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Einrichtungsgegenstände: Möbel, Leuchten und Kachelöfen 273
denelemente nicht über die untere Türe hervor, sondern schlossen bündig ab, womit
sich ein harmonisches Bild der Wickelkommode in der Vorderansicht ergab. An der
oberen Abschlussplatte der Schränke waren seitlich Rahmen mit vertikal verlaufenden
Gitterstäbchen zur Sicherung des Kindes beim Wickeln angebracht. Die Farbigkeit der
Wickelkommode, die einer Perspektivzeichnung zufolge in Weiß, Hellgelb und Rosa
lackiert war, unterstrich zudem die verschiedenen Elemente.251
Die Sichtbarmachung des Aufbaus und der einzelnen Elemente wurde auch für das
Gitterbett und die Sitzgarnitur des Kinderzimmers aufgegriffen. Das Gitterbett bestand
aus vier Rundholzpfosten, die unten durch einen an den Stirnseiten leicht gebogenen
Rahmen verbunden waren (Abb. 238). An den Seiten war das Bettchen mit durch Quer-
sprossen verstärkten Gitterstäben geschlossen und vorne war ein Textilnetz angebracht,
das bei Bedarf abgenommen werden konnte. Das Stecksystem, mit dem sich das Textil-
netz herausnehmen ließ, verweist auf ein Kinderbett von Alma Buscher von 1924, das
die gleiche Funktion aufwies, um so dem größer werdenden Kind das selbstständige
Verlassen des Bettes zu ermöglichen (Abb. 239). Bei den Stühlen wurde die Konstruktion
durch die aus Rundhölzern gefertigten Stuhlbeine, die durch die Sitzfläche hindurch-
führten, die auskragende Sitzfläche und die obere Quersprosse der Lehne sowie deren
unterschiedliche Lackierung betont (Abb. 240). Für eine erhöhte Bequemlichkeit waren
bei den Stühlen Polster aus Bast aufgelegt, die mit Bändern an den Stuhlbeinen und der
Lehne befestigt waren. Als verbindendes Motiv wurden bei allen Kindermöbeln dieses
Zimmers Gitterstäbe verwendet.
Die Idee der „mitwachsenden“ Möbel, wie sie sich durch die Funktion der Wickel-
kommode und des Kinderbettes für Koritschoner bereits andeutete, wurde in der Folge
immer wieder aufgegriffen. Die Umnutzung wurde zu einem Spezifikum der Kinder-
möbel. 1928 entstanden Entwurfszeichnungen für das Kinderzimmer der Familie
Koessler, die höhenverstellbare Stühle und einen Tisch mit derselben Funktion zeigen
(Abb. 241).252 Ob diese Möbel umgesetzt wurden, ist nicht belegt.
Auf der Ausstellung „Wiener Raumkünstler“ 1929/30 wurden erstmals „wachsende
Stühle“ aus Stahlrohr präsentiert. Diese gehörten zur Einrichtung im Kinderzimmer von
Florian Adler, dem Sohn von Margit Téry-Buschmann (Abb. 198). Um 1931 entstand
ebenso ein Entwurf für ein Kinderbett, das der zunehmenden Größe des Kindes ange-
passt werden konnte (Abb. 242). Die Länge des Bettes mit Stahlrohrfüssen konnte da-
durch geändert werden, dass der Rahmen „in verschiedenen Stellungen auf die Stahlfüsse
251 Die beiden Schränke der Wickelkommode sind auch auf der Entwurfszeichnung für die Möblierung
des Kinderzimmers von Judith Adler im Haus Moller von Adolf Loos aus dem Jahr 1928 eingezeich-
net. Siehe: AWA, Adolf Loos-Archiv, Inv.-Nr. 916.
252 Siehe: AGS.
© 2021 Böhlau Verlag | Brill Österreich GmbH
https://doi.org/10.7767/9783205213161 | CC BY-NC 4.0
Bauhaus in Wien?
Möbeldesign, Innenraumgestaltung und Architektur der Wiener Ateliergemeinschaft von Friedl Dicker und Franz Singer
- Titel
- Bauhaus in Wien?
