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„Das moderne Wohnprinzip“ – Zwischen Bauhaus und Wien
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Ausstellung hinaus weitere Möbel durch diese Firma gefertigt wurden, lässt sich aller-
dings nicht bestätigen. Obwohl die Firma Quittner erst 1930 mit dem traditionsreichen
Metallmöbelhersteller Kitschelt fusioniert hatte und nun unter Josef & Leopold Quittner
und August Kitschelt A.G. firmierte, stellte sie 1931 ihren Betrieb ein. Demzufolge musste
das Atelier danach neue Hersteller akquirieren.
Die in der Wohnung von Margit Téry-Buschmann verwendete Stahlrohr-Couch
wurde vom Berliner Metallgewerbe Josef Müller in Berlin-Neukölln ausgeführt, einer
Firma, bei der auch Mies van der Rohe bis 1930 seine Stahlrohrmöbel herstellen ließ.188
Der Hersteller ist vermutlich mit dem Standort der Wohnung in Berlin zu begründen
und blieb singulär.
1932 wurden bei der „Bau- und Kunst-Schlosserei Georg Wittek“ (VI. Liniengasse
22) Kostenvoranschläge für Stahlrohrmöbel eingeholt, ob tatsächlich auch Möbel her-
gestellt wurden, ist nicht bekannt.189 In der Folge fertigten zumeist der Metallwaren-
fabrikant Josef Anton Talos190 (XII. Dörfelstraße 6–8) und der Schlossermeister Walter
Gowal191 (VI. Mollardgasse 20) Stahlrohrmöbel für das Atelier an. Talos meldete bereits
1935 Konkurs an und so stellte vermutlich vorwiegend Gowal ab 1935 für das Ate-
lier Stahlrohrmöbel her, der ab diesem Jahr auch erstmals im Adressbuch erscheint.192
Nachträgliche Beschriftungen von Singer auf erhaltenen Rechnungen von Gowal geben
Aufschluss über die Aufträge. So sind diese mit den Namen der AuftraggeberInnen und
den Angaben „Versuchs-Sessel“, „Sesselgeflecht-Versuch“, „Riegel-Versuche für Tische“
beschriftet. Demzufolge wurden mit dem Schlosser Gowal neue Techniken und Pro-
totypen entwickelt. Insbesondere entwickelte und testete die Mitarbeiterin Leopoldine
Schrom neue Versionen zusammen mit diesem Schlosser. In einem Brief vom 12. Mai
1935 berichtet sie Franz Singer in London sehr detailliert von der Entwicklung und dem
Mechanismus eines Möbels: „Das Divanbett funktioniert. Das Modell ist heute fertig
geworden, sehr roh gearbeitet, mit einem von Gowal provisorisch verfertigten Deckel-
rahmen. [...] Mein Vorschlag, starkwandigeres Stahlrohr zu nehmen, um das Federn zu
vermindern, bedeutet sofort eine erhebliche Verteuerung. Darüber muss mit Gowal jetzt
188 Máčel 1989, S. 105.
189 AGS, Kostenvoranschlag von Georg Wittek für ein Tischgestell und ein Bett, 22.8.1932.
190 Josef Anton Talos erscheint erstmals 1929 im Adressbuch mit der Bezeichnung „Schaufenster“ und
ab 1930 mit der Angabe „Metallwrfabrk.“. Siehe: Wiener Adreßbuch, Lehmanns Wohnungsanzei-
ger.
191 Walter Gowal erscheint erstmals 1935 im Adressbuch mit der Bezeichnung „Schlossermstr.“ Siehe:
Wiener Adreßbuch, Lehmanns Wohnungsanzeiger.
192 In einem Brief von April 1935 berichtet Schrom an Singer, dass die Firma Talos Konkurs angemeldet
habe. Siehe: AGS, Brief Leopoldine Schrom an Franz Singer, 4.4.1935.
© 2021 Böhlau Verlag | Brill Österreich GmbH
https://doi.org/10.7767/9783205213161 | CC BY-NC 4.0
Bauhaus in Wien?
Möbeldesign, Innenraumgestaltung und Architektur der Wiener Ateliergemeinschaft von Friedl Dicker und Franz Singer
- Titel
- Bauhaus in Wien?
