dem Bauhaus an – beide waren bereits an van
de Veldes Kunstgewerbeschule tätig. Auch die Druckerei konnte sofort mit der Arbeit
beginnen.175 Im Laufe der ersten Semester wurden zudem Werkstätten für Glasmalerei,
Holzbildhauerei, Metall, Tischlerei / Drechslerei, Steinbildhauerei / Gipsgießerei, Töpfe-
rei und Wandmalerei eingerichtet.176
Als Dicker und Singer 1919 ans Bauhaus kamen, bestand der erst im Oktober 1920
verabschiedete und ab 1921 endgültig institutionalisierte von Itten geleitete Vorkurs
noch nicht. Sie konnten demzufolge sofort in den Werkstätten arbeiten, wobei jedoch
nach einem halbjährigen „Probesemester“ über ihre definitive Aufnahme entschieden
wurde.177 Die Aufteilung des Werkstattunterrichts zwischen Form- und Werkmeister und
der Abschluss mit einer Gesellenprüfung gemäß den Vorschriften der Handwerkskam-
mer wurde ebenfalls erst mit den im Februar 1921 vorliegenden Lehrplänen festgelegt.178
Im Gründungsmanifest des Bauhauses wurde eine gleichberechtigte Ausbildung von
Frauen und Männern beworben. Für die damalige Zeit war der Frauenanteil daher am
Bauhaus relativ hoch. Durchschnittlich war ein Drittel der Studierenden weiblich.179 Zu-
nächst waren die Frauen in verschiedenen Werkstätten tätig. Um jedoch die Werkstatt-
plätze den männlichen Studierenden vorzubehalten, entschlossen sich die Formmeister
bereits 1920 dazu eine „Frauenabteilung“ einzurichten, in der Applikationen, Puppen,
174 Tagebuch Johannes Itten X. Zitiert nach: Tavel 1994, S. 55.
175 Weber 1994, S. 217–218.
176 Ebd., S. 215–281.
177 Wick 1994b, S. 119; Droste 1994, S. 172.
178 Weber 1994, S. 219.
179 Baumhoff 1994, S. 91.
© 2021 Böhlau Verlag | Brill Österreich GmbH
https://doi.org/10.7767/9783205213161 | CC BY-NC 4.0
Bauhaus in Wien?
Möbeldesign, Innenraumgestaltung und Architektur der Wiener Ateliergemeinschaft von Friedl Dicker und Franz Singer
- Titel
- Bauhaus in Wien?
- Untertitel
- Möbeldesign, Innenraumgestaltung und Architektur der Wiener Ateliergemeinschaft von Friedl Dicker und Franz Singer
- Autor
- Katharina Hövelmann
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21316-1
- Abmessungen
- 17.4 x 25.6 cm
- Seiten
- 492
Inhaltsverzeichnis
- 1 Einleitung 9
- 1.1 Ein vergessenes Kapitel Wiener Design- und Architekturgeschichte 9
- 1.2 Forschungsstand 10
- 1.3 Quellenlage 15
- 1.4 Forschungsziele und Methodik 21
- 2 Dickers und Singers künstlerische Ausbildung im Zeichen von Kunstschulreform und Lebensreformbewegung 27
- 2.1 Die Zeit in Wien 27
- 2.1.1 Herkunft und Ausbildung bis 1916 27
- 2.1.2 Kunstschule Johannes Itten und Netzwerke 1916–1919 33
- 2.2 Studienzeit am Bauhaus in Weimar 1919–1923 47
- 2.2.1 Die Wiener Gruppe um Johannes Itten 47
- 2.2.2 Unterricht 56
- 2.2.3 Erste Architekturentwürfe – Vier Einfamilienhäuser 77
