Seite - 144 - in Bauhaus in Wien? - Möbeldesign, Innenraumgestaltung und Architektur der Wiener Ateliergemeinschaft von Friedl Dicker und Franz Singer
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Die Wiener Ateliergemeinschaft
1925–1938144
Freundin von Karl Kraus (1874–1936), und die Rechtsanwälte Robert Koessler (1883–
1931) und Hugo Knöpfmacher (1890–1980).
Das einzig gebaute Wohnhaus des Ateliers war das Gästehaus für das Ehepaar Auer-
sperg-Hériot aus dem Jahr 1933. Geplant war auch der Umbau ihres Wohnhauses, der
jedoch nicht ausgeführt wurde. Über das Ehepaar Auersperg-Hériot ergab sich 1934 ein
weiterer Auftrag an das Atelier durch deren Nachbarn Baron Gutmann.122
Als einziges öffentliches Projekt wurde von 1930 bis 1932 im Auftrag der Gemeinde
Wien die Einrichtung des Montessori-Kindergartens im Gemeindebau Goethehof über-
nommen. Bei dem Projekt bestand eine enge Zusammenarbeit mit der Leiterin des Kin-
dergartens Hedwig Schwarz123 (1892–1968). Nachdem der Kindergarten während der
Februarkämpfe 1934 teilweise zerstört und Schwarz entlassen worden war, richtete das
Atelier für sie einen Privatkindergarten und eine Wohnung im Hochhaus von Theiss
& Jaksch in der Herrengasse ein.124 In Verbindung mit dem Verein „Jugend in Arbeit“
von Alois Jalkotzy gab es zudem 1933 Pläne, das Erdgeschoss im Alten Rathaus in der
Wipplingerstraße in ein Jugendheim mit einer Bibliothek und einer „Kunststelle“125 um-
zubauen und einzurichten. Parallel startete das Atelier zudem das Projekt „Möbelhilfe“.
Obwohl der Abschluss dieser Projekte durch die Februarunruhen 1934 zum Erliegen
kam, offenbart sich damit das Interesse, soziale Projekte für die Allgemeinheit umzu-
setzen. Dass die Ateliergemeinschaft vorwiegend private Aufträge einer wohlhabenden
Kundenklientel ausführte, dürfte in Zusammenhang mit den politischen Umbrüchen
der 1930er-Jahre stehen, in denen es schwierig war, öffentliche Aufträge zu erhalten.
Einige AuftraggeberInnen teilten mit Dicker und Singer das sozial-politische Enga-
gement, indem sie sich der kommunistischen Bewegung anschlossen. Der mit Dicker
befreundete Gynäkologe Josef Deutsch war wie sie der KPÖ beigetreten.126 Der Psycho-
analytiker Eduard Kronengold und die Psychoanalytikerin Lia Laszky arbeiteten in der
Sozialistischen Gesellschaft für Sexualberatung und Sexualforschung.127 Der Kardiologe
122 AGS, Brief Franz Singer an Hans von Gutmann, 22.8.1934.
123 Schwarz betrieb auch ein Ferienheim in der Villa Redlich in Reichenau an der Rax.
124 BHA, Fotosammlung, Franz Singer, Inv.-Nr. 7912/1–46, 7912/47–83.
125 Eine „Kunststelle“ wird von Permoser folgendermaßen beschrieben: „Charakteristische Organisa-
tionsstruktur der Ersten Republik. Die Entscheidung des Wiener Gemeinderates vom Juni 1919,
Musik- und Theaterveranstaltungen für Arbeiter, Angestellte und Schüler mit 10% (später nur mehr
6 %) der Lustbarkeitsabgabe zu subventionieren, führte zur Gründung mehrerer sogenannter Kunst-
stellen. Parteipolitisch geprägt (Sozialdemokratische K., christlich-soziale K., Deutsche Kunst- und
Bildungsstelle) oder an Interessensvertretungen orientiert (K. der öffentlichen Angestellten, K. des
Zentralrates der geistigen Arbeiter), traten die K.n als Vermittler, Organisatoren und Veranstalter
unterschiedlichster kultureller Aktivitäten in Erscheinung.“ Siehe: Permoser 2011.
126 Makarova 1999, S. 105.
127 Siehe: Nölleke 2017.
© 2021 Böhlau Verlag | Brill Österreich GmbH
https://doi.org/10.7767/9783205213161 | CC BY-NC 4.0
Bauhaus in Wien?
Möbeldesign, Innenraumgestaltung und Architektur der Wiener Ateliergemeinschaft von Friedl Dicker und Franz Singer
- Titel
- Bauhaus in Wien?
