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Werkstätten Bildender Kunst GmbH, Berlin 1923–1926 113
deutlich: „Ich bin so wie Sie mit der jetzigen Art der Führung der Truppe nicht einver-
standen [...]. Zu den berechtigten Forderungen ist zu bemerken, daß ich mit aller Kraft
versuche das Geld für Sie zu verschaffen leider ohne Erfolg, da die Truppe kein Geld
hat, wie mir mitgeteilt wurde.“90 Bald darauf löste sich Die Truppe auf. Fritz Kortner
und Berthold Viertel hatten sich bereits bei den Proben von Der Kaufmann von Venedig
zerstritten, woraufhin Kortner zusammen mit seiner Frau, der Schauspielerin Johanna
Hofer, das Ensemble nach der Laufzeit von nur einem Monat verließ.91
1924 beschloss Viertel anlässlich des 25-jährigen Jubiläums der Zeitschrift „Die Fa-
ckel“ zwei Stücke von Karl Kraus, Das Traumstück und Traumtheater, aufzuführen und
hielt bei der Aufführung eine Laudatio auf seinen Freund. Salka Viertel vermerkte hierzu:
„Bertholds Rede wurde schweigend aufgenommen. Nur ein paar besonders Mutige
wagten zu applaudieren.“92 Als Folge darauf habe der Finanzier Richard Weininger der
Truppe die finanzielle Unterstützung entzogen.93 Aufricht schreibt hingegen, das der „Ab-
gesang“ der Truppe eine schwache Aufführung des Stückes Der Liebestrank von Wedekind
gewesen sei. Nach nur acht Monaten löste sich das Theaterensemble im Mai 1924 auf,
da Viertel erklärte, dass die „Mittel an Geld und die Möglichkeiten neues aufzutreiben
erschöpft wären“ und demzufolge nicht weitergespielt werden könnte.94
Angesichts einer herben Kritik von Herbert Ihering schreibt Berthold Viertel an Karl
Kraus resigniert über seine Berliner Theaterarbeit im Juni 1924: „Dieser Mensch hat
den weitaus größten Teil meiner Theaterarbeiten (Wien und Dresden) überhaupt nicht
gesehen, nur die Berliner Arbeiten, die fast alle aus der Not und dem Mangel entstanden
sind. [...] Und um dieser Beurteilung willen muss man durch die Berliner Theaterwelt
Spießruten laufen.“95 Aufricht resümierte, dass Die Truppe mit großem Idealismus unter
sehr schwierigen Verhältnissen Anfang der Zwanzigerjahre arbeitete: „Wir hatten acht
Monate gespielt, wir hatten täglich Vormittag und Nachmittag und viele Nächte in ei-
nem ungeheizten Theater probiert, wir hatten einen Würgevertrag mit der Direktion des
Theaters, wir hatten kaum Einnahmen, wir machten alle Erschütterungen der Währung
mit, wir mußten unterbezahlte Schauspieler bei der Stange halten und wären glücklich
gewesen, unter denselben Bedingungen weiterspielen zu können. Die Aufführungen der
‚Truppe‘ hatten trotz ihrer Mängel das Niveau der ersten Berliner Theater.“96
90 AGS, Brief Ludwig Münz an Franz Singer, undatiert, um 1923.
91 Viertel 2011, S. 148.
92 Viertel 2011, S. 150.
93 Völker 1988, S. 11; Viertel 2011, S. 150–151.
94 Aufricht 1966, S. 58–59.
95 Völker 1988, S. 17.
96 Aufricht 1966, S. 58.
© 2021 Böhlau Verlag | Brill Österreich GmbH
https://doi.org/10.7767/9783205213161 | CC BY-NC 4.0
Bauhaus in Wien?
Möbeldesign, Innenraumgestaltung und Architektur der Wiener Ateliergemeinschaft von Friedl Dicker und Franz Singer
- Titel
- Bauhaus in Wien?
