Seite - 72 - in Bauhaus in Wien? - Möbeldesign, Innenraumgestaltung und Architektur der Wiener Ateliergemeinschaft von Friedl Dicker und Franz Singer
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Dickers und Singers künstlerische
Ausbildung72
davon. Wir können uns nur noch zerhacken oder gleichgültig aneinander vorbeigehen.“242
Die Schriftgestaltung des Heftes verweist auf Ittens kalligrafische Schriftbilder, die bei-
spielsweise in der ein Jahr später erschienenen Publikation Utopia integriert wurden. Im
selben Jahr entwarf Singer auch eine Einladung zum „Drachenfliegen“243.
Im Wintersemester 1919/1920 arbeitete er probeweise in der Tischlereiwerkstatt, be-
suchte ab dem Sommersemester 1921, wie Friedl Dicker, die Bühnenwerkstatt und vom
Wintersemester 1921/1922 bis Sommersemester 1923 die Tischlereiwerkstatt, mit der er
am 20. Mai 1922 einen Lehrvertrag für den Zeitraum vom 1. Januar 1922 bis 1. Januar
1925 abschloss.244 Es sind allerdings keine Möbelentwürfe aus der Studienzeit von Singer
überliefert. Und auch über die Werkstattberichte lassen sich nur wenige Informationen
über Singers dortige Tätigkeiten ausfindig machen. So taucht in den Werkstattberich-
ten von Erich Brendel, der vom Wintersemester 1922/1923 bis Sommersemester 1923
Werkmeister der Tischlereiwerkstatt war, der Name „Singer“ nur zwei Mal auf. In Bren-
dels Bericht von Dezember 1922 heißt es: „Es arbeiteten [...] Lehrg. Singer: an einem
Stuhl“ und im Januar 1923: „überhaupt nicht arbeiteten: [...], Singer, Breuer. [...] Singer
und Breuer sind beurlaubt.“245 In der Meisterratssitzung am 20. Oktober 1922 schildert
Gropius, dass Singer „sich von der Mitarbeit an dem allgemeinen Ziel [einer geplanten
Ausstellung]“246 ausgeschlossen habe und in einem Meisterratsprotokoll vom 11. Dezem-
ber 1922 wird von Singer im Zusammenhang der Rentabilität der Werkstattarbeit Fol-
gendes berichtet: „In manchen Werkstätten kann man direkt von Bummelei sprechen.
Er [Gropius] weist dabei auf einzelne Fälle, Umbehr, Singer usw. hin.“247 Diesen Quellen
zufolge scheint Singer in der Tischlereiwerkstatt nicht sonderlich produktiv gewesen zu
sein. Zum einen plagten ihn offensichtlich zeitweise Selbstzweifel. In einem undatierten
Brief an Anny Wottitz schreibt er: „Ich fühl’ mich zu werken vollkommen unfähig. Ich
weiß nicht, ob ich wieder werde malen können, ich hab gar kein Vertrauen mehr zu
mir. Wenn ich nur so weit ausreiche, daß ich tischlern kann, werde ich schon zufrieden
242 AAD/V&AM, Franz Singer, Kalligraphisch gestaltetes Heft zu Franz Mark, AAD 3-1982, PL1.
243 KSW, Graphische Sammlungen, Franz Singer, Einladung zum Drachenfligen, Inv.-Nr. L 2035.
244 Siehe: Winkler 2008, S. 74–75; Winkler 2009, S. 216. In der Meisterratssitzung vom 30. März 1920
wurde beschlossen, Singer „definitiv“ am Bauhaus aufzunehmen. Siehe: ThHStA Weimar, Staatli-
ches Bauhaus Weimar 12, Bl. 42, in: Wahl 2001, S. 79. Am 1. Oktober 1921 wurde beschlossen,
ihn in die Tischlerei aufzunehmen. Siehe: BHA, Archiv W. Gropius, Meisterratsprotokolle, Durch-
schrift, in: ThHStA Weimar, Staatliches Bauhaus Weimar 12, Bl. 96–101, in: Wahl 2001, S. 138.
Lehrvertrag siehe: ThHStA Weimar, Staatliches Bauhaus Weimar, Nr. 133, Bl. 143; AGS.
245 ThHStA Weimar, Staatliches Bauhaus Weimar, Nr. 174, Bl. 4 und 5.
246 Archiv W. Gropius, Meisterratsprotokolle. Durchschrift, in: ThHStA Weimar, Staatliches Bauhaus
Weimar 12, Bl. 235–242, in: Wahl 2001, S. 268.
247 Dies ist der letzte Eintrag zu Singer in den Meisterratsprotokollen. Siehe: BHA, Archiv W. Gro-
pius, Meisterratsprotokolle. Durchschrift, in: ThHStA Weimar, Staatliches Bauhaus Weimar 12, Bl.
259–264, in: Wahl 2001, S. 280.
© 2021 Böhlau Verlag | Brill Österreich GmbH
https://doi.org/10.7767/9783205213161 | CC BY-NC 4.0
Bauhaus in Wien?
Möbeldesign, Innenraumgestaltung und Architektur der Wiener Ateliergemeinschaft von Friedl Dicker und Franz Singer
- Titel
- Bauhaus in Wien?