- Untertitel
- Möbeldesign, Innenraumgestaltung und Architektur der Wiener Ateliergemeinschaft von Friedl Dicker und Franz Singer
- Autor
- Katharina Hövelmann
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21316-1
- Abmessungen
- 17.4 x 25.6 cm
- Seiten
- 492
Inhaltsverzeichnis
- 1 Einleitung 9
- 1.1 Ein vergessenes Kapitel Wiener Design- und Architekturgeschichte 9
- 1.2 Forschungsstand 10
- 1.3 Quellenlage 15
- 1.4 Forschungsziele und Methodik 21
- 2 Dickers und Singers künstlerische Ausbildung im Zeichen von Kunstschulreform und Lebensreformbewegung 27
- 2.1 Die Zeit in Wien 27
- 2.1.1 Herkunft und Ausbildung bis 1916 27
- 2.1.2 Kunstschule Johannes Itten und Netzwerke 1916–1919 33
- 2.2 Studienzeit am Bauhaus in Weimar 1919–1923 47
- 2.2.1 Die Wiener Gruppe um Johannes Itten 47
- 2.2.2 Unterricht 56
- 2.2.3 Erste Architekturentwürfe – Vier Einfamilienhäuser 77
- 3 Berufliche Anfänge 89
- 3.1 Aufträge für Theater in Dresden und Berlin 1921–1922 89
- 3.2 Werkstätten Bildender Kunst GmbH, Berlin 1923–1926 92
- 3.2.1 Arbeiten für Die Truppe 107
- 3.2.2 Die Auflösung 114
- 4 Die Wiener Ateliergemeinschaft 1925–1938 117
- 4.1 Die Zusammenarbeit von Dicker und Singer 1925–1931 117
- 4.2 Architekturfachkenntnis im Hintergrund – Die AteliermitarbeiterInnen 134
- 4.3 AuftraggeberInnen 140
- 4.4 Strategien der Bewerbung 147
- 4.4.1 Axonometrie und Modell 147
- 4.4.2 Fotografie 154
- 4.4.3 Publikationen 157
- 4.5 Dickers und Singers Wege ab 1933/1934 162
- 5 „Das moderne Wohnprinzip“ – Zwischen Bauhaus und Wien 173
- 5.1 Das Bauhaus als Basis 173
- 5.2 Zur Situation in Wien – Innenraumgestaltung und Architektur 175
- 5.2.1 Die Wiener Moderne um 1900 175
- 5.2.2 Wien in der Zwischenkriegszeit 177
- 5.3 Theorie und Anspruch der Ateliergemeinschaft 182
- 5.4 Einrichtungsgegenstände: Möbel, Leuchten und Kachelöfen 185
- 5.4.1 Vom Einzelstück zur Typisierung – Frühe Möbel 1925–1929 185
- 5.4.1.1 Bauhaus und De Stijl als Vorbild 185
- 5.4.1.2 Verwandelbarkeit als Prinzip 202
- 5.4.1.3 Verbindungen zum Wiener Jugendstil und Biedermeier 210
- 5.4.1.4 Zwischen sozialem und künstlerischem Anspruch: Typisierungstendenzen 216
- 5.4.1.5 Möbeltischler und Hersteller 228
- 5.4.2 Wege zur Serienfabrikation – Stahlrohr- und Sperrholzmöbel 1929–1938 230
- 5.4.2.1 Der Stahlrohrstapelstuhl von Bruno Pollak 234
- 5.4.2.2 Stahlrohrmöbelentwürfe der Ateliergemeinschaft 238
- 5.4.2.3 Hersteller und Produktionsversuche der Stahlrohrmöbel 251
- 5.4.2.4 Entwürfe für die Firma Metz & Co 253
- 5.4.2.5 Sperrholzmöbel 261
- 5.4.2.6 Produktionsversuche der Sperrholzmöbel 264
- 5.4.3 Eine Welt für Kinder – Kindermöbel und Baukastenspiele 1927–1938 266
- 5.4.4 Leuchten und andere Metallarbeiten 289
- 5.4.5 Kachelöfen 302
- 5.5 Raumgestaltungen und Architektur 309
- 5.5.1 Verwendung von Farbe als Gestaltungsmittel 309
- |5.5.2 Intervention im Haus Moller von Adolf Loos und im dazugehörigen Garten 319
- 5.5.2.1 Ein neu entdeckter Möblierungsentwurf 319
- 5.5.2.2 Das Zimmer für Anny Wottitz-Moller 334
- 5.5.2.3 Das Gartenhaus 337
- 5.5.3 Wohnkonzepte auf kleinster Fläche 339
- 5.5.3.1 Einwohnräume 339
- 5.5.3.2 „Wachsende Häuser“ – Entwürfe für Kleinhauswohnbauten in Palästina 362
- 5.5.4 Fulminanter Höhe- und Endpunkt – Das Gästehaus Auersperg-Hériot 379
- 5.6 Epilog: Sozialer Anspruch oder Zeitgeist? – Eine kritische Bewertung 411
- 6 Resümee und Ausblick 417
- 7 Anhang 425
- 7.1 Quellentexte 425
- 7.2 Biografie Friedl Dicker / Franz Singer 428
- 7.3 Archive und Sammlungen 431
- 7.4 Literatur 436
- 7.5 Webseiten 473
- 7.6 Bildnachweis 477
- 7.7 Abkürzungen 480
- 7.8 Abstract 481
- 7.9 Register 482