Seite - 125 - in Bauhaus in Wien? - Möbeldesign, Innenraumgestaltung und Architektur der Wiener Ateliergemeinschaft von Friedl Dicker und Franz Singer
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Die Zusammenarbeit von Dicker und Singer 1925–1931 125
(Abb. 81). Möglicherweise ist das ein Indiz dafür, dass Singer diese frühen Möbelzeich-
nungen zum Teil selbst gezeichnet hat.
Bei den Innenraumgestaltungen war Dicker offenbar vermehrt für Farben und Mate-
rialien zuständig. Zu der 1930 eingerichteten Wohnung in Berlin-Wilmersdorf für ihre
Freundin und Studienkollegin Margit Téry, die ab 1928 mit Hugo Buschmann30 (1899–
1983) verheiratet war, ist ein Brief von Dicker erhalten, der detaillierte Farb- und Ma-
terialangaben sowie Musterproben für Wände und Böden enthält (Abb. 82).31 Weitere
Briefe belegen zudem Dickers Mitarbeit bei der Wohnung Reisner in Wien (1929), der
Villa Neumann in Reichenberg (1930) und der Wohnung Neumann in Prag (1937).32
Darüber hinaus sind auf sämtlichen fotografischen Wohnungsaufnahmen bis 1930 Tex-
tilien zu erkennen, die aus der Hand von Dicker stammen dürften. Auf den Rückseiten
der Fotos ist den – teilweise Dicker zuschreibbaren – Vermerken zu entnehmen, dass die
Textilien in Handarbeit entstanden sind.33 Dazu gehören beispielsweise die Vorhänge mit
abstrakt-geometrischen Mustern in den Wohnungen Wottitz-Moller (1925) und Hunger
(1928) (Abb. 83). Ebenso wurden von ihr die Gurtbespannungen, Möbelbezugsstoffe,
Wandteppiche und Tagesdecken entworfen und angefertigt (Abb. 84–85).34 Für die Mö-
belstoffe kamen „Bast, Lederriemchen, polierte Holzstäbe“ und „dicke Schafwolle“ zum
Einsatz, die Dicker auf dem „Bauernwebstuhl“ mit Leinenbindung webte.35 Plausibel er-
scheint die Konzentration von Dicker auf diesen Tätigkeitsbereich innerhalb der Atelier-
gemeinschaft umso mehr, da sie an der Wiener Kunstgewerbeschule die Textilklasse und
30 Hugo Buschmann war tätig bei der Eternit AG in Berlin.
31 AGS, Brief Friedl Dicker an unbekannte Person, um 1930.
32 Siehe: AGS.
33 BHA, Fotosammlung, Franz Singer. Vermerke, die auf eine Fertigung in Handarbeit hinweisen, fin-
den sich beispielsweise auf folgenden Fotografien: Wohnung Hans Moller und Anny Wottitz-Mol-
ler 1925/26, Sessel Herrenzimmer: „handgewebter Stoff“ (Handschrift Dicker!), Inv.-Nr. 7825/18,
Sitzgarnitur Damenzimmer: „handgewebtes Leinen“, Inv.-Nr. 7825/48; Wohnung Koritschoner
1927, Sessel Herrenzimmer: „handgewebter Baumwollstoff“, Inv.-Nr. 9420/8; Einraumwohnung
Hans Heller 1927, Vorhang: „handgewebte Seide“, Inv.-Nr. 7751/8, Sessel: „farbig geflochtene
Gurtenbespannung“, Inv.-Nr. 7751/25; Wohnung Wachtel 1928, Vorhang Wohnzimmer: „Bast“,
Inv.-Nr. 7851/16, Stühle: „handgewebter Baststoff“, Schlafzimmer: „Handgewebter Stoff“ Inv.-
Nr. 7851/35, Hocker: „Handgewebtes Leinen“ Inv.-Nr. 7851/39; Kunstschau 1927, Stühle: „Be-
spannung geflochten“, Inv.-Nr. 7917/8; Wohnung Pollak 1928, Damenzimmer: Wandbehang
„Bastbespannung“, Inv.-Nr. 7842/25; Wohnung Alice und Hugo Moller 1928, Musikzimmer Sitz-
garnitur: „handgewebte Bastbespannung“ (Handschrift Dicker!), Inv.-Nr. 7825/47.
34 Vgl. Kat. Ausst. Bauhaus-Archiv 1970, S. 10. Rechnungen belegen darüber hinaus, dass vom Atelier
auch Stoffe von Haus & Garten verwendet wurden. So hat sich beispielsweise für den Auftrag Téry-
Buschmann eine Rechnung für einen Leinenstoff „Peter Altenberg“ erhalten. Siehe: AGS, Rechnung
Haus & Garten an Atelier, 15.10.1929.
35 BHA, Ordner Dicker/Singer Ausstellung 1970, Brief Martha Hauska-Döberl an Margit Téry-
Buschmann, 14.9.1969.
© 2021 Böhlau Verlag | Brill Österreich GmbH
https://doi.org/10.7767/9783205213161 | CC BY-NC 4.0
Bauhaus in Wien?
Möbeldesign, Innenraumgestaltung und Architektur der Wiener Ateliergemeinschaft von Friedl Dicker und Franz Singer
- Titel
- Bauhaus in Wien?
