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Dickers und Singers künstlerische
Ausbildung58
Tiere und Webarbeiten angefertigt wurden.180 Nach der Neuregelung des Lehrbetriebs
1921 ging die Frauenklasse in der bereits 1919 gegründeten Weberei auf, die zunächst
formal von Itten und ab 1921 von Georg Muche geleitet wurde.181 Aus einem Brief
wird Gropius’ konservative Einstellung zur Ausbildung von Frauen ersichtlich: „Nach
unseren Erfahrungen ist es nicht ratsam, daß Frauen in schweren Handwerksbetrieben
wie Tischlerei usw. arbeiten. Aus diesem Grunde bildet sich im Bauhaus mehr und mehr
eine ausgesprochene Frauenabteilung heraus, die sich namentlich mit textilen Arbeiten
beschäftigt, auch Buchbinderei und Töpferei nehmen Frauen auf. Gegen Ausbildung von
Architektinnen sprechen wir uns grundsätzlich aus.“182 Auch Johannes Itten trat für eine
traditionelle Geschlechterkonzeption ein, die sich deutlich an seinen Assoziationsketten:
Männlich – positiv – Rationalität – Kultur; Weiblich – negativ – empfangend – Natur
widerspiegelt.183 Künstlerisches Schaffen war nach seinem Verständnis mit Männlichkeit
verbunden.184 Die noch im Gründungsmanifest postulierte Gleichberechtigung existierte
de facto am Bauhaus weder formal noch in den Köpfen des überwiegend männlichen
Lehrkörpers.185
In seinem Unterricht knüpfte Itten an seine Kunstpädagogik an, die er bereits in seiner
privaten Kunstschule in Wien hatte erproben können.186 Sein Unterricht fand anfangs
einmal wöchentlich am Samstag statt.187 Itten war überzeugt, dass bei der Suche nach den
Grundlagen künstlerischen Schaffens das rationale Wissen überschritten werden müsste
und fand in der Mazdaznan-Lehre eine neue geistige Orientierung, der sich auch der
1920 ans Bauhaus berufene Georg Muche und einige seiner Studierenden anschlossen.188
In seinem späteren Rückblick auf seinen Vorkurs schrieb er: „Es galt, den Menschen in
seiner Ganzheit als schöpferisches Wesen aufzubauen, ein Programm, das ich auch im
Meisterrat immer vertreten habe.“189 Ittens Vorkurs sollte die „schöpferischen Kräfte und
damit die künstlerische Begabung der Lernenden“ freimachen, „nach und nach von aller
toten Konvention befreien und Mut fassen für eigene Arbeit“, wobei die „Material- und
Texturübungen“ die Wahl einer Werkstätte zur Fortsetzung des Studiums erleichtern
sollten.190 Für seinen Unterricht war insbesondere sein ehemaliger Lehrer Adolf Hölzel
180 Elste 2008, S. 14.
181 Ebd.; Erläuterungstext 85,4, in: Wahl 2001, S. 419.
182 Brief Walter Gropius an Annie Weil, 23.2.1921. Zitiert nach: Baumhoff 20062, S. 102.
183 Siehe Ittens Tagebucheinträge: Badura-Triska 1990a, S. 179, 195, 256.
184 Baumhoff 1994, S. 93.
185 Baumhoff 20062, S. 102.
186 Wick 2011, S. 16.
187 Droste 1994, S. 172.
188 Hahn 1994, S. 29.
189 Itten 2003, S. 8.
190 Itten 2003, S. 7.
© 2021 Böhlau Verlag | Brill Österreich GmbH
https://doi.org/10.7767/9783205213161 | CC BY-NC 4.0
Bauhaus in Wien?
Möbeldesign, Innenraumgestaltung und Architektur der Wiener Ateliergemeinschaft von Friedl Dicker und Franz Singer
- Titel
- Bauhaus in Wien?
