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Einrichtungsgegenstände: Möbel, Leuchten und Kachelöfen 275
gesteckt werden“253 konnte. Das Bett erscheint neben Einzelzeichnungen auf Entwürfen
für das Kinderzimmer der Wohnung Riemer-Steiner in Budapest.254 Da der Auftrag für
die Wohnungseinrichtung nicht ausgeführt wurde, ist jedoch fraglich, ob das Bett jemals
hergestellt wurde.
Nachdem der bei der Gemeinde Wien tätige Architekt Hugo Mayer plötzlich verstor-
ben war, erhielt die Ateliergemeinschaft 1930 den Auftrag für die Innenausstattung des
Montessori-Kindergartens, den Mayer zusammen mit einem Architektenteam für den
Gemeindebau Goethehof geplant hatte.255 Im Zusammenhang mit einer russischen Pu-
blikation über den Kindergarten schrieb Singer 1935 über das fertiggestellte Projekt an
die damals bei der Architekturakademie in Moskau beschäftigte Architektin Margarete
Schütte-Lihotzky, die sich ebenfalls mit der Entwicklung von Kindermöbeln beschäf-
tigte: „Ich halte ihn für einen Kindergarten schlecht angelegt und ich hatte die grösste
Mühe, ihn halbwegs brauchbar zu machen. Er stellt, wie ich glaube, durch seine Einrich-
tung, ein neues und interessantes Experiment dar.“256
Bei der Entwicklung der Kindergarten-Einrichtung wurde eng mit der Leiterin Hedy
Schwarz zusammengearbeitet. Ziel war die Verwirklichung von Montessoris pädagogi-
schen Ideen: „Je vollkommener die Umgebung dem Kinde entspricht, desto mehr kann
die Tätigkeit des Erwachsenen zurücktreten. [...] Soll die Umgebung des Kindes sorg-
fältig vorbereitet sein, so ist unsere Aufgabe groß: wir haben ja eine ganze, neue Welt zu
schaffen, die Welt der Kinder.“257 Hierzu zählte auch die Idee der „Selbsterziehung des
Kindes“ durch die Verrichtung alltäglicher Dinge, die „Erziehung der Sinne“ und den
Bezug zur Natur durch Gartenarbeit.
Die Räume waren klar gegliedert und die Einrichtungsgegenstände an die Bedürf-
nisse der Kinder angepasst, wobei die Funktionen im Gebrauch erprobt und weiter-
entwickelt werden sollten: „Es war gedacht, einige Jahre lang zu beobachten, wie die
einzelnen Raumteile sich im Gebrauch bewähren und wie die praktische und psychische
Wirkung der Formen, der Farben, der Materialien auf die Kinder ist“258 Als Idee verfolgte
Singer dabei die Entwicklung eines „System[s] von normierten Bauelementen [...], die
253 AGS, Schriftstück, in dem die Funktion des Kinderbettes beschrieben wird, mit der Angabe „Harry
Wengraf“, undatiert.
254 Siehe: AGS, Planunterlagen Projekt Riemer-Steiner.
255 Hugo Mayer entwarf auch den im Zeitraum 1928 bis 1930 entstandenen Wohnbau mit 727 Par-
teien unter Mitarbeit von Rudolf Frass, Viktor Mittag, Karl Hauschka, Heinrich Schopper, Alfred
Chalusch und Johann Rothmüller. Siehe: Achleitner 2010, S. 312.
256 BHA, Dokumentensammlung, Franz Singer, Mappe 6, Brief von Franz Singer an Margarete
Schütte-Lihotzky, 13.8.1935, Inv.-Nr. 9345. Siehe auch: AGS.
257 Montessori 1928, S. 55–56.
258 BHA, Dokumentensammlung, Franz Singer, Mappe 6, Brief von Franz Singer an Margarete
Schütte-Lihotzky, 13.8.1935, Inv.-Nr. 9345. Siehe auch: AGS.
© 2021 Böhlau Verlag | Brill Österreich GmbH
https://doi.org/10.7767/9783205213161 | CC BY-NC 4.0
Bauhaus in Wien?
Möbeldesign, Innenraumgestaltung und Architektur der Wiener Ateliergemeinschaft von Friedl Dicker und Franz Singer
- Titel
- Bauhaus in Wien?
- Untertitel
- Möbeldesign, Innenraumgestaltung und Architektur der Wiener Ateliergemeinschaft von Friedl Dicker und Franz Singer
- Autor
- Katharina Hövelmann
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21316-1
- Abmessungen
- 17.4 x 25.6 cm
- Seiten
- 492
Inhaltsverzeichnis
- 1 Einleitung 9
- 1.1 Ein vergessenes Kapitel Wiener Design- und Architekturgeschichte 9
- 1.2 Forschungsstand 10
- 1.3 Quellenlage 15
- 1.4 Forschungsziele und Methodik 21
- 2 Dickers und Singers künstlerische Ausbildung im Zeichen von Kunstschulreform und Lebensreformbewegung 27
- 2.1 Die Zeit in Wien 27
- 2.1.1 Herkunft und Ausbildung bis 1916 27
- 2.1.2 Kunstschule Johannes Itten und Netzwerke 1916–1919 33
- 2.2 Studienzeit am Bauhaus in Weimar 1919–1923 47
- 2.2.1 Die Wiener Gruppe um Johannes Itten 47
- 2.2.2 Unterricht 56
- 2.2.3 Erste Architekturentwürfe – Vier Einfamilienhäuser 77
- 3 Berufliche Anfänge 89
- 3.1 Aufträge für Theater in Dresden und Berlin 1921–1922 89
- 3.2 Werkstätten Bildender Kunst GmbH, Berlin 1923–1926 92
- 3.2.1 Arbeiten für Die Truppe 107
- 3.2.2 Die Auflösung 114
- 4 Die Wiener Ateliergemeinschaft 1925–1938 117
- 4.1 Die Zusammenarbeit von Dicker und Singer 1925–1931 117
- 4.2 Architekturfachkenntnis im Hintergrund – Die AteliermitarbeiterInnen 134
- 4.3 AuftraggeberInnen 140
- 4.4 Strategien der Bewerbung 147
- 4.4.1 Axonometrie und Modell 147
- 4.4.2 Fotografie 154
- 4.4.3 Publikationen 157
- 4.5 Dickers und Singers Wege ab 1933/1934 162
- 5 „Das moderne Wohnprinzip“ – Zwischen Bauhaus und Wien 173
- 5.1 Das Bauhaus als Basis 173
- 5.2 Zur Situation in Wien – Innenraumgestaltung und Architektur 175
- 5.2.1 Die Wiener Moderne um 1900 175
- 5.2.2 Wien in der Zwischenkriegszeit 177
- 5.3 Theorie und Anspruch der Ateliergemeinschaft 182
- 5.4 Einrichtungsgegenstände: Möbel, Leuchten und Kachelöfen 185
- 5.4.1 Vom Einzelstück zur Typisierung – Frühe Möbel 1925–1929 185
- 5.4.1.1 Bauhaus und De Stijl als Vorbild 185
- 5