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Zur Situation in Wien – Innenraumgestaltung und Architektur 181
ihr 1923 geplante „Kernhaus Typ 7“ stattete sie mit raumgenau angepassten Möbeln aus
und entwickelte erstmals 1922 eine Einbauküche (Abb. 112).50
Josef Frank, wie Loos ein starker Verfechter der Siedlungs- bzw. Gartenstadtbewe-
gung, war ab 1921 Architekt des Österreichischen Verbandes für Siedlungs- und Klein-
gartenwesen (ÖVSK). 1923 löste ihn der jüngere Architekt Franz Schuster ab, der wie
Schütte-Lihotzky bei Tessenow studiert und mit diesem von 1919–1921 für die Gar-
tenstadt Hellerau zusammengearbeitet hatte. In Wien plante er zusammen mit Franz
Schacherl (1895–1943) mehrere Siedlungen, wobei er sich mit Fragen der Typisierung
und Normierung auseinandersetzte.51
1923 zeichnete sich eine Wende im kommunalen Wohnbau ab, da unter dem Wie-
ner Finanzstadtrat Hugo Breitner eine Wohnbausteuer eingeführt worden war und nun
die innerstädtische Blockverbauung stärker in den Vordergrund rückte, um der akuten
Wohnungsnot entgegenwirken zu können.52 Im Zeitraum von 1923 bis 1933 entstan-
den im Auftrag der Gemeinde Wien 60.000 neue Wohnungen. Die ehemaligen Schüler
Otto Wagners, die viele dieser Wohnbauten realisierten, vertraten jedoch keineswegs ex-
perimentelle Lösungsansätze für die Wohnungsgrundrisse, sondern konzentrierten sich
weitgehend auf die äußere Gestaltung dieser Mietshäuser.53 Es gab jedoch eine Gruppe
von ArchitektInnen, die mit ihren Entwürfen vom Erscheinungsbild der in die „Nähe
barocker Schlossanlagen“54 geratenen Gemeindebauten abwichen. Vordenker hierfür wa-
ren Frank, Strnad und Tessenow, die ihre Ideen an der Kunstgewerbeschule an die neue
Generation von ArchitektInnen wie Anton Brenner (1896–1957), Margarete Schütte-
Lihotzky und Franz Schuster weitergaben. Stetiges Thema dieser ArchitektInnen war
es, kleine Wohnräume möglichst optimal nutzbar zu machen. So entwickelte Anton
Brenner für sein 1924/1925 errichtetes Wohnhaus an der Ecke Rauchfangkehrergasse/
Heinikegasse im 15. Bezirk, dessen Standardwohnungen 38 qm groß waren, ein Ein-
richtungskonzept mit wandhohen Einbauschränken zwischen Wohn- und Schlafzimmer
und stattete das Wohnzimmer mit Klappbetten für die Kinder aus (Abb. 113).
Die Architektin Schütte-Lihotzky wurde 1926 beim Stadtbauamt Frankfurt unter
Ernst May in der Abteilung zur Typisierung von Einrichtungsgegenständen angestellt
und arbeitete dort ihre Ideen für Einbauküchen 1927 zur „Frankfurter Küche“ aus. Auch
Brenner und Schuster arbeiteten ab 1927 als freie Architekten in Frankfurt und setzten
arbeitete bei dem Architekten Vermeer. Parallel hörte sie Vorlesungen von Hendrik Petrus Berlage.
Siehe: Zwingl 19962a, S. 19, Zwingl 19962b, S. 269.
50 Ottillinger 2009, S. 30.
51 Förster 1978, S. 142–143.
52 Ottillinger 2009, S. 30.
53 Haiko 2010, S. 70.
54 Haiko 1995, S. 27.
© 2021 Böhlau Verlag | Brill Österreich GmbH
https://doi.org/10.7767/9783205213161 | CC BY-NC 4.0
Bauhaus in Wien?
Möbeldesign, Innenraumgestaltung und Architektur der Wiener Ateliergemeinschaft von Friedl Dicker und Franz Singer
- Titel
- Bauhaus in Wien?
