Seite - 122 - in Bauhaus in Wien? - Möbeldesign, Innenraumgestaltung und Architektur der Wiener Ateliergemeinschaft von Friedl Dicker und Franz Singer
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Die Wiener Ateliergemeinschaft
1925–1938122
Hinzu kommt die Tatsache, dass die Raumgestaltungen in Zeitschriften stets als
Werke von „Architekt Franz Singer“25 publiziert wurden. Daher ist anzunehmen, dass
Dicker von Franz Singer nicht als Partnerin unter formalen Gesichtspunkten verstanden
wurde, sondern als Angestellte für ihn tätig war. So findet sich im Nachlass auch kein
offizielles Briefpapier mit der Benennung „Atelier Singer-Dicker“, jedoch mit dem Brief-
kopf „Atelier Franz Singer“ (Abb. 76).26
Der Großteil der erhaltenen Zeichnungen ist zudem mit folgendem Stempeldruck
versehen: „Franz Singer, VI. Schadekgasse 18, Atelier, Diese Zeichnung ist mein geistiges
Eigentum und darf ohne meine Genehmigung weder kopiert noch dritten Personen mit-
geteilt werden (Gesetz vom 26/12 1895 R. G. B. 197)“ (Abb. 77). Obgleich der Stempel
frühestens ab 1931 verwendet worden sein dürfte, als die Ateliergemeinschaft mit Dicker
aufgelöst war und Singer offiziell sein Atelier in die Schadekgasse verlegt hatte, wird
deutlich, dass Franz Singer die Urheberschaft der Ideen für sich allein beanspruchte.27
Die gemeinsame Tätigkeit von Dicker und Singer ist daher vielmehr als projektbezogener
Arbeitsverbund zu verstehen.
Da bereits ab 1927 Bruno Pollak (1902–1985) und ab 1929 Leopoldine Schrom
(1900–1984) und Anna Szabó (1907–1988) ihre Tätigkeit im Atelier aufnahmen und
sie alle an der Technischen Hochschule Wien Architektur studiert hatten, kann davon
ausgegangen werden, dass insbesondere die Perspektivzeichnungen von ihnen angefertigt
wurden.28 Der überwiegende Teil der Zeichnungen wurde nicht signiert, womit die Zu-
schreibung zumeist nicht geklärt werden kann. Die Beschriftungen auf den Zeichnungen
lassen sich aber zum Teil den Handschriften der MitarbeiterInnen zuordnen. Da diese
25 Offiziell durfte Singer sich seit 1937 als Architekt bezeichnen. Einem Bescheid des „Bundesminis-
teriums für Handel und Verkehr“ vom 2.12.1937 zufolge wurde seinem „Ansuchen um Verleihung
der Befugnis eines Architekten“ stattgegeben. Im Schreiben heißt es, dass er sich allerdings noch
der „vorgeschriebenen Prüfung“ zu unterziehen habe. Es ist nicht bekannt, ob Singer die Prüfung
ablegte. Siehe: Franz Singer, Ansuchen um Verleihung der Befugnis eines Architekten, „Verzeichnis
der von mir geleisteten Arbeiten“, 31.7.1937, Original: ÖStA/AdR HBbBuT BMfHuV Allg Reihe
PTech Singer Franz Karl 08.02.1896 GZl. 71537/1937 Singer, Franz Karl, 08.02.1896, 1919–1938
(Akt (Sammelakt, Grundzl., Konvolut, Dossier, File)). Kopie: AGS.
26 Briefpapier von Franz Singer befindet sich im AGS.
27 Da auch vor 1931 entstandene Pläne gestempelt sind, ist davon auszugehen, dass die Stempelungen
nachträglich erfolgten. In einem Brief von September 1937 erwähnt die Mitarbeiterin Leopoldine
Schrom noch fehlende Stempelungen von Plänen. Siehe: AGS, Postkarte Leopoldine Schrom an
Fritz Lederer, 6.9.1937.
28 Siehe: AGS, Brief Leopoldine Schrom an Anna Szabó, 29.4.1973[?]. Darin berät Schrom Szabó
offenbar zu Angaben ihres Lebenslaufs: „Ich würde angeben, dass Du Dich 1938, weil im Ganzen
das Atelier weniger Aufträge hatte, für die Farbgebung massgebend warst, da Du allein im Sinne von
F. S. das fertig brachtest. Und daher die farbigen Schaubilder jeweils ausarbeiten musstet.“
© 2021 Böhlau Verlag | Brill Österreich GmbH
https://doi.org/10.7767/9783205213161 | CC BY-NC 4.0
Bauhaus in Wien?
Möbeldesign, Innenraumgestaltung und Architektur der Wiener Ateliergemeinschaft von Friedl Dicker und Franz Singer
- Titel
- Bauhaus in Wien?
