Seite - 99 - in Bauhaus in Wien? - Möbeldesign, Innenraumgestaltung und Architektur der Wiener Ateliergemeinschaft von Friedl Dicker und Franz Singer
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Werkstätten Bildender Kunst GmbH, Berlin 1923–1926 99
führte.40 In einem undatierten Briefentwurf an den Meisterrat des Bauhauses distanziert sie
sich von der technischen Herangehensweise Dorfners: „Im Sinne des B.[auhauses] gibt es
keine bestehende Technik, die ohne weiteres übernommen werden muß sondern es sucht,
u.[nd] findet sie jeder in jedem einzelnen Fall durch die Verwirkl.[ichung] seiner Formvor-
stellg.[ung].“41 Am 8. April 1922 heißt es über sie in einem Meisterratsprotokoll: „Meister
Schreyer äußert sich über Frl.[Fräulein] Wottitz dahin, daß sie handwerklich noch sehr
unvollkommen sei, künstlerisch sei ihr Begabung nicht abzusprechen. [...] Wenn sie ihr
Gesellenstück in der Werkstatt noch machen will, steht nichts im Wege.“42 Im Sommer-
semester 1922 legte sie ihre Gesellenprüfung in Wien ab und betrieb vom 23. September
1922 bis 1. Mai 1923 eine eigene Buchbindewerkstatt in den Räumen des Bauhauses.43
Einige ihrer Buchbindearbeiten haben sich im Bauhaus-Archiv Berlin, im Archive of
Art and Design des Victoria & Albert Museums in London, in der Herzogin Anna Amalia
Bibliothek in Weimar und in Privatbesitz erhalten (Abb. 61–62). Unter den Exemplaren
befinden sich die im Utopia-Verlag erschienenen Bände Patmos44 und Gesammelte Werke45
von Friedrich Hölderlin (1922/1923) sowie Die Sage von St. Julian dem Gastfreien46 von
Gustave Flaubert (1923).47 Wottitz scheint aber nicht allein als Buchbinderin für die Werk-
40 Vgl. Glemnitz 2008, S. 178; Lobisch/Wiedermeyer 2009, S. 123–126.
41 KSW, Neue Sammlungen – Bauhausmuseum, Briefentwurf von Anny Wottitz, undatiert, um
1921/1922, Inv.-Nr. Gr-2016/377. Vermutlich handelt es sich um das von Gropius im Protokoll
der Meisterratssitzung am 8.4.1922 erwähnte von Wottitz am 22.3.1922 verfasste Schreiben. Im
Protokoll ist festgehalten, dass Gropius Wottitz’ Forderungen teilweise für „unerfüllbar“ hält. Siehe:
BHA, Archiv W. Gropius, Meisterratsprotokolle, Protokoll der Sitzung des Meisterrats am 8.4.1922.
Siehe: Wahl 2001, S. 175.
42 BHA, Archiv W. Gropius, Meisterratsprotokolle, Protokoll der Sitzung des Meisterrats am 8.4.1922,
in: Wahl 2001, S. 175.
43 Glemnitz 2008, S. 178.
44 BHA, Objektsammlung, Anny Wottitz, Inv.-Nr. 1759.
45 BHA, Objektsammlung, Anny Wottitz, Bd. 3 der vierbändigen Hölderlin-Ausgabe, Inv.-Nr. 1753.
In der HAAB in Weimar befindet sich eine vierbändige Hölderlin-Ausgabe in farbigen Kartonum-
schlägen aus dem Jahr 1923. Im vierten Band ist angegeben, dass die Einbände von Anny Wottitz
und Franz Singer entworfen und hergestellt worden seien.
46 Laut Impressum einer Ausgabe in der HAAB (um 1924) dieses Buches mit einer Auflage von 150
Stück gab es 15 Vorzugsausgaben, die von Anny Wottitz teils in Fell und Schildpatt, teils in Holz
gebunden wurden. Eine nicht nummerierte der Vorzugsausgabe entsprechende Ausgabe mit Holz-
einband mit Provenienz Georg Haar befindet sich in der HAAB in Weimar.
47 In weiteren Verlagen erschienen die Bände: Chorus Mysticus. Alchimistische Transmutations-ge-
schichten aus Schmieders Geschichte der Alchemie (1923), BHA, Objektsammlung, Anny Wot-
titz, Inv.-Nr. 1754, Inv.-Nr. 3103; Offenbarungen der Schwester Mechthild von Magdeburg (um
1923), BHA, Objektsammlung, Anny Wottitz, Inv.-Nr. 1761; Afrikanische Märchen (1922/23),
BHA, Objektsammlung, Anny Wottitz, Inv.-Nr. 1758. Ein weiteres Exemplar befindet sich in Pri-
vatbesitz Familie Adler; Entzweit-Einsam (1923) von August Strindberg, BHA, Objektsammlung,
© 2021 Böhlau Verlag | Brill Österreich GmbH
https://doi.org/10.7767/9783205213161 | CC BY-NC 4.0
Bauhaus in Wien?
Möbeldesign, Innenraumgestaltung und Architektur der Wiener Ateliergemeinschaft von Friedl Dicker und Franz Singer
- Titel
- Bauhaus in Wien?
