Seite - 164 - in Bauhaus in Wien? - Möbeldesign, Innenraumgestaltung und Architektur der Wiener Ateliergemeinschaft von Friedl Dicker und Franz Singer
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Die Wiener Ateliergemeinschaft
1925–1938164
Szabó lag. Aus der Briefkorrespondenz zwischen Singer und Schrom aus dem Jahr 1935
werden die Probleme des Ateliers deutlich. Schrom sorgte sich über die finanzielle Situa-
tion und bemängelte Singers seltene Anwesenheit in Wien. Am 17. Januar 1935 erkun-
digte sie sich salopp bei Singer: „Was arbeiten Sie? Wann kommen Sie? Zerbrechen Sie
sich niemals den Kopf wegen der bald dreckig werdenden Schulden? Wenn Sie zurück-
kommen werden Sie für dringendste Sachen Geld haben müssen oder inkognito sich hier
aufhalten.“234 Diese unverblümten Zeilen müssen Singer sehr verstimmt haben, da
Schrom mit der Finanzierungsthematik einen wunden Punkt ansprach, der auch die
Frage mit sich brachte, ob das Wiener Atelier überhaupt weiter aufrecht erhalten werden
könne. Singers Frau Emmy Heim schrieb daraufhin in einem Antwortbrief am 21. Ja-
nuar 1935 bestürzt an Schrom: „Ihren letzten Brief habe ich gelesen, nachdem ich gese-
hen hab’ wie sehr sich mein Mann über diesen aufgeregt hat, und – ich muss sagen, dass
ich seine Aufregung verstehe. [...] Glauben Sie denn eigentlich, dass er zu seinem Vergnü-
gen hier ist? [...] Ausserdem sind – wie Sie vielleicht schon wissen – seine Aussichten mit
Wells Coates zu arbeiten in unangenehmster Weise an der Gewissenlosigkeit dieses Herrn
gescheitert. Jetzt versucht er alles mögliche Andere, hat auch einige Aussichten aus denen
vielleicht etwas werden kann, und kann daher nicht alles Eingefädelte stehen lassen und
nach Wien fahren wo es gar keine Aussicht hat, Arbeit und Verdienst zu bekommen.
Hier aushalten kann er aber nur, wenn er wirklich verlässliche Berichte aus Wien von
Ihnen bekommen könnte. Finden Sie denn nicht auch, dass eine Aufrechterhaltung des
Ateliers in Wien nur möglich ist, wenn er wirklich alle seine Fragen an Sie, beantwortet
bekommt und ausserdem über alle neuen Vorkommnisse ständig informiert ist. Eigent-
lich sind Sie ja ihm gegenüber verantwortlich für Ihr Tun und haben das bisher auch im
vollsten Maße bewiesen. [...] Es scheint mir eigentlich selbstverständlich und ganz Ihrem
Wesen entsprechend, dass Sie den Kontakt mit ihm aufrecht erhalten wollen und es wäre
für alle Beteiligten wünschenswert, wenn wieder mehr Vertrauen und normale Ordnung
im Atelier geschehen würde. Ich weiß nicht, ob Ihnen bewusst ist, wie sehr meinem
Mann daran gelegen ist, das Atelier in Wien aufrecht zu erhalten und wie sehr er Sie als
Mitarbeiterin schätzte. Bitte besinnen Sie sich doch! Stellen Sie sich auch seine Situation
vor. Das Wenige das er von seiner Mutter geerbt hat, ist noch nicht flüssig zu machen,
aber er wird sich etwas Geld ausborgen und nach Wien schicken.“235 Die Kommunika-
tion über Briefe gestaltete sich offenbar problematisch, da Singer sich nicht ausreichend
über die Arbeit des Wiener Ateliers informiert fühlte. In ihrem Antwortbrief an Emmy
Heim geht Schrom nochmals auf die Details zu den Finanzierungsproblemen des Ateliers
ein: „Die Schulden selbst sind nichts Neues. Sie sind seit dem August festgestellt und
damals erst dem Atelier in vollem Umfang bekannt geworden. Das Budget wurde damals
234 AGS, Brief Leopoldine Schrom an Franz Singer, 17.1.1935.
235 AGS, Brief Emmy Heim an Leopoldine Schrom, 21.1.1935.
© 2021 Böhlau Verlag | Brill Österreich GmbH
https://doi.org/10.7767/9783205213161 | CC BY-NC 4.0
Bauhaus in Wien?
Möbeldesign, Innenraumgestaltung und Architektur der Wiener Ateliergemeinschaft von Friedl Dicker und Franz Singer
- Titel
- Bauhaus in Wien?