- Untertitel
- Möbeldesign, Innenraumgestaltung und Architektur der Wiener Ateliergemeinschaft von Friedl Dicker und Franz Singer
- Autor
- Katharina Hövelmann
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21316-1
- Abmessungen
- 17.4 x 25.6 cm
- Seiten
- 492
Inhaltsverzeichnis
- 1 Einleitung 9
- 1.1 Ein vergessenes Kapitel Wiener Design- und Architekturgeschichte 9
- 1.2 Forschungsstand 10
- 1.3 Quellenlage 15
- 1.4 Forschungsziele und Methodik 21
- 2 Dickers und Singers künstlerische Ausbildung im Zeichen von Kunstschulreform und Lebensreformbewegung 27
- 2.1 Die Zeit in Wien 27
- 2.1.1 Herkunft und Ausbildung bis 1916 27
- 2.1.2 Kunstschule Johannes Itten und Netzwerke 1916–1919 33
- 2.2 Studienzeit am Bauhaus in Weimar 1919–1923 47
- 2.2.1 Die Wiener Gruppe um Johannes Itten 47
- 2.2.2 Unterricht 56
- 2.2.3 Erste Architekturentwürfe – Vier Einfamilienhäuser 77
- 3 Berufliche Anfänge 89
- 3.1 Aufträge für Theater in Dresden und Berlin 1921–1922 89
- 3.2 Werkstätten Bildender Kunst GmbH, Berlin 1923–1926 92
- 3.2.1 Arbeiten für Die Truppe 107
- 3.2.2 Die Auflösung 114
- 4 Die Wiener Ateliergemeinschaft 1925–1938 117
- 4.1 Die Zusammenarbeit von Dicker und Singer 1925–1931 117
- 4.2 Architekturfachkenntnis im Hintergrund – Die AteliermitarbeiterInnen 134
- 4.3 AuftraggeberInnen 140
- 4.4 Strategien der Bewerbung 147
- 4.4.1 Axonometrie und Modell 147
- 4.4.2 Fotografie 154
- 4.4.3 Publikationen 157
- 4.5 Dickers und Singers Wege ab 1933/1934 162
- 5 „Das moderne Wohnprinzip“ – Zwischen Bauhaus und Wien 173
- 5.1 Das Bauhaus als Basis 173
- 5.2 Zur Situation in Wien – Innenraumgestaltung und Architektur 175
- 5.2.1 Die Wiener Moderne um 1900 175
- 5.2.2 Wien in der Zwischenkriegszeit 177
- 5.3 Theorie und Anspruch der Ateliergemeinschaft 182
- 5.4 Einrichtungsgegenstände: Möbel, Leuchten und Kachelöfen 185
- 5.4.1 Vom Einzelstück zur Typisierung – Frühe Möbel 1925–1929 185
- 5.4.1.1 Bauhaus und De Stijl als Vorbild 185
- 5.4.1.2 Verwandelbarkeit als Prinzip 202
- 5.4.1.3 Verbindungen zum Wiener Jugendstil und Biedermeier 210
- 5.4.1.4 Zwischen sozialem und künstlerischem Anspruch: Typisierungstendenzen 216
- 5.4.1.5 Möbeltischler und Hersteller 228
- 5.4.2 Wege zur Serienfabrikation – Stahlrohr- und Sperrholzmöbel 1929–1938 230
- 5.4.2.1 Der Stahlrohrstapelstuhl von Bruno Pollak 234
- 5.4.2.2 Stahlrohrmöbelentwürfe der Ateliergemeinschaft 238
- 5.4.2.3 Hersteller und Produktionsversuche der Stahlrohrmöbel 251
- 5.4.2.4 Entwürfe für die Firma Metz & Co 253
- 5.4.2.5 Sperrholzmöbel 261
- 5.4.2.6 Produktionsversuche der Sperrholzmöbel 264
- 5.4.3 Eine Welt für Kinder – Kindermöbel und Baukastenspiele 1927–1938 266
- 5.4.4 Leuchten und andere Metallarbeiten 289
- 5.4.5 Kachelöfen 302
- 5.5 Raumgestaltungen und Architektur 309
- 5.5.1 Verwendung von Farbe als Gestaltungsmittel 309
- |5.5.2 Intervention im Haus Moller von Adolf Loos und im dazugehörigen Garten 319
- 5.5.2.1 Ein neu entdeckter Möblierungsentwurf 319
- 5.5.2.2 Das Zimmer für Anny Wottitz-Moller 334
- 5.5.2.3 Das Gartenhaus 337
- 5.5.3 Wohnkonzepte auf kleinster Fläche 339
- 5.5.3.1 Einwohnräume 339
- 5.5.3.2 „Wachsende Häuser“ – Entwürfe für Kleinhauswohnbauten in Palästina 362
- 5.5.4 Fulminanter Höhe- und Endpunkt – Das Gästehaus Auersperg-Hériot 379
- 5.6 Epilog: Sozialer Anspruch oder Zeitgeist? – Eine kritische Bewertung 411
- 6 Resümee und Ausblick 417
- 7 Anhang 425
- 7.1 Quellentexte 425
- 7.2 Biografie Friedl Dicker / Franz Singer 428
- 7.3 Archive und Sammlungen 431
- 7.4 Literatur 436
- 7.5 Webseiten 473
- 7.6 Bildnachweis 477
- 7.7 Abkürzungen 480
- 7.8 Abstract 481
- 7.9 Register 482