Seite - 133 - in Bauhaus in Wien? - Möbeldesign, Innenraumgestaltung und Architektur der Wiener Ateliergemeinschaft von Friedl Dicker und Franz Singer
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Die Zusammenarbeit von Dicker und Singer 1925–1931 133
frühe Tod von Franz Singers und Emmy Heims Sohn Michael Peter am 28. Juni 192968
aufgrund einer Meningitis-Erkrankung soll bei Dicker Schuldgefühle ausgelöst haben, die
schließlich zur endgültigen privaten Trennung von Dicker und Singer geführt hätten.69
In den Jahren 1929 und 1930 arbeiteten sie allerdings noch nachweislich gemeinsam
an Projekten. Der Tod von Singers Sohn wird daher nicht unmittelbar eine berufliche
Trennung ausgelöst haben. Um 1931 bezog Dicker jedenfalls ein eigenes Atelier in der
Heiligenstädter Straße 11 im 19. Bezirk, wo sie fortan verstärkt kunstpädagogischen Tä-
tigkeiten nachging.70
Taucht Singers Privatadresse, die Schadekgasse 18, hin und wieder bereits vor dem
Jahr 1932 in der Korrespondenz auf, so ist mit Beginn des Jahres 1932 das Atelier in der
Wasserburgergasse nicht mehr und fortan nur noch die Schadekgasse 18 als Adresse des
Ateliers angegeben.71 Der Standortwechsel in die Schadekgasse 18 kündigt sich im „Ver-
zeichnis der Teilnehmer des Fernsprechnetzes in Wien“ jedoch bereits etwas früher an:
Ab Juli 1931 ändert sich dort Singers Eintrag von „Maler“ zu „Atelier“.72
Ein weiterer Grund für das Ende der Ateliergemeinschaft von Dicker und Singer war
sicherlich auch die Aktivität von Dicker in kommunistischen Kreisen; sie war um 1931
der KPÖ beigetreten.73 Am 4. November 1931 wurde sie wegen dem Vorwurf der Pass-
fälschung verhaftet. Innerhalb einer „geheime[n] kommunistische[n] Organisation“74, so
marrying again. The child clung to her new mother desperately and wanted to be cleaned, fed, loved
and cared for all the time. In her later life, the same continual demand for attention of all kinds was
seen. In masochistically yielding to a very brilliant man, she tried to find fulfillment of these desires
through the bliss of an ecstatic union.“ Siehe: Reich 1973, S. 93.
68 Das Todesdatum von Michael Peter Singer, genannt Bibi, war bisher unklar, konnte aber mithilfe
des WStLA in Erfahrung gebracht werden. Auskunft WStLA, 17.2.2017.
69 Vgl. Schrom 1988, S. 12. Bei Makarova heißt es: „Die Beziehung zwischen Franz Singer und Friedl
Dicker komplizierte sich ins immer Unerträglichere, und als schließlich auch noch Singers einziger
Sohn Bibi starb, ging sie in Brüche.“ Siehe: Makarova 1999, S. 22.
70 Kat. Ausst. Heiligenkreuzerhof 1988, S. 12, 109. Dicker war jedoch in der Heiligenstädterstraße
nicht gemeldet, wie die Auskunft des WStLA ergeben hat.
71 Bis Ende 1931 sind die Telefonrechnungen weiterhin an Friedl Dicker in die Wasserburgergasse ad-
ressiert. Im Februar 1932 ergeht eine Zahlungsaufforderung über offene Telefonrechnungen des be-
reits nicht mehr bestehenden Telefonanschlusses in der Wasserburgergasse an Dickers Privatadresse
Bleichergasse 18 im 9. Bezirk. Auch dies sind Indizien für die Auflösung des Ateliers gegen Ende des
Jahres 1931. Siehe: AGS, Zahlungsauftrag der Telegraphendirektion Wien an Friedl Dicker, Wien
9. Bleichergasse 18, 19.2.1932.
72 Im August 1931 publizierte Singer allerdings im Kölner Tageblatt noch unter seinem Namen mit der
alten Adressangabe Wasserburgergasse 2. Siehe: Kölner Tageblatt, 29./30.8.1931.
73 Es gibt keine unmittelbaren Quellen, die Dickers Mitgliedschaft in der KPÖ belegen. Makarova
erhielt diese Information aus Gesprächen mit Zeitzeugen wie beispielsweise Edith Kramer, die eine
Schülerin von Friedl Dicker war. Siehe: Makarova 1999, S. 22.
74 Zitiert nach: Das kleine Blatt 1932, S. 9.
© 2021 Böhlau Verlag | Brill Österreich GmbH
https://doi.org/10.7767/9783205213161 | CC BY-NC 4.0
Bauhaus in Wien?
Möbeldesign, Innenraumgestaltung und Architektur der Wiener Ateliergemeinschaft von Friedl Dicker und Franz Singer
- Titel
- Bauhaus in Wien?