- Untertitel
- Möbeldesign, Innenraumgestaltung und Architektur der Wiener Ateliergemeinschaft von Friedl Dicker und Franz Singer
- Autor
- Katharina Hövelmann
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21316-1
- Abmessungen
- 17.4 x 25.6 cm
- Seiten
- 492
Inhaltsverzeichnis
- 1 Einleitung 9
- 1.1 Ein vergessenes Kapitel Wiener Design- und Architekturgeschichte 9
- 1.2 Forschungsstand 10
- 1.3 Quellenlage 15
- 1.4 Forschungsziele und Methodik 21
- 2 Dickers und Singers künstlerische Ausbildung im Zeichen von Kunstschulreform und Lebensreformbewegung 27
- 2.1 Die Zeit in Wien 27
- 2.1.1 Herkunft und Ausbildung bis 1916 27
- 2.1.2 Kunstschule Johannes Itten und Netzwerke 1916–1919 33
- 2.2 Studienzeit am Bauhaus in Weimar 1919–1923 47
- 2.2.1 Die Wiener Gruppe um Johannes Itten 47
- 2.2.2 Unterricht 56
- 2.2.3 Erste Architekturentwürfe – Vier Einfamilienhäuser 77
- 3 Berufliche Anfänge 89
- 3.1 Aufträge für Theater in Dresden und Berlin 1921–1922 89
- 3.2 Werkstätten Bildender Kunst GmbH, Berlin 1923–1926 92
- 3.2.1 Arbeiten für Die Truppe 107
- 3.2.2 Die Auflösung 114
- 4 Die Wiener Ateliergemeinschaft 1925–1938 117
- 4.1 Die Zusammenarbeit von Dicker und Singer 1925–1931 117
- 4.2 Architekturfachkenntnis im Hintergrund – Die AteliermitarbeiterInnen 134
- 4.3 AuftraggeberInnen 140
- 4.4 Strategien der Bewerbung 147
- 4.4.1 Axonometrie und Modell 147
- 4.4.2 Fotografie 154
- 4.4.3 Publikationen 157
- 4.5 Dickers und Singers Wege ab 1933/1934 162
- 5 „Das moderne Wohnprinzip“ – Zwischen Bauhaus und Wien 173
- 5.1 Das Bauhaus als Basis 173
- 5.2 Zur Situation in Wien – Innenraumgestaltung und Architektur 175
- 5.2.1 Die Wiener Moderne um 1900 175
- 5.2.2 Wien in der Zwischenkriegszeit 177
- 5.3 Theorie und Anspruch der Ateliergemeinschaft 182
- 5.4 Einrichtungsgegenstände: Möbel, Leuchten und Kachelöfen 185
- 5.4.1 Vom Einzelstück zur Typisierung – Frühe Möbel 1925–1929 185
- 5.4.1.1 Bauhaus und De Stijl als Vorbild 185
- 5.4.1.2 Verwandelbarkeit als Prinzip 202
- 5.4.1.3 Verbindungen zum Wiener Jugendstil und Biedermeier 210
- 5.4.1.4 Zwischen sozialem und künstlerischem Anspruch: Typisierungstendenzen 216
- 5.4.1.5 Möbeltischler und Hersteller 228
- 5.4.2 Wege zur Serienfabrikation – Stahlrohr- und Sperrholzmöbel 1929–1938 230
- 5.4.2.1 Der Stahlrohrstapelstuhl von Bruno Pollak 234
- 5.4.2.2 Stahlrohrmöbelentwürfe der Ateliergemeinschaft 238
- 5.4.2.3 Hersteller und Produktionsversuche der Stahlrohrmöbel 251
- 5.4.2.4 Entwürfe für die Firma Metz & Co 253
- 5.4.2.5 Sperrholzmöbel 261
- 5.4.2.6 Produktionsversuche der Sperrholzmöbel 264
- 5.4.3 Eine Welt für Kinder – Kindermöbel und Baukastenspiele 1927–1938 266
- 5.4.4 Leuchten und andere Metallarbeiten 289
- 5.4.5 Kachelöfen 302
- 5.5 Raumgestaltungen und Architektur 309
- 5.5.1 Verwendung von Farbe als Gestaltungsmittel 309
- |5.5.2 Intervention im Haus Moller von Adolf Loos und im dazugehörigen Garten 319
- 5.5.2.1 Ein neu entdeckter Möblierungsentwurf 319
- 5.5.2.2 Das Zimmer für Anny Wottitz-Moller 334
- 5.5.2.3 Das Gartenhaus 337
- 5.5.3 Wohnkonzepte auf kleinster Fläche 339
- 5.5.3.1 Einwohnräume 339
- 5.5.3.2 „Wachsende Häuser“ – Entwürfe für Kleinhauswohnbauten in Palästina 362
- 5.5.4 Fulminanter Höhe- und Endpunkt – Das Gästehaus Auersperg-Hériot 379
- 5.6 Epilog: Sozialer Anspruch oder Zeitgeist? – Eine kritische Bewertung 411
- 6 Resümee und Ausblick 417
- 7 Anhang 425
- 7.1 Quellentexte 425
- 7.2 Biografie Friedl Dicker / Franz Singer 428
- 7.3 Archive und Sammlungen 431
- 7.4 Literatur 436
- 7.5 Webseiten 473
- 7.6 Bildnachweis 477
- 7.7 Abkürzungen 480
- 7.8 Abstract 481
- 7.9 Register 482