- Untertitel
- Möbeldesign, Innenraumgestaltung und Architektur der Wiener Ateliergemeinschaft von Friedl Dicker und Franz Singer
- Autor
- Katharina Hövelmann
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21316-1
- Abmessungen
- 17.4 x 25.6 cm
- Seiten
- 492
Inhaltsverzeichnis
- 1 Einleitung 9
- 1.1 Ein vergessenes Kapitel Wiener Design- und Architekturgeschichte 9
- 1.2 Forschungsstand 10
- 1.3 Quellenlage 15
- 1.4 Forschungsziele und Methodik 21
- 2 Dickers und Singers künstlerische Ausbildung im Zeichen von Kunstschulreform und Lebensreformbewegung 27
- 2.1 Die Zeit in Wien 27
- 2.1.1 Herkunft und Ausbildung bis 1916 27
- 2.1.2 Kunstschule Johannes Itten und Netzwerke 1916–1919 33
- 2.2 Studienzeit am Bauhaus in Weimar 1919–1923 47
- 2.2.1 Die Wiener Gruppe um Johannes Itten 47
- 2.2.2 Unterricht 56
- 2.2.3 Erste Architekturentwürfe – Vier Einfamilienhäuser 77
- 3 Berufliche Anfänge 89
- 3.1 Aufträge für Theater in Dresden und Berlin 1921–1922 89
- 3.2 Werkstätten Bildender Kunst GmbH, Berlin 1923–1926 92
- 3.2.1 Arbeiten für Die Truppe 107
- 3.2.2 Die Auflösung 114
- 4 Die Wiener Ateliergemeinschaft 1925–1938 117
- 4.1 Die Zusammenarbeit von Dicker und Singer 1925–1931 117
- 4.2 Architekturfachkenntnis im Hintergrund – Die AteliermitarbeiterInnen 134
- 4.3 AuftraggeberInnen 140
- 4.4 Strategien der Bewerbung 147
- 4.4.1 Axonometrie und Modell 147
- 4.4.2 Fotografie 154
- 4.4.3 Publikationen 157
- 4.5 Dickers und Singers Wege ab 1933/1934 162
- 5 „Das moderne Wohnprinzip“ – Zwischen Bauhaus und Wien 173
- 5.1 Das Bauhaus als Basis 173
- 5.2 Zur Situation in Wien – Innenraumgestaltung und Architektur 175
- 5.2.1 Die Wiener Moderne um 1900 175
- 5.2.2 Wien in der Zwischenkriegszeit 177
- 5.3 Theorie und Anspruch der Ateliergemeinschaft 182
- 5.4 Einrichtungsgegenstände: Möbel, Leuchten und Kachelöfen 185
- 5.4.1 Vom Einzelstück zur Typisierung – Frühe Möbel 1925–1929 185
- 5.4.1.1 Bauhaus und De Stijl als Vorbild 185
- 5.4.1.2 Verwandelbarkeit als Prinzip 202
- 5.4.1.3 Verbindungen zum Wiener Jugendstil und Biedermeier 210
- 5.4.1.4 Zwischen sozialem und künstlerischem Anspruch: Typisierungstendenzen 216
- 5.4.1.5 Möbeltischler und Hersteller 228
- 5.4.2 Wege zur Serienfabrikation – Stahlrohr- und Sperrholzmöbel 1929–1938 230
- 5.4.2.1 Der Stahlrohrstapelstuhl von Bruno Pollak 234
- 5.4.2.2 Stahlrohrmöbelentwürfe der Ateliergemeinschaft 238
- 5.4.2.3 Hersteller und Produktionsversuche der Stahlrohrmöbel 251
- 5.4.2.4 Entwürfe für die Firma Metz & Co 253
- 5.4.2.5 Sperrholzmöbel 261
- 5.4.2.6 Produktionsversuche der Sperrholzmöbel 264
- 5.4.3 Eine Welt für Kinder – Kindermöbel und Baukastenspiele 1927–1938 266
- 5.4.4 Leuchten und andere Metallarbeiten 289
- 5.4.5 Kachelöfen 302
- 5.5 Raumgestaltungen und Architektur 309
- 5.5.1 Verwendung von Farbe als Gestaltungsmittel 309
- |5.5.2 Intervention im Haus Moller von Adolf Loos und im dazugehörigen Garten 319
- 5.5.2.1 Ein neu entdeckter Möblierungsentwurf 319
- 5.5.2.2 Das Zimmer für Anny Wottitz-Moller 334
- 5.5.2.3 Das Gartenhaus 337
- 5.5.3 Wohnkonzepte auf kleinster Fläche 339
- 5.5.3.1 Einwohnräume 339
- 5.5.3.2 „Wachsende Häuser“ – Entwürfe für Kleinhauswohnbauten in Palästina 362
- 5.5.4 Fulminanter Höhe- und Endpunkt – Das Gästehaus Auersperg-Hériot 379
- 5.6 Epilog: Sozialer Anspruch oder Zeitgeist? – Eine kritische Bewertung 411
- 6 Resümee und Ausblick 417
- 7 Anhang 425
- 7.1 Quellentexte 425
- 7.2 Biografie Friedl Dicker / Franz Singer 428
- 7.3 Archive und Sammlungen 431
- 7.4 Literatur 436
- 7.5 Webseiten 473
- 7.6 Bildnachweis 477
- 7.7 Abkürzungen 480
- 7.8 Abstract 481
- 7.9 Register 482