- Untertitel
- Möbeldesign, Innenraumgestaltung und Architektur der Wiener Ateliergemeinschaft von Friedl Dicker und Franz Singer
- Autor
- Katharina Hövelmann
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21316-1
- Abmessungen
- 17.4 x 25.6 cm
- Seiten
- 492
Inhaltsverzeichnis
- 1 Einleitung 9
- 1.1 Ein vergessenes Kapitel Wiener Design- und Architekturgeschichte 9
- 1.2 Forschungsstand 10
- 1.3 Quellenlage 15
- 1.4 Forschungsziele und Methodik 21
- 2 Dickers und Singers künstlerische Ausbildung im Zeichen von Kunstschulreform und Lebensreformbewegung 27
- 2.1 Die Zeit in Wien 27
- 2.1.1 Herkunft und Ausbildung bis 1916 27
- 2.1.2 Kunstschule Johannes Itten und Netzwerke 1916–1919 33
- 2.2 Studienzeit am Bauhaus in Weimar 1919–1923 47
- 2.2.1 Die Wiener Gruppe um Johannes Itten 47
- 2.2.2 Unterricht 56
- 2.2.3 Erste Architekturentwürfe – Vier Einfamilienhäuser 77
- 3 Berufliche Anfänge 89
- 3.1 Aufträge für Theater in Dresden und Berlin 1921–1922 89
- 3.2 Werkstätten Bildender Kunst GmbH, Berlin 1923–1926 92
- 3.2.1 Arbeiten für Die Truppe 107
- 3.2.2 Die Auflösung 114
- 4 Die Wiener Ateliergemeinschaft 1925–1938 117
- 4.1 Die Zusammenarbeit von Dicker und Singer 1925–1931 117
- 4.2 Architekturfachkenntnis im Hintergrund – Die AteliermitarbeiterInnen 134
- 4.3 AuftraggeberInnen 140
- 4.4 Strategien der Bewerbung 147
- 4.4.1 Axonometrie und Modell 147
- 4.4.2 Fotografie 154
- 4.4.3 Publikationen 157
- 4.5 Dickers und Singers Wege ab 1933/1934 162
- 5 „Das moderne Wohnprinzip“ – Zwischen Bauhaus und Wien 173
- 5.1 Das Bauhaus als Basis 173
- 5.2 Zur Situation in Wien – Innenraumgestaltung und Architektur 175
- 5.2.1 Die Wiener Moderne um 1900 175
- 5.2.2 Wien in der Zwischenkriegszeit 177
- 5.3 Theorie und Anspruch der Ateliergemeinschaft 182
- 5.4 Einrichtungsgegenstände: Möbel, Leuchten und Kachelöfen 185
- 5.4.1 Vom Einzelstück zur Typisierung – Frühe Möbel 1925–1929 185
- 5.4.1.1 Bauhaus und De Stijl als Vorbild 185
- 5.4.1.2 Verwandelbarkeit als Prinzip 202
- 5.4.1.3 Verbindungen zum Wiener Jugendstil und Biedermeier 210
- 5.4.1.4 Zwischen sozialem und künstlerischem Anspruch: Typisierungstendenzen 216
- 5.4.1.5 Möbeltischler und Hersteller 228
- 5.4.2 Wege zur Serienfabrikation – Stahlrohr- und Sperrholzmöbel 1929–1938 230
- 5.4.2.1 Der Stahlrohrstapelstuhl von Bruno Pollak 234
- 5.4.2.2 Stahlrohrmöbelentwürfe der Ateliergemeinschaft 238
- 5.4.2.3 Hersteller und Produktionsversuche der Stahlrohrmöbel 251
- 5.4.2.4 Entwürfe für die Firma Metz & Co 253
- 5.4.2.5 Sperrholzmöbel 261
- 5.4.2.6 Produktionsversuche der Sperrholzmöbel 264
- 5.4.3 Eine Welt für Kinder – Kindermöbel und Baukastenspiele 1927–1938 266
- 5.4.4 Leuchten und andere Metallarbeiten 289
- 5.4.5 Kachelöfen 302
- 5.5 Raumgestaltungen und Architektur 309
- 5.5.1 Verwendung von Farbe als Gestaltungsmittel 309
- |5.5.2 Intervention im Haus Moller von Adolf Loos und im dazugehörigen Garten 319
- 5.5.2.1 Ein neu entdeckter Möblierungsentwurf 319
- 5.5.2.2 Das Zimmer für Anny Wottitz-Moller 334
- 5.5.2.3 Das Gartenhaus 337
- 5.5.3 Wohnkonzepte auf kleinster Fläche 339
- 5.5.3.1 Einwohnräume 339
- 5.5.3.2 „Wachsende Häuser“ – Entwürfe für Kleinhauswohnbauten in Palästina 362
- 5.5.4 Fulminanter Höhe- und Endpunkt – Das Gästehaus Auersperg-Hériot 379
- 5.6 Epilog: Sozialer Anspruch oder Zeitgeist? – Eine kritische Bewertung 411
- 6 Resümee und Ausblick 417
- 7 Anhang 425
- 7.1 Quellentexte 425
- 7.2 Biografie Friedl Dicker / Franz Singer 428
- 7.3 Archive und Sammlungen 431
- 7.4 Literatur 436
- 7.5 Webseiten 473
- 7.6 Bildnachweis 477
- 7.7 Abkürzungen 480
- 7.8 Abstract 481
- 7.9 Register 482