- Untertitel
- Möbeldesign, Innenraumgestaltung und Architektur der Wiener Ateliergemeinschaft von Friedl Dicker und Franz Singer
- Autor
- Katharina Hövelmann
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21316-1
- Abmessungen
- 17.4 x 25.6 cm
- Seiten
- 492
Inhaltsverzeichnis
- 1 Einleitung 9
- 1.1 Ein vergessenes Kapitel Wiener Design- und Architekturgeschichte 9
- 1.2 Forschungsstand 10
- 1.3 Quellenlage 15
- 1.4 Forschungsziele und Methodik 21
- 2 Dickers und Singers künstlerische Ausbildung im Zeichen von Kunstschulreform und Lebensreformbewegung 27
- 2.1 Die Zeit in Wien 27
- 2.1.1 Herkunft und Ausbildung bis 1916 27
- 2.1.2 Kunstschule Johannes Itten und Netzwerke 1916–1919 33
- 2.2 Studienzeit am Bauhaus in Weimar 1919–1923 47
- 2.2.1 Die Wiener Gruppe um Johannes Itten 47
- 2.2.2 Unterricht 56
- 2.2.3 Erste Architekturentwürfe – Vier Einfamilienhäuser 77
- 3 Berufliche Anfänge 89
- 3.1 Aufträge für Theater in Dresden und Berlin 1921–1922 89
- 3.2 Werkstätten Bildender Kunst GmbH, Berlin 1923–1926 92
- 3.2.1 Arbeiten für Die Truppe 107
- 3.2.2 Die Auflösung 114
- 4 Die Wiener Ateliergemeinschaft 1925–1938 117
- 4.1 Die Zusammenarbeit von Dicker und Singer 1925–1931 117
- 4.2 Architekturfachkenntnis im Hintergrund – Die AteliermitarbeiterInnen 134
- 4.3 AuftraggeberInnen 140
- 4.4 Strategien der Bewerbung 147
- 4.4.1 Axonometrie und Modell 147
- 4.4.2 Fotografie 154
- 4.4.3 Publikationen 157
- 4.5 Dickers und Singers Wege ab 1933/1934 162
- 5 „Das moderne Wohnprinzip“ – Zwischen Bauhaus und Wien 173
- 5.1 Das Bauhaus als Basis 173
- 5.2 Zur Situation in Wien – Innenraumgestaltung und Architektur 175
- 5.2.1 Die Wiener Moderne um 1900 175
- 5.2.2 Wien in der Zwischenkriegszeit 177
- 5.3 Theorie und Anspruch der Ateliergemeinschaft 182
- 5.4 Einrichtungsgegenstände: Möbel, Leuchten und Kachelöfen 185
- 5.4.1 Vom Einzelstück zur Typisierung – Frühe Möbel 1925–1929 185
- 5.4.1.1 Bauhaus und De Stijl als Vorbild 185
- 5.4.1.2 Verwandelbarkeit als Prinzip 202
- 5.4.1.3 Verbindungen zum Wiener Jugendstil und Biedermeier 210
- 5.4.1.4 Zwischen sozialem und künstlerischem Anspruch: Typisierungstendenzen 216
- 5.4.1.5 Möbeltischler und Hersteller 228
- 5.4.2 Wege zur Serienfabrikation – Stahlrohr- und Sperrholzmöbel 1929–1938 230
- 5.4.2.1 Der Stahlrohrstapelstuhl von Bruno Pollak 234
- 5.4.2.2 Stahlrohrmöbelentwürfe der Ateliergemeinschaft 238
- 5.4.2.3 Hersteller und Produktionsversuche der Stahlrohrmöbel 251
- 5.4.2.4 Entwürfe für die Firma Metz & Co 253
- 5.4.2.5 Sperrholzmöbel 261
- 5.4.2.6 Produktionsversuche der Sperrholzmöbel 264
- 5.4.3 Eine Welt für Kinder – Kindermöbel und Baukastenspiele 1927–1938 266
- 5.4.4 Leuchten und andere Metallarbeiten 289
- 5.4.5 Kachelöfen 302
- 5.5 Raumgestaltungen und Architektur 309
- 5.5.1 Verwendung von Farbe als Gestaltungsmittel 309
- |5.5.2 Intervention im Haus Moller von Adolf Loos und im dazugehörigen Garten 319
- 5.5.2.1 Ein neu entdeckter Möblierungsentwurf 319
- 5.5.2.2 Das Zimmer für Anny Wottitz-Moller 334
- 5.5.2.3 Das Gartenhaus 337
- 5.5.3 Wohnkonzepte auf kleinster Fläche 339
- 5.5.3.1 Einwohnräume 339
- 5.5.3.2 „Wachsende Häuser“ – Entwürfe für Kleinhauswohnbauten in Palästina 362
- 5.5.4 Fulminanter Höhe- und Endpunkt – Das Gästehaus Auersperg-Hériot 379
- 5.6 Epilog: Sozialer Anspruch oder Zeitgeist? – Eine kritische Bewertung 411
- 6 Resümee und Ausblick 417
- 7 Anhang 425
- 7.1 Quellentexte 425
- 7.2 Biografie Friedl Dicker / Franz Singer 428
- 7.3 Archive und Sammlungen 431
- 7.4 Literatur 436
- 7.5 Webseiten 473
- 7.6 Bildnachweis 477
- 7.7 Abkürzungen 480
- 7.8 Abstract 481
- 7.9 Register 482