- Untertitel
- Möbeldesign, Innenraumgestaltung und Architektur der Wiener Ateliergemeinschaft von Friedl Dicker und Franz Singer
- Autor
- Katharina Hövelmann
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21316-1
- Abmessungen
- 17.4 x 25.6 cm
- Seiten
- 492
Inhaltsverzeichnis
- 1 Einleitung 9
- 1.1 Ein vergessenes Kapitel Wiener Design- und Architekturgeschichte 9
- 1.2 Forschungsstand 10
- 1.3 Quellenlage 15
- 1.4 Forschungsziele und Methodik 21
- 2 Dickers und Singers künstlerische Ausbildung im Zeichen von Kunstschulreform und Lebensreformbewegung 27
- 2.1 Die Zeit in Wien 27
- 2.1.1 Herkunft und Ausbildung bis 1916 27
- 2.1.2 Kunstschule Johannes Itten und Netzwerke 1916–1919 33
- 2.2 Studienzeit am Bauhaus in Weimar 1919–1923 47
- 2.2.1 Die Wiener Gruppe um Johannes Itten 47
- 2.2.2 Unterricht 56
- 2.2.3 Erste Architekturentwürfe – Vier Einfamilienhäuser 77
- 3 Berufliche Anfänge 89
- 3.1 Aufträge für Theater in Dresden und Berlin 1921–1922 89
- 3.2 Werkstätten Bildender Kunst GmbH, Berlin 1923–1926 92
- 3.2.1 Arbeiten für Die Truppe 107
- 3.2.2 Die Auflösung 114
- 4 Die Wiener Ateliergemeinschaft 1925–1938 117
- 4.1 Die Zusammenarbeit von Dicker und Singer 1925–1931 117
- 4.2 Architekturfachkenntnis im Hintergrund – Die AteliermitarbeiterInnen 134
- 4.3 AuftraggeberInnen 140
- 4.4 Strategien der Bewerbung 147
- 4.4.1 Axonometrie und Modell 147
- 4.4.2 Fotografie 154
- 4.4.3 Publikationen 157
- 4.5 Dickers und Singers Wege ab 1933/1934 162
- 5 „Das moderne Wohnprinzip“ – Zwischen Bauhaus und Wien 173
- 5.1 Das Bauhaus als Basis 173
- 5.2 Zur Situation in Wien – Innenraumgestaltung und Architektur 175
- 5.2.1 Die Wiener Moderne um 1900 175
- 5.2.2 Wien in der Zwischenkriegszeit 177
- 5.3 Theorie und Anspruch der Ateliergemeinschaft 182
- 5.4 Einrichtungsgegenstände: Möbel, Leuchten und Kachelöfen 185
- 5.4.1 Vom Einzelstück zur Typisierung – Frühe Möbel 1925–1929 185
- 5.4.1.1 Bauhaus und De Stijl als Vorbild 185
- 5.4.1.2 Verwandelbarkeit als Prinzip 202
- 5.4.1.3 Verbindungen zum Wiener Jugendstil und Biedermeier 210
- 5.4.1.4 Zwischen sozialem und künstlerischem Anspruch: Typisierungstendenzen 216
- 5.4.1.5 Möbeltischler und Hersteller 228
- 5.4.2 Wege zur Serienfabrikation – Stahlrohr- und Sperrholzmöbel 1929–1938 230
- 5.4.2.1 Der Stahlrohrstapelstuhl von Bruno Pollak 234
- 5.4.2.2 Stahlrohrmöbelentwürfe der Ateliergemeinschaft 238
- 5.4.2.3 Hersteller und Produktionsversuche der Stahlrohrmöbel 251
- 5.4.2.4 Entwürfe für die Firma Metz & Co 253
- 5.4.2.5 Sperrholzmöbel 261
- 5.4.2.6 Produktionsversuche der Sperrholzmöbel 264
- 5.4.3 Eine Welt für Kinder – Kindermöbel und Baukastenspiele 1927–1938 266
- 5.4.4 Leuchten und andere Metallarbeiten 289
- 5.4.5 Kachelöfen 302
- 5.5 Raumgestaltungen und Architektur 309
- 5.5.1 Verwendung von Farbe als Gestaltungsmittel 309
- |5.5.2 Intervention im Haus Moller von Adolf Loos und im dazugehörigen Garten 319
- 5.5.2.1 Ein neu entdeckter Möblierungsentwurf 319
- 5.5.2.2 Das Zimmer für Anny Wottitz-Moller 334
- 5.5.2.3 Das Gartenhaus 337
- 5.5.3 Wohnkonzepte auf kleinster Fläche 339
- 5.5.3.1 Einwohnräume 339
- 5.5.3.2 „Wachsende Häuser“ – Entwürfe für Kleinhauswohnbauten in Palästina 362
- 5.5.4 Fulminanter Höhe- und Endpunkt – Das Gästehaus Auersperg-Hériot 379
- 5.6 Epilog: Sozialer Anspruch oder Zeitgeist? – Eine kritische Bewertung 411
- 6 Resümee und Ausblick 417
- 7 Anhang 425
- 7.1 Quellentexte 425
- 7.2 Biografie Friedl Dicker / Franz Singer 428
- 7.3 Archive und Sammlungen 431
- 7.4 Literatur 436
- 7.5 Webseiten 473
- 7.6 Bildnachweis 477
- 7.7 Abkürzungen 480
- 7.8 Abstract 481
- 7.9 Register 482