Seite - 127 - in Bauhaus in Wien? - Möbeldesign, Innenraumgestaltung und Architektur der Wiener Ateliergemeinschaft von Friedl Dicker und Franz Singer
Bild der Seite - 127 -
Text der Seite - 127 -
Die Zusammenarbeit von Dicker und Singer 1925–1931 127
Die Konzentration auf das Textile scheint jedoch dem Umstand geschuldet, dass Di-
cker als Frau am Bauhaus die freie Wahl einer Werkstätte im Grunde versagt war und sie
daher wie fast alle Studentinnen die Webereiwerkstätte besuchte. Dass ihre Begabungen
vielseitiger waren, haben ihre Schöpfungen in den Bereichen Lithografie, Plastik, Malerei
und Theater verdeutlicht.
Eine mit ihrem Namen versehene Ausgabe des Buchs L’art décoratif d’aujourd’hui von
Le Corbusier aus dem Jahr 1925 verdeutlicht überdies, dass Dicker die Entwicklungen
der internationalen Moderne interessiert verfolgte und möglicherweise sogar die im glei-
chen Jahr stattfindende Ausstellung „L’ Exposition internationale des arts décoratifs et
industriels modernes“ in Paris besucht hatte.37
Abgesehen von den Textilien ist belegt, dass Dicker sich während ihrer Arbeit im Ate-
lier auch mit den Fotoaufnahmen der Wohnungen und Möbel beschäftigte. Darauf wei-
sen sowohl eine Fotoliste mit ihren Notizen als auch ihre rückseitigen Retusche-Vermerke
auf Fotografien hin.38 Für diese Tätigkeiten konnte sie vermutlich auf die Kenntnisse zu-
rückgreifen, die sie sich an der Graphischen Lehr- und Versuchsanstalt angeeignet hatte.
Obwohl ihre Entwurfstätigkeit im Bereich des Möbeldesigns nicht unmittelbar nach-
weisbar ist, kann angenommen werden, dass ihre Ideen auch hier eingeflossen sind: Auf
der Rückseite einer Fotografie, die einen Sessel für Hans Moller39 (1896–1962) zeigt,
demonstriert sie beispielsweise mithilfe von Skizzen und schriftlicher Beschreibungen
den Mechanismus des Möbels (Abb. 86).
Neben den Arbeiten für die Ateliergemeinschaft war Dicker auch als Textilentwerferin
für zwei Firmen tätig.40 Vom 1. Juli 1928 bis April 1930 arbeitete sie als künstlerische
Mitarbeiterin für die in Stuttgart ansässige Textilfirma Pausa A.G.41, die ihre Produkti-
37 Siehe: AGS, Le Corbusier, L’art décoratif d’aujourd’hui, Paris 1925. Auf der ersten Seite hat Dicker
in Handschrift ihren Namen angegeben.
38 Siehe: AGS; BHA, Fotosammlung, Franz Singer, Fotoliste, um 1929/30.
39 Der Textilfabrikant Hans Moller war der Sohn des Inhaberehepaars der Textilfirma S. Katzau Alice
und Hugo Moller. Ab 1936 wurde auch die Firma Spiegler & Söhne übernommen. 1924 heiratete
Hans Moller Dickers und Singers Studienkollegin Anny Wottitz. Nach der Trennung 1938 emig-
rierte er nach Palästina.
40 Im AGS ist eine Stoffmustersammlung erhalten. Dabei handelt es sich jedoch vermutlich größten-
teils um Webmuster für Handtaschen, die in Zusammenarbeit mit Frieda Stoerk gefertigt wurden.
Im AAD/V&AM befinden sich ebenfalls einige Stoffmuster. Siehe: AAD/V&AM, AAD 3-1982,
PL9.
41 Arthur und Felix Löwenstein hatten 1911 die Mechanische Weberei Pausa in Pausa im Vogtland
gepachtet, erwarben diese 1919 und verlegten sie in die Buntweberei Bernheim in Mössingen, die
nun unter dem Namen Pausa A.G. mit Geschäftssitz in Stuttgart firmierte. Die Inhaber führten den
modernen Textildruck ein und nahmen früh Kontakt zum Bauhaus-Umkreis auf, waren befreundet
mit der Künstlerin Lily Hildebrandt und dem Kunsthistoriker Hans Hildebrandt, die ebenfalls
zu den AnhängerInnen des Bauhauses zählten. Neben Friedl Dicker arbeiteten auch die Bauhaus-
© 2021 Böhlau Verlag | Brill Österreich GmbH
https://doi.org/10.7767/9783205213161 | CC BY-NC 4.0
Bauhaus in Wien?
Möbeldesign, Innenraumgestaltung und Architektur der Wiener Ateliergemeinschaft von Friedl Dicker und Franz Singer
- Titel
- Bauhaus in Wien?