- Untertitel
- Möbeldesign, Innenraumgestaltung und Architektur der Wiener Ateliergemeinschaft von Friedl Dicker und Franz Singer
- Autor
- Katharina Hövelmann
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21316-1
- Abmessungen
- 17.4 x 25.6 cm
- Seiten
- 492
Inhaltsverzeichnis
- 1 Einleitung 9
- 1.1 Ein vergessenes Kapitel Wiener Design- und Architekturgeschichte 9
- 1.2 Forschungsstand 10
- 1.3 Quellenlage 15
- 1.4 Forschungsziele und Methodik 21
- 2 Dickers und Singers künstlerische Ausbildung im Zeichen von Kunstschulreform und Lebensreformbewegung 27
- 2.1 Die Zeit in Wien 27
- 2.1.1 Herkunft und Ausbildung bis 1916 27
- 2.1.2 Kunstschule Johannes Itten und Netzwerke 1916–1919 33
- 2.2 Studienzeit am Bauhaus in Weimar 1919–1923 47
- 2.2.1 Die Wiener Gruppe um Johannes Itten 47
- 2.2.2 Unterricht 56
- 2.2.3 Erste Architekturentwürfe – Vier Einfamilienhäuser 77
- 3 Berufliche Anfänge 89
- 3.1 Aufträge für Theater in Dresden und Berlin 1921–1922 89
- 3.2 Werkstätten Bildender Kunst GmbH, Berlin 1923–1926 92
- 3.2.1 Arbeiten für Die Truppe 107
- 3.2.2 Die Auflösung 114
- 4 Die Wiener Ateliergemeinschaft 1925–1938 117
- 4.1 Die Zusammenarbeit von Dicker und Singer 1925–1931 117
- 4.2 Architekturfachkenntnis im Hintergrund – Die AteliermitarbeiterInnen 134
- 4.3 AuftraggeberInnen 140
- 4.4 Strategien der Bewerbung 147
- 4.4.1 Axonometrie und Modell 147
- 4.4.2 Fotografie 154
- 4.4.3 Publikationen 157
- 4.5 Dickers und Singers Wege ab 1933/1934 162
- 5 „Das moderne Wohnprinzip“ – Zwischen Bauhaus und Wien 173
- 5.1 Das Bauhaus als Basis 173
- 5.2 Zur Situation in Wien – Innenraumgestaltung und Architektur 175
- 5.2.1 Die Wiener Moderne um 1900 175
- 5.2.2 Wien in der Zwischenkriegszeit 177
- 5.3 Theorie und Anspruch der Ateliergemeinschaft 182
- 5.4 Einrichtungsgegenstände: Möbel, Leuchten und Kachelöfen 185
- 5.4.1 Vom Einzelstück zur Typisierung – Frühe Möbel 1925–1929 185
- 5.4.1.1 Bauhaus und De Stijl als Vorbild 185
- 5.4.1.2 Verwandelbarkeit als Prinzip 202
- 5.4.1.3 Verbindungen zum Wiener Jugendstil und Biedermeier 210
- 5.4.1.4 Zwischen sozialem und künstlerischem Anspruch: Typisierungstendenzen 216
- 5.4.1.5 Möbeltischler und Hersteller 228
- 5.4.2 Wege zur Serienfabrikation – Stahlrohr- und Sperrholzmöbel 1929–1938 230
- 5.4.2.1 Der Stahlrohrstapelstuhl von Bruno Pollak 234
- 5.4.2.2 Stahlrohrmöbelentwürfe der Ateliergemeinschaft 238
- 5.4.2.3 Hersteller und Produktionsversuche der Stahlrohrmöbel 251
- 5.4.2.4 Entwürfe für die Firma Metz & Co 253
- 5.4.2.5 Sperrholzmöbel 261
- 5.4.2.6 Produktionsversuche der Sperrholzmöbel 264
- 5.4.3 Eine Welt für Kinder – Kindermöbel und Baukastenspiele 1927–1938 266
- 5.4.4 Leuchten und andere Metallarbeiten 289
- 5.4.5 Kachelöfen 302
- 5.5 Raumgestaltungen und Architektur 309
- 5.5.1 Verwendung von Farbe als Gestaltungsmittel 309
- |5.5.2 Intervention im Haus Moller von Adolf Loos und im dazugehörigen Garten 319
- 5.5.2.1 Ein neu entdeckter Möblierungsentwurf 319
- 5.5.2.2 Das Zimmer für Anny Wottitz-Moller 334
- 5.5.2.3 Das Gartenhaus 337
- 5.5.3 Wohnkonzepte auf kleinster Fläche 339
- 5.5.3.1 Einwohnräume 339
- 5.5.3.2 „Wachsende Häuser“ – Entwürfe für Kleinhauswohnbauten in Palästina 362
- 5.5.4 Fulminanter Höhe- und Endpunkt – Das Gästehaus Auersperg-Hériot 379
- 5.6 Epilog: Sozialer Anspruch oder Zeitgeist? – Eine kritische Bewertung 411
- 6 Resümee und Ausblick 417
- 7 Anhang 425
- 7.1 Quellentexte 425
- 7.2 Biografie Friedl Dicker / Franz Singer 428
- 7.3 Archive und Sammlungen 431
- 7.4 Literatur 436
- 7.5 Webseiten 473
- 7.6 Bildnachweis 477
- 7.7 Abkürzungen 480
- 7.8 Abstract 481
- 7.9 Register 482