- Untertitel
- Möbeldesign, Innenraumgestaltung und Architektur der Wiener Ateliergemeinschaft von Friedl Dicker und Franz Singer
- Autor
- Katharina Hövelmann
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21316-1
- Abmessungen
- 17.4 x 25.6 cm
- Seiten
- 492
Inhaltsverzeichnis
- 1 Einleitung 9
- 1.1 Ein vergessenes Kapitel Wiener Design- und Architekturgeschichte 9
- 1.2 Forschungsstand 10
- 1.3 Quellenlage 15
- 1.4 Forschungsziele und Methodik 21
- 2 Dickers und Singers künstlerische Ausbildung im Zeichen von Kunstschulreform und Lebensreformbewegung 27
- 2.1 Die Zeit in Wien 27
- 2.1.1 Herkunft und Ausbildung bis 1916 27
- 2.1.2 Kunstschule Johannes Itten und Netzwerke 1916–1919 33
- 2.2 Studienzeit am Bauhaus in Weimar 1919–1923 47
- 2.2.1 Die Wiener Gruppe um Johannes Itten 47
- 2.2.2 Unterricht 56
- 2.2.3 Erste Architekturentwürfe – Vier Einfamilienhäuser 77
- 3 Berufliche Anfänge 89
- 3.1 Aufträge für Theater in Dresden und Berlin 1921–1922 89
- 3.2 Werkstätten Bildender Kunst GmbH, Berlin 1923–1926 92
- 3.2.1 Arbeiten für Die Truppe 107
- 3.2.2 Die Auflösung 114
- 4 Die Wiener Ateliergemeinschaft 1925–1938 117
- 4.1 Die Zusammenarbeit von Dicker und Singer 1925–1931 117
- 4.2 Architekturfachkenntnis im Hintergrund – Die AteliermitarbeiterInnen 134
- 4.3 AuftraggeberInnen 140
- 4.4 Strategien der Bewerbung 147
- 4.4.1 Axonometrie und Modell 147
- 4.4.2 Fotografie 154
- 4.4.3 Publikationen 157
- 4.5 Dickers und Singers Wege ab 1933/1934 162
- 5 „Das moderne Wohnprinzip“ – Zwischen Bauhaus und Wien 173
- 5.1 Das Bauhaus als Basis 173
- 5.2 Zur Situation in Wien – Innenraumgestaltung und Architektur 175
- 5.2.1 Die Wiener Moderne um 1900 175
- 5.2.2 Wien in der Zwischenkriegszeit 177
- 5.3 Theorie und Anspruch der Ateliergemeinschaft 182
- 5.4 Einrichtungsgegenstände: Möbel, Leuchten und Kachelöfen 185
- 5.4.1 Vom Einzelstück zur Typisierung – Frühe Möbel 1925–1929 185
- 5.4.1.1 Bauhaus und De Stijl als Vorbild 185
- 5.4.1.2 Verwandelbarkeit als Prinzip 202
- 5.4.1.3 Verbindungen zum Wiener Jugendstil und Biedermeier 210
- 5.4.1.4 Zwischen sozialem und künstlerischem Anspruch: Typisierungstendenzen 216
- 5.4.1.5 Möbeltischler und Hersteller 228
- 5.4.2 Wege zur Serienfabrikation – Stahlrohr- und Sperrholzmöbel 1929–1938 230
- 5.4.2.1 Der Stahlrohrstapelstuhl von Bruno Pollak 234
- 5.4.2.2 Stahlrohrmöbelentwürfe der Ateliergemeinschaft 238
- 5.4.2.3 Hersteller und Produktionsversuche der Stahlrohrmöbel 251
- 5.4.2.4 Entwürfe für die Firma Metz & Co 253
- 5.4.2.5 Sperrholzmöbel 261
- 5.4.2.6 Produktionsversuche der Sperrholzmöbel 264
- 5.4.3 Eine Welt für Kinder – Kindermöbel und Baukastenspiele 1927–1938 266
- 5.4.4 Leuchten und andere Metallarbeiten 289
- 5.4.5 Kachelöfen 302
- 5.5 Raumgestaltungen und Architektur 309
- 5.5.1 Verwendung von Farbe als Gestaltungsmittel 309
- |5.5.2 Intervention im Haus Moller von Adolf Loos und im dazugehörigen Garten 319
- 5.5.2.1 Ein neu entdeckter Möblierungsentwurf 319
- 5.5.2.2 Das Zimmer für Anny Wottitz-Moller 334
- 5.5.2.3 Das Gartenhaus 337
- 5.5.3 Wohnkonzepte auf kleinster Fläche 339
- 5.5.3.1 Einwohnräume 339
- 5.5.3.2 „Wachsende Häuser“ – Entwürfe für Kleinhauswohnbauten in Palästina 362
- 5.5.4 Fulminanter Höhe- und Endpunkt – Das Gästehaus Auersperg-Hériot 379
- 5.6 Epilog: Sozialer Anspruch oder Zeitgeist? – Eine kritische Bewertung 411
- 6 Resümee und Ausblick 417
- 7 Anhang 425
- 7.1 Quellentexte 425
- 7.2 Biografie Friedl Dicker / Franz Singer 428
- 7.3 Archive und Sammlungen 431
- 7.4 Literatur 436
- 7.5 Webseiten 473
- 7.6 Bildnachweis 477
- 7.7 Abkürzungen 480
- 7.8 Abstract 481
- 7.9 Register 482