- Untertitel
- Möbeldesign, Innenraumgestaltung und Architektur der Wiener Ateliergemeinschaft von Friedl Dicker und Franz Singer
- Autor
- Katharina Hövelmann
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21316-1
- Abmessungen
- 17.4 x 25.6 cm
- Seiten
- 492
Inhaltsverzeichnis
- 1 Einleitung 9
- 1.1 Ein vergessenes Kapitel Wiener Design- und Architekturgeschichte 9
- 1.2 Forschungsstand 10
- 1.3 Quellenlage 15
- 1.4 Forschungsziele und Methodik 21
- 2 Dickers und Singers künstlerische Ausbildung im Zeichen von Kunstschulreform und Lebensreformbewegung 27
- 2.1 Die Zeit in Wien 27
- 2.1.1 Herkunft und Ausbildung bis 1916 27
- 2.1.2 Kunstschule Johannes Itten und Netzwerke 1916–1919 33
- 2.2 Studienzeit am Bauhaus in Weimar 1919–1923 47
- 2.2.1 Die Wiener Gruppe um Johannes Itten 47
- 2.2.2 Unterricht 56
- 2.2.3 Erste Architekturentwürfe – Vier Einfamilienhäuser 77
- 3 Berufliche Anfänge 89
- 3.1 Aufträge für Theater in Dresden und Berlin 1921–1922 89
- 3.2 Werkstätten Bildender Kunst GmbH, Berlin 1923–1926 92
- 3.2.1 Arbeiten für Die Truppe 107
- 3.2.2 Die Auflösung 114
- 4 Die Wiener Ateliergemeinschaft 1925–1938 117
- 4.1 Die Zusammenarbeit von Dicker und Singer 1925–1931 117
- 4.2 Architekturfachkenntnis im Hintergrund – Die AteliermitarbeiterInnen 134
- 4.3 AuftraggeberInnen 140
- 4.4 Strategien der Bewerbung 147
- 4.4.1 Axonometrie und Modell 147
- 4.4.2 Fotografie 154
- 4.4.3 Publikationen 157
- 4.5 Dickers und Singers Wege ab 1933/1934 162
- 5 „Das moderne Wohnprinzip“ – Zwischen Bauhaus und Wien 173
- 5.1 Das Bauhaus als Basis 173
- 5.2 Zur Situation in Wien – Innenraumgestaltung und Architektur 175
- 5.2.1 Die Wiener Moderne um 1900 175
- 5.2.2 Wien in der Zwischenkriegszeit 177
- 5.3 Theorie und Anspruch der Ateliergemeinschaft 182
- 5.4 Einrichtungsgegenstände: Möbel, Leuchten und Kachelöfen 185
- 5.4.1 Vom Einzelstück zur Typisierung – Frühe Möbel 1925–1929 185
- 5.4.1.1 Bauhaus und De Stijl als Vorbild 185
- 5.4.1.2 Verwandelbarkeit als Prinzip 202
- 5.4.1.3 Verbindungen zum Wiener Jugendstil und Biedermeier 210
- 5.4.1.4 Zwischen sozialem und künstlerischem Anspruch: Typisierungstendenzen 216
- 5.4.1.5 Möbeltischler und Hersteller 228
- 5.4.2 Wege zur Serienfabrikation – Stahlrohr- und Sperrholzmöbel 1929–1938 230
- 5.4.2.1 Der Stahlrohrstapelstuhl von Bruno Pollak 234
- 5.4.2.2 Stahlrohrmöbelentwürfe der Ateliergemeinschaft 238
- 5.4.2.3 Hersteller und Produktionsversuche der Stahlrohrmöbel 251
- 5.4.2.4 Entwürfe für die Firma Metz & Co 253
- 5.4.2.5 Sperrholzmöbel 261
- 5.4.2.6 Produktionsversuche der Sperrholzmöbel 264
- 5.4.3 Eine Welt für Kinder – Kindermöbel und Baukastenspiele 1927–1938 266
- 5.4.4 Leuchten und andere Metallarbeiten 289
- 5.4.5 Kachelöfen 302
- 5.5 Raumgestaltungen und Architektur 309
- 5.5.1 Verwendung von Farbe als Gestaltungsmittel 309
- |5.5.2 Intervention im Haus Moller von Adolf Loos und im dazugehörigen Garten 319
- 5.5.2.1 Ein neu entdeckter Möblierungsentwurf 319
- 5.5.2.2 Das Zimmer für Anny Wottitz-Moller 334
- 5.5.2.3 Das Gartenhaus 337
- 5.5.3 Wohnkonzepte auf kleinster Fläche 339
- 5.5.3.1 Einwohnräume 339
- 5.5.3.2 „Wachsende Häuser“ – Entwürfe für Kleinhauswohnbauten in Palästina 362
- 5.5.4 Fulminanter Höhe- und Endpunkt – Das Gästehaus Auersperg-Hériot 379
- 5.6 Epilog: Sozialer Anspruch oder Zeitgeist? – Eine kritische Bewertung 411
- 6 Resümee und Ausblick 417
- 7 Anhang 425
- 7.1 Quellentexte 425
- 7.2 Biografie Friedl Dicker / Franz Singer 428
- 7.3 Archive und Sammlungen 431
- 7.4 Literatur 436
- 7.5 Webseiten 473
- 7.6 Bildnachweis 477
- 7.7 Abkürzungen 480
- 7.8 Abstract 481
- 7.9 Register 482