Seite - 168 - in Bauhaus in Wien? - Möbeldesign, Innenraumgestaltung und Architektur der Wiener Ateliergemeinschaft von Friedl Dicker und Franz Singer
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Die Wiener Ateliergemeinschaft
1925–1938168
einem Ausbausystem für Wohnungen, das er 1934 in Großbritannien und 1935 in den
USA patentieren ließ.250 Zu seiner Haupteinkommensquelle in London zählten die Auf-
träge für die Warenhausgruppe John Lewis Co. Ltd. und das dazugehörige Kaufhaus Peter
Jones. Nach der Bombardierung der Hauptfiliale von John Lewis in der Oxford Street
1940 fertigte er 1943 Entwürfe für eine neue Fassade an.251
Friedl Dicker und ihr Mann Pavel Brandeis zogen im Sommer 1938 nach Hronov, einen
nordöstlich von Prag gelegenen Ort, in dem sich die Produktionsstätte der Weberei B.
Spiegler & Söhne befand. Diese Firma gehörte seit 1936 zu der Weberei S. Katzau der mit
Dicker und Singer befreundeten Familie Moller. Der Produktionsstandort von S. Katzau
lag in der nicht weit entfernt liegenden Ortschaft Babí bei Nachód. Friedl Dicker hatte
für die Firma Spiegler & Söhne bereits während ihrer Wiener Zeit gearbeitet und nahm
nun eine erneute Tätigkeit auf. Ihr Mann trat in der Firma eine Stelle als Buchhalter
an.252 Ihre dortige Wohnung war mit Möbeln aus dem Wiener Atelier eingerichtet, wie
sich die Nachbarin Anna Sládková in Hronov erinnerte.253
Nachdem die Inhaber der Firma Spiegler noch 1938 flüchteten, gab es für beide jedoch
keine Arbeit mehr. Dicker vertiefte sich nun in ihre Malerei und Pavel Brandeis arbeitete
als Zimmermann.254 Obwohl aus Briefen an Freunde hervorgeht, dass Dicker bereits um
1934 Pläne hegte, die Tschechoslowakei in Richtung Großbritannien oder Palästina zu
verlassen – sie schreibt an ihren Freund Stefan Wolpe: „Ich hoffe immer noch auf das
Wunder, das mich zu Euch nach Palästina bringen soll“255 –, soll sie ein durch Hans Mol-
ler organisiertes Visum ausgeschlagen haben, da sie Pavel Brandeis nicht zurücklassen
wollte.256 Im Herbst 1942 wurden beide erst nach Theresienstadt und von dort im Ok-
tober 1944 nach Auschwitz deportiert. Dicker wurde ermordet, ihr Mann überlebte.257
250 Franz Singer, Improvements relating to Combination Cabinet and like Furniture, Patentamt Groß-
britannien, 443024, eingereicht: 15.08.1934, eingetragen: 13.08.1935, veröffentlicht: 17.2.1936;
Franz Singer, Constructions of Buildings, Patentamt USA, 2049088, angemeldet: 27.9.1935, paten-
tiert: 28.7.1936.
251 BHA, Architektursammlung, Franz Singer Inv.-Nr. 2019/500; 2019/503.
252 Makarova 1999, S. 26.
253 Makarova 1999, S. 125.
254 Makarova 1999, S. 28.
255 PSS, Sammlung Stefan Wolpe, Brief Friedl Dicker an Stefan Wolpe, um 1934, Transkript Heidy
Zimmermann. In einem anderen Brief an Stefan Wolpe schreibt Dicker: „Meine Pläne sind etwas
vage. Es besteht die Möglichkeit nächstes Jahr nach England zu gehen. Ich würde das gern machen,
wenn die π.α.[?] es zulässt.“ Siehe: PSS, Sammlung Stefan Wolpe, Brief Friedl Dicker an Stefan
Wolpe, um 1934, Transkript Heidy Zimmermann.
256 Makarova 1999, S. 26.
257 Makarova 1999, S. 38.
© 2021 Böhlau Verlag | Brill Österreich GmbH
https://doi.org/10.7767/9783205213161 | CC BY-NC 4.0
Bauhaus in Wien?
Möbeldesign, Innenraumgestaltung und Architektur der Wiener Ateliergemeinschaft von Friedl Dicker und Franz Singer
- Titel
- Bauhaus in Wien?