- Untertitel
- Möbeldesign, Innenraumgestaltung und Architektur der Wiener Ateliergemeinschaft von Friedl Dicker und Franz Singer
- Autor
- Katharina Hövelmann
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21316-1
- Abmessungen
- 17.4 x 25.6 cm
- Seiten
- 492
Inhaltsverzeichnis
- 1 Einleitung 9
- 1.1 Ein vergessenes Kapitel Wiener Design- und Architekturgeschichte 9
- 1.2 Forschungsstand 10
- 1.3 Quellenlage 15
- 1.4 Forschungsziele und Methodik 21
- 2 Dickers und Singers künstlerische Ausbildung im Zeichen von Kunstschulreform und Lebensreformbewegung 27
- 2.1 Die Zeit in Wien 27
- 2.1.1 Herkunft und Ausbildung bis 1916 27
- 2.1.2 Kunstschule Johannes Itten und Netzwerke 1916–1919 33
- 2.2 Studienzeit am Bauhaus in Weimar 1919–1923 47
- 2.2.1 Die Wiener Gruppe um Johannes Itten 47
- 2.2.2 Unterricht 56
- 2.2.3 Erste Architekturentwürfe – Vier Einfamilienhäuser 77
- 3 Berufliche Anfänge 89
- 3.1 Aufträge für Theater in Dresden und Berlin 1921–1922 89
- 3.2 Werkstätten Bildender Kunst GmbH, Berlin 1923–1926 92
- 3.2.1 Arbeiten für Die Truppe 107
- 3.2.2 Die Auflösung 114
- 4 Die Wiener Ateliergemeinschaft 1925–1938 117
- 4.1 Die Zusammenarbeit von Dicker und Singer 1925–1931 117
- 4.2 Architekturfachkenntnis im Hintergrund – Die AteliermitarbeiterInnen 134
- 4.3 AuftraggeberInnen 140
- 4.4 Strategien der Bewerbung 147
- 4.4.1 Axonometrie und Modell 147
- 4.4.2 Fotografie 154
- 4.4.3 Publikationen 157
- 4.5 Dickers und Singers Wege ab 1933/1934 162
- 5 „Das moderne Wohnprinzip“ – Zwischen Bauhaus und Wien 173
- 5.1 Das Bauhaus als Basis 173
- 5.2 Zur Situation in Wien – Innenraumgestaltung und Architektur 175
- 5.2.1 Die Wiener Moderne um 1900 175
- 5.2.2 Wien in der Zwischenkriegszeit 177
- 5.3 Theorie und Anspruch der Ateliergemeinschaft 182
- 5.4 Einrichtungsgegenstände: Möbel, Leuchten und Kachelöfen 185
- 5.4.1 Vom Einzelstück zur Typisierung – Frühe Möbel 1925–1929 185
- 5.4.1.1 Bauhaus und De Stijl als Vorbild 185
- 5.4.1.2 Verwandelbarkeit als Prinzip 202
- 5.4.1.3 Verbindungen zum Wiener Jugendstil und Biedermeier 210
- 5.4.1.4 Zwischen sozialem und künstlerischem Anspruch: Typisierungstendenzen 216
- 5.4.1.5 Möbeltischler und Hersteller 228
- 5.4.2 Wege zur Serienfabrikation – Stahlrohr- und Sperrholzmöbel 1929–1938 230
- 5.4.2.1 Der Stahlrohrstapelstuhl von Bruno Pollak 234
- 5.4.2.2 Stahlrohrmöbelentwürfe der Ateliergemeinschaft 238
- 5.4.2.3 Hersteller und Produktionsversuche der Stahlrohrmöbel 251
- 5.4.2.4 Entwürfe für die Firma Metz & Co 253
- 5.4.2.5 Sperrholzmöbel 261
- 5.4.2.6 Produktionsversuche der Sperrholzmöbel 264
- 5.4.3 Eine Welt für Kinder – Kindermöbel und Baukastenspiele 1927–1938 266
- 5.4.4 Leuchten und andere Metallarbeiten 289
- 5.4.5 Kachelöfen 302
- 5.5 Raumgestaltungen und Architektur 309
- 5.5.1 Verwendung von Farbe als Gestaltungsmittel 309
- |5.5.2 Intervention im Haus Moller von Adolf Loos und im dazugehörigen Garten 319
- 5.5.2.1 Ein neu entdeckter Möblierungsentwurf 319
- 5.5.2.2 Das Zimmer für Anny Wottitz-Moller 334
- 5.5.2.3 Das Gartenhaus 337
- 5.5.3 Wohnkonzepte auf kleinster Fläche 339
- 5.5.3.1 Einwohnräume 339
- 5.5.3.2 „Wachsende Häuser“ – Entwürfe für Kleinhauswohnbauten in Palästina 362
- 5.5.4 Fulminanter Höhe- und Endpunkt – Das Gästehaus Auersperg-Hériot 379
- 5.6 Epilog: Sozialer Anspruch oder Zeitgeist? – Eine kritische Bewertung 411
- 6 Resümee und Ausblick 417
- 7 Anhang 425
- 7.1 Quellentexte 425
- 7.2 Biografie Friedl Dicker / Franz Singer 428
- 7.3 Archive und Sammlungen 431
- 7.4 Literatur 436
- 7.5 Webseiten 473
- 7.6 Bildnachweis 477
- 7.7 Abkürzungen 480
- 7.8 Abstract 481
- 7.9 Register 482