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Dickers und Singers Wege ab 1933/1934 163
terreich zusammenhängen, wo sich
nach den Februar-Kämpfen 1934
die Auftragslage in Wien durch
das faschistische Dollfuß-Regime
zunehmend verschlechterte. Auch
andere ArchitektInnen und Ent-
werferInnen wie Marcel Breuer
(1902–1981) und Walter Gropius
waren aufgrund der Machtüber-
nahme der Nationalsozialisten in
Deutschland 1934 nach London
übersiedelt. Singers Wahl, nach
London zu gehen, hing sicherlich mit seinen privaten Verbindungen dorthin zusammen.
Sein ältester Bruder Paul hatte bereits in jungen Jahren seinen Lebensmittelpunkt nach
London verlegt und vermittelte seinem jüngeren Bruder bereits seit 1929 Kontakte zu
potenziellen AuftraggeberInnen in Großbritannien.232 Auch Singers Frau, die Konzert-
sängerin Emmy Heim, hatte seit 1930 ihren Wohnsitz in London.233
Das Wiener Atelier in der Schadekgasse blieb weiterhin bestehen, doch die finanzielle
Lage wurde ab 1934 zunehmend prekär. Franz Singer galt als Chef des Wiener Ateliers,
war dort jedoch nur selten anzutreffen und ließ sich auch mit der Beantwortung der
Briefe von Leopoldine Schrom Zeit, sodass die vollständige Verantwortung für die Wie-
ner Projekte im Wesentlichen bei den zurückgebliebenen Mitarbeiterinnen Schrom und
232 Paul Singer entschied 1912 während eines Summerschool-Aufenthalts, in London zu bleiben. Seit
1917 besaß er nicht mehr die österreichische Staatsbürgerschaft. Er arbeitete für die englisch-ös-
terreichische Bank, während er an der LSE (London School of Economics) studierte, gewann den
Gladstone Prize of Honour als bester Student des Jahres, wurde Dozent am LSE und verbrachte ein
Jahr beim Völkerbund in Genf, um „Internationale Währungsgesetze“ zu veröffentlichen. Später
war er Vizepräsident der amerikanischen Investment Company, die mit Palästina verbunden war.
Aus einem Dokument von 1929 geht hervor, dass er auch Sekretär der zionistischen Organisation
Englands war. Dies ergab die Durchsicht von Unterlagen bei seiner Tochter und ein Interview mit
ihr in London am 8.11.2015.
233 Emmy Heim hatte ihren ersten Auftritt in Großbritannien 1929. 1930 zog sie nach London. Paral-
lel dazu unterhielt sie im Sommer ein Atelier in Salzburg. Von 1934 bis 1939 hielt sie sich jährlich
vier Monate in Kanada auf, wo sie Gesangskonzerte gab und am Royal Conservatory of Music in
Toronto lehrte. Während des Zweiten Weltkriegs hatte sie Auftritte in den Red Cross Hospitals und
in Militärcamps und war Gastdozentin in Oxford und Cambridge. 1946 zog sie nach Kanada und
lehrte von da bis zu ihrem Tod am 13. Oktober 1954 am Royal Conservatory of Music in Toronto.
Zu ihren SchülerInnen gehörten: Joan Hall, Frances James, Eileen Law, Margo MacKinnon, Lois
Marshall, Joan Maxwell, James Milligan, Mary Morrison, Jan Simons and Joyce Sullivan. Siehe:
Willis 2007.
Abb. 109: Briefumschlag von Friedl Dicker-Brandeis
an Franz Singer, 1937, AGS.
© 2021 Böhlau Verlag | Brill Österreich GmbH
https://doi.org/10.7767/9783205213161 | CC BY-NC 4.0
Bauhaus in Wien?
Möbeldesign, Innenraumgestaltung und Architektur der Wiener Ateliergemeinschaft von Friedl Dicker und Franz Singer
- Titel
- Bauhaus in Wien?