- Untertitel
- Möbeldesign, Innenraumgestaltung und Architektur der Wiener Ateliergemeinschaft von Friedl Dicker und Franz Singer
- Autor
- Katharina Hövelmann
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21316-1
- Abmessungen
- 17.4 x 25.6 cm
- Seiten
- 492
Inhaltsverzeichnis
- 1 Einleitung 9
- 1.1 Ein vergessenes Kapitel Wiener Design- und Architekturgeschichte 9
- 1.2 Forschungsstand 10
- 1.3 Quellenlage 15
- 1.4 Forschungsziele und Methodik 21
- 2 Dickers und Singers künstlerische Ausbildung im Zeichen von Kunstschulreform und Lebensreformbewegung 27
- 2.1 Die Zeit in Wien 27
- 2.1.1 Herkunft und Ausbildung bis 1916 27
- 2.1.2 Kunstschule Johannes Itten und Netzwerke 1916–1919 33
- 2.2 Studienzeit am Bauhaus in Weimar 1919–1923 47
- 2.2.1 Die Wiener Gruppe um Johannes Itten 47
- 2.2.2 Unterricht 56
- 2.2.3 Erste Architekturentwürfe – Vier Einfamilienhäuser 77
- 3 Berufliche Anfänge 89
- 3.1 Aufträge für Theater in Dresden und Berlin 1921–1922 89
- 3.2 Werkstätten Bildender Kunst GmbH, Berlin 1923–1926 92
- 3.2.1 Arbeiten für Die Truppe 107
- 3.2.2 Die Auflösung 114
- 4 Die Wiener Ateliergemeinschaft 1925–1938 117
- 4.1 Die Zusammenarbeit von Dicker und Singer 1925–1931 117
- 4.2 Architekturfachkenntnis im Hintergrund – Die AteliermitarbeiterInnen 134
- 4.3 AuftraggeberInnen 140
- 4.4 Strategien der Bewerbung 147
- 4.4.1 Axonometrie und Modell 147
- 4.4.2 Fotografie 154
- 4.4.3 Publikationen 157
- 4.5 Dickers und Singers Wege ab 1933/1934 162
- 5 „Das moderne Wohnprinzip“ – Zwischen Bauhaus und Wien 173
- 5.1 Das Bauhaus als Basis 173
- 5.2 Zur Situation in Wien – Innenraumgestaltung und Architektur 175
- 5.2.1 Die Wiener Moderne um 1900 175
- 5.2.2 Wien in der Zwischenkriegszeit 177
- 5.3 Theorie und Anspruch der Ateliergemeinschaft 182
- 5.4 Einrichtungsgegenstände: Möbel, Leuchten und Kachelöfen 185
- 5.4.1 Vom Einzelstück zur Typisierung – Frühe Möbel 1925–1929 185
- 5.4.1.1 Bauhaus und De Stijl als Vorbild 185
- 5.4.1.2 Verwandelbarkeit als Prinzip 202
- 5.4.1.3 Verbindungen zum Wiener Jugendstil und Biedermeier 210
- 5.4.1.4 Zwischen sozialem und künstlerischem Anspruch: Typisierungstendenzen 216
- 5.4.1.5 Möbeltischler und Hersteller 228
- 5.4.2 Wege zur Serienfabrikation – Stahlrohr- und Sperrholzmöbel 1929–1938 230
- 5.4.2.1 Der Stahlrohrstapelstuhl von Bruno Pollak 234
- 5.4.2.2 Stahlrohrmöbelentwürfe der Ateliergemeinschaft 238
- 5.4.2.3 Hersteller und Produktionsversuche der Stahlrohrmöbel 251
- 5.4.2.4 Entwürfe für die Firma Metz & Co 253
- 5.4.2.5 Sperrholzmöbel 261
- 5.4.2.6 Produktionsversuche der Sperrholzmöbel 264
- 5.4.3 Eine Welt für Kinder – Kindermöbel und Baukastenspiele 1927–1938 266
- 5.4.4 Leuchten und andere Metallarbeiten 289
- 5.4.5 Kachelöfen 302
- 5.5 Raumgestaltungen und Architektur 309
- 5.5.1 Verwendung von Farbe als Gestaltungsmittel 309
- |5.5.2 Intervention im Haus Moller von Adolf Loos und im dazugehörigen Garten 319
- 5.5.2.1 Ein neu entdeckter Möblierungsentwurf 319
- 5.5.2.2 Das Zimmer für Anny Wottitz-Moller 334
- 5.5.2.3 Das Gartenhaus 337
- 5.5.3 Wohnkonzepte auf kleinster Fläche 339
- 5.5.3.1 Einwohnräume 339
- 5.5.3.2 „Wachsende Häuser“ – Entwürfe für Kleinhauswohnbauten in Palästina 362
- 5.5.4 Fulminanter Höhe- und Endpunkt – Das Gästehaus Auersperg-Hériot 379
- 5.6 Epilog: Sozialer Anspruch oder Zeitgeist? – Eine kritische Bewertung 411
- 6 Resümee und Ausblick 417
- 7 Anhang 425
- 7.1 Quellentexte 425
- 7.2 Biografie Friedl Dicker / Franz Singer 428
- 7.3 Archive und Sammlungen 431
- 7.4 Literatur 436
- 7.5 Webseiten 473
- 7.6 Bildnachweis 477
- 7.7 Abkürzungen 480
- 7.8 Abstract 481
- 7.9 Register 482