- Untertitel
- Möbeldesign, Innenraumgestaltung und Architektur der Wiener Ateliergemeinschaft von Friedl Dicker und Franz Singer
- Autor
- Katharina Hövelmann
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21316-1
- Abmessungen
- 17.4 x 25.6 cm
- Seiten
- 492
Inhaltsverzeichnis
- 1 Einleitung 9
- 1.1 Ein vergessenes Kapitel Wiener Design- und Architekturgeschichte 9
- 1.2 Forschungsstand 10
- 1.3 Quellenlage 15
- 1.4 Forschungsziele und Methodik 21
- 2 Dickers und Singers künstlerische Ausbildung im Zeichen von Kunstschulreform und Lebensreformbewegung 27
- 2.1 Die Zeit in Wien 27
- 2.1.1 Herkunft und Ausbildung bis 1916 27
- 2.1.2 Kunstschule Johannes Itten und Netzwerke 1916–1919 33
- 2.2 Studienzeit am Bauhaus in Weimar 1919–1923 47
- 2.2.1 Die Wiener Gruppe um Johannes Itten 47
- 2.2.2 Unterricht 56
- 2.2.3 Erste Architekturentwürfe – Vier Einfamilienhäuser 77
- 3 Berufliche Anfänge 89
- 3.1 Aufträge für Theater in Dresden und Berlin 1921–1922 89
- 3.2 Werkstätten Bildender Kunst GmbH, Berlin 1923–1926 92
- 3.2.1 Arbeiten für Die Truppe 107
- 3.2.2 Die Auflösung 114
- 4 Die Wiener Ateliergemeinschaft 1925–1938 117
- 4.1 Die Zusammenarbeit von Dicker und Singer 1925–1931 117
- 4.2 Architekturfachkenntnis im Hintergrund – Die AteliermitarbeiterInnen 134
- 4.3 AuftraggeberInnen 140
- 4.4 Strategien der Bewerbung 147
- 4.4.1 Axonometrie und Modell 147
- 4.4.2 Fotografie 154
- 4.4.3 Publikationen 157
- 4.5 Dickers und Singers Wege ab 1933/1934 162
- 5 „Das moderne Wohnprinzip“ – Zwischen Bauhaus und Wien 173
- 5.1 Das Bauhaus als Basis 173
- 5.2 Zur Situation in Wien – Innenraumgestaltung und Architektur 175
- 5.2.1 Die Wiener Moderne um 1900 175
- 5.2.2 Wien in der Zwischenkriegszeit 177
- 5.3 Theorie und Anspruch der Ateliergemeinschaft 182
- 5.4 Einrichtungsgegenstände: Möbel, Leuchten und Kachelöfen 185
- 5.4.1 Vom Einzelstück zur Typisierung – Frühe Möbel 1925–1929 185
- 5.4.1.1 Bauhaus und De Stijl als Vorbild 185
- 5.4.1.2 Verwandelbarkeit als Prinzip 202
- 5.4.1.3 Verbindungen zum Wiener Jugendstil und Biedermeier 210
- 5.4.1.4 Zwischen sozialem und künstlerischem Anspruch: Typisierungstendenzen 216
- 5.4.1.5 Möbeltischler und Hersteller 228
- 5.4.2 Wege zur Serienfabrikation – Stahlrohr- und Sperrholzmöbel 1929–1938 230
- 5.4.2.1 Der Stahlrohrstapelstuhl von Bruno Pollak 234
- 5.4.2.2 Stahlrohrmöbelentwürfe der Ateliergemeinschaft 238
- 5.4.2.3 Hersteller und Produktionsversuche der Stahlrohrmöbel 251
- 5.4.2.4 Entwürfe für die Firma Metz & Co 253
- 5.4.2.5 Sperrholzmöbel 261
- 5.4.2.6 Produktionsversuche der Sperrholzmöbel 264
- 5.4.3 Eine Welt für Kinder – Kindermöbel und Baukastenspiele 1927–1938 266
- 5.4.4 Leuchten und andere Metallarbeiten 289
- 5.4.5 Kachelöfen 302
- 5.5 Raumgestaltungen und Architektur 309
- 5.5.1 Verwendung von Farbe als Gestaltungsmittel 309
- |5.5.2 Intervention im Haus Moller von Adolf Loos und im dazugehörigen Garten 319
- 5.5.2.1 Ein neu entdeckter Möblierungsentwurf 319
- 5.5.2.2 Das Zimmer für Anny Wottitz-Moller 334
- 5.5.2.3 Das Gartenhaus 337
- 5.5.3 Wohnkonzepte auf kleinster Fläche 339
- 5.5.3.1 Einwohnräume 339
- 5.5.3.2 „Wachsende Häuser“ – Entwürfe für Kleinhauswohnbauten in Palästina 362
- 5.5.4 Fulminanter Höhe- und Endpunkt – Das Gästehaus Auersperg-Hériot 379
- 5.6 Epilog: Sozialer Anspruch oder Zeitgeist? – Eine kritische Bewertung 411
- 6 Resümee und Ausblick 417
- 7 Anhang 425
- 7.1 Quellentexte 425
- 7.2 Biografie Friedl Dicker / Franz Singer 428
- 7.3 Archive und Sammlungen 431
- 7.4 Literatur 436
- 7.5 Webseiten 473
- 7.6 Bildnachweis 477
- 7.7 Abkürzungen 480
- 7.8 Abstract 481
- 7.9 Register 482