- Untertitel
- Möbeldesign, Innenraumgestaltung und Architektur der Wiener Ateliergemeinschaft von Friedl Dicker und Franz Singer
- Autor
- Katharina Hövelmann
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21316-1
- Abmessungen
- 17.4 x 25.6 cm
- Seiten
- 492
Inhaltsverzeichnis
- 1 Einleitung 9
- 1.1 Ein vergessenes Kapitel Wiener Design- und Architekturgeschichte 9
- 1.2 Forschungsstand 10
- 1.3 Quellenlage 15
- 1.4 Forschungsziele und Methodik 21
- 2 Dickers und Singers künstlerische Ausbildung im Zeichen von Kunstschulreform und Lebensreformbewegung 27
- 2.1 Die Zeit in Wien 27
- 2.1.1 Herkunft und Ausbildung bis 1916 27
- 2.1.2 Kunstschule Johannes Itten und Netzwerke 1916–1919 33
- 2.2 Studienzeit am Bauhaus in Weimar 1919–1923 47
- 2.2.1 Die Wiener Gruppe um Johannes Itten 47
- 2.2.2 Unterricht 56
- 2.2.3 Erste Architekturentwürfe – Vier Einfamilienhäuser 77
- 3 Berufliche Anfänge 89
- 3.1 Aufträge für Theater in Dresden und Berlin 1921–1922 89
- 3.2 Werkstätten Bildender Kunst GmbH, Berlin 1923–1926 92
- 3.2.1 Arbeiten für Die Truppe 107
- 3.2.2 Die Auflösung 114
- 4 Die Wiener Ateliergemeinschaft 1925–1938 117
- 4.1 Die Zusammenarbeit von Dicker und Singer 1925–1931 117
- 4.2 Architekturfachkenntnis im Hintergrund – Die AteliermitarbeiterInnen 134
- 4.3 AuftraggeberInnen 140
- 4.4 Strategien der Bewerbung 147
- 4.4.1 Axonometrie und Modell 147
- 4.4.2 Fotografie 154
- 4.4.3 Publikationen 157
- 4.5 Dickers und Singers Wege ab 1933/1934 162
- 5 „Das moderne Wohnprinzip“ – Zwischen Bauhaus und Wien 173
- 5.1 Das Bauhaus als Basis 173
- 5.2 Zur Situation in Wien – Innenraumgestaltung und Architektur 175
- 5.2.1 Die Wiener Moderne um 1900 175
- 5.2.2 Wien in der Zwischenkriegszeit 177
- 5.3 Theorie und Anspruch der Ateliergemeinschaft 182
- 5.4 Einrichtungsgegenstände: Möbel, Leuchten und Kachelöfen 185
- 5.4.1 Vom Einzelstück zur Typisierung – Frühe Möbel 1925–1929 185
- 5.4.1.1 Bauhaus und De Stijl als Vorbild 185
- 5.4.1.2 Verwandelbarkeit als Prinzip 202
- 5.4.1.3 Verbindungen zum Wiener Jugendstil und Biedermeier 210
- 5.4.1.4 Zwischen sozialem und künstlerischem Anspruch: Typisierungstendenzen 216
- 5.4.1.5 Möbeltischler und Hersteller 228
- 5.4.2 Wege zur Serienfabrikation – Stahlrohr- und Sperrholzmöbel 1929–1938 230
- 5.4.2.1 Der Stahlrohrstapelstuhl von Bruno Pollak 234
- 5.4.2.2 Stahlrohrmöbelentwürfe der Ateliergemeinschaft 238
- 5.4.2.3 Hersteller und Produktionsversuche der Stahlrohrmöbel 251
- 5.4.2.4 Entwürfe für die Firma Metz & Co 253
- 5.4.2.5 Sperrholzmöbel 261
- 5.4.2.6 Produktionsversuche der Sperrholzmöbel 264
- 5.4.3 Eine Welt für Kinder – Kindermöbel und Baukastenspiele 1927–1938 266
- 5.4.4 Leuchten und andere Metallarbeiten 289
- 5.4.5 Kachelöfen 302
- 5.5 Raumgestaltungen und Architektur 309
- 5.5.1 Verwendung von Farbe als Gestaltungsmittel 309
- |5.5.2 Intervention im Haus Moller von Adolf Loos und im dazugehörigen Garten 319
- 5.5.2.1 Ein neu entdeckter Möblierungsentwurf 319
- 5.5.2.2 Das Zimmer für Anny Wottitz-Moller 334
- 5.5.2.3 Das Gartenhaus 337
- 5.5.3 Wohnkonzepte auf kleinster Fläche 339
- 5.5.3.1 Einwohnräume 339
- 5.5.3.2 „Wachsende Häuser“ – Entwürfe für Kleinhauswohnbauten in Palästina 362
- 5.5.4 Fulminanter Höhe- und Endpunkt – Das Gästehaus Auersperg-Hériot 379
- 5.6 Epilog: Sozialer Anspruch oder Zeitgeist? – Eine kritische Bewertung 411
- 6 Resümee und Ausblick 417
- 7 Anhang 425
- 7.1 Quellentexte 425
- 7.2 Biografie Friedl Dicker / Franz Singer 428
- 7.3 Archive und Sammlungen 431
- 7.4 Literatur 436
- 7.5 Webseiten 473
- 7.6 Bildnachweis 477
- 7.7 Abkürzungen 480
- 7.8 Abstract 481
- 7.9 Register 482