- Untertitel
- Möbeldesign, Innenraumgestaltung und Architektur der Wiener Ateliergemeinschaft von Friedl Dicker und Franz Singer
- Autor
- Katharina Hövelmann
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21316-1
- Abmessungen
- 17.4 x 25.6 cm
- Seiten
- 492
Inhaltsverzeichnis
- 1 Einleitung 9
- 1.1 Ein vergessenes Kapitel Wiener Design- und Architekturgeschichte 9
- 1.2 Forschungsstand 10
- 1.3 Quellenlage 15
- 1.4 Forschungsziele und Methodik 21
- 2 Dickers und Singers künstlerische Ausbildung im Zeichen von Kunstschulreform und Lebensreformbewegung 27
- 2.1 Die Zeit in Wien 27
- 2.1.1 Herkunft und Ausbildung bis 1916 27
- 2.1.2 Kunstschule Johannes Itten und Netzwerke 1916–1919 33
- 2.2 Studienzeit am Bauhaus in Weimar 1919–1923 47
- 2.2.1 Die Wiener Gruppe um Johannes Itten 47
- 2.2.2 Unterricht 56
- 2.2.3 Erste Architekturentwürfe – Vier Einfamilienhäuser 77
- 3 Berufliche Anfänge 89
- 3.1 Aufträge für Theater in Dresden und Berlin 1921–1922 89
- 3.2 Werkstätten Bildender Kunst GmbH, Berlin 1923–1926 92
- 3.2.1 Arbeiten für Die Truppe 107
- 3.2.2 Die Auflösung 114
- 4 Die Wiener Ateliergemeinschaft 1925–1938 117
- 4.1 Die Zusammenarbeit von Dicker und Singer 1925–1931 117
- 4.2 Architekturfachkenntnis im Hintergrund – Die AteliermitarbeiterInnen 134
- 4.3 AuftraggeberInnen 140
- 4.4 Strategien der Bewerbung 147
- 4.4.1 Axonometrie und Modell 147
- 4.4.2 Fotografie 154
- 4.4.3 Publikationen 157
- 4.5 Dickers und Singers Wege ab 1933/1934 162
- 5 „Das moderne Wohnprinzip“ – Zwischen Bauhaus und Wien 173
- 5.1 Das Bauhaus als Basis 173
- 5.2 Zur Situation in Wien – Innenraumgestaltung und Architektur 175
- 5.2.1 Die Wiener Moderne um 1900 175
- 5.2.2 Wien in der Zwischenkriegszeit 177
- 5.3 Theorie und Anspruch der Ateliergemeinschaft 182
- 5.4 Einrichtungsgegenstände: Möbel, Leuchten und Kachelöfen 185
- 5.4.1 Vom Einzelstück zur Typisierung – Frühe Möbel 1925–1929 185
- 5.4.1.1 Bauhaus und De Stijl als Vorbild 185
- 5.4.1.2 Verwandelbarkeit als Prinzip 202
- 5.4.1.3 Verbindungen zum Wiener Jugendstil und Biedermeier 210
- 5.4.1.4 Zwischen sozialem und künstlerischem Anspruch: Typisierungstendenzen 216
- 5.4.1.5 Möbeltischler und Hersteller 228
- 5.4.2 Wege zur Serienfabrikation – Stahlrohr- und Sperrholzmöbel 1929–1938 230
- 5.4.2.1 Der Stahlrohrstapelstuhl von Bruno Pollak 234
- 5.4.2.2 Stahlrohrmöbelentwürfe der Ateliergemeinschaft 238
- 5.4.2.3 Hersteller und Produktionsversuche der Stahlrohrmöbel 251
- 5.4.2.4 Entwürfe für die Firma Metz & Co 253
- 5.4.2.5 Sperrholzmöbel 261
- 5.4.2.6 Produktionsversuche der Sperrholzmöbel 264
- 5.4.3 Eine Welt für Kinder – Kindermöbel und Baukastenspiele 1927–1938 266
- 5.4.4 Leuchten und andere Metallarbeiten 289
- 5.4.5 Kachelöfen 302
- 5.5 Raumgestaltungen und Architektur 309
- 5.5.1 Verwendung von Farbe als Gestaltungsmittel 309
- |5.5.2 Intervention im Haus Moller von Adolf Loos und im dazugehörigen Garten 319
- 5.5.2.1 Ein neu entdeckter Möblierungsentwurf 319
- 5.5.2.2 Das Zimmer für Anny Wottitz-Moller 334
- 5.5.2.3 Das Gartenhaus 337
- 5.5.3 Wohnkonzepte auf kleinster Fläche 339
- 5.5.3.1 Einwohnräume 339
- 5.5.3.2 „Wachsende Häuser“ – Entwürfe für Kleinhauswohnbauten in Palästina 362
- 5.5.4 Fulminanter Höhe- und Endpunkt – Das Gästehaus Auersperg-Hériot 379
- 5.6 Epilog: Sozialer Anspruch oder Zeitgeist? – Eine kritische Bewertung 411
- 6 Resümee und Ausblick 417
- 7 Anhang 425
- 7.1 Quellentexte 425
- 7.2 Biografie Friedl Dicker / Franz Singer 428
- 7.3 Archive und Sammlungen 431
- 7.4 Literatur 436
- 7.5 Webseiten 473
- 7.6 Bildnachweis 477
- 7.7 Abkürzungen 480
- 7.8 Abstract 481
- 7.9 Register 482