- 3 Berufliche Anfänge 89
- 3.1 Aufträge für Theater in Dresden und Berlin 1921–1922 89
- 3.2 Werkstätten Bildender Kunst GmbH, Berlin 1923–1926 92
- 3.2.1 Arbeiten für Die Truppe 107
- 3.2.2 Die Auflösung 114
- 4 Die Wiener Ateliergemeinschaft 1925–1938 117
- 4.1 Die Zusammenarbeit von Dicker und Singer 1925–1931 117
- 4.2 Architekturfachkenntnis im Hintergrund – Die AteliermitarbeiterInnen 134
- 4.3 AuftraggeberInnen 140
- 4.4 Strategien der Bewerbung 147
- 4.4.1 Axonometrie und Modell 147
- 4.4.2 Fotografie 154
- 4.4.3 Publikationen 157
- 4.5 Dickers und Singers Wege ab 1933/1934 162
- 5 „Das moderne Wohnprinzip“ – Zwischen Bauhaus und Wien 173
- 5.1 Das Bauhaus als Basis 173
- 5.2 Zur Situation in Wien – Innenraumgestaltung und Architektur 175
- 5.2.1 Die Wiener Moderne um 1900 175
- 5.2.2 Wien in der Zwischenkriegszeit 177
- 5.3 Theorie und Anspruch der Ateliergemeinschaft 182
- 5.4 Einrichtungsgegenstände: Möbel, Leuchten und Kachelöfen 185
- 5.4.1 Vom Einzelstück zur Typisierung – Frühe Möbel 1925–1929 185
- 5.4.1.1 Bauhaus und De Stijl als Vorbild 185
- 5.4.1.2 Verwandelbarkeit als Prinzip 202
- 5.4.1.3 Verbindungen zum Wiener Jugendstil und Biedermeier 210
- 5.4.1.4 Zwischen sozialem und künstlerischem Anspruch: Typisierungstendenzen 216
- 5.4.1.5 Möbeltischler und Hersteller 228
- 5.4.2 Wege zur Serienfabrikation – Stahlrohr- und Sperrholzmöbel 1929–1938 230
- 5.4.2.1 Der Stahlrohrstapelstuhl von Bruno Pollak 234
- 5.4.2.2 Stahlrohrmöbelentwürfe der Ateliergemeinschaft 238
- 5.4.2.3 Hersteller und Produktionsversuche der Stahlrohrmöbel 251
- 5.4.2.4 Entwürfe für die Firma Metz & Co 253
- 5.4.2.5 Sperrholzmöbel 261
- 5.4.2.6 Produktionsversuche der Sperrholzmöbel 264
- 5.4.3 Eine Welt für Kinder – Kindermöbel und Baukastenspiele 1927–1938 266
- 5.4.4 Leuchten und andere Metallarbeiten 289
- 5.4.5 Kachelöfen 302
- 5.5 Raumgestaltungen und Architektur 309
- 5.5.1 Verwendung von Farbe als Gestaltungsmittel 309
- |5.5.2 Intervention im Haus Moller von Adolf Loos und im dazugehörigen Garten 319
- 5.5.2.1 Ein neu entdeckter Möblierungsentwurf 319
- 5.5.2.2 Das Zimmer für Anny Wottitz-Moller 334
- 5.5.2.3 Das Gartenhaus 337
- 5.5.3 Wohnkonzepte auf kleinster Fläche 339
- 5.5.3.1 Einwohnräume 339
- 5.5.3.2 „Wachsende Häuser“ – Entwürfe für Kleinhauswohnbauten in Palästina 362
- 5.5.4 Fulminanter Höhe- und Endpunkt – Das Gästehaus Auersperg-Hériot 379
- 5.6 Epilog: Sozialer Anspruch oder Zeitgeist? – Eine kritische Bewertung 411
- 6 Resümee und Ausblick 417
- 7 Anhang 425
- 7.1 Quellentexte 425
- 7.2 Biografie Friedl Dicker / Franz Singer 428
- 7.3 Archive und Sammlungen 431
- 7.4 Literatur 436
- 7.5 Webseiten 473
- 7.6 Bildnachweis 477
- 7.7 Abkürzungen 480
- 7.8 Abstract 481
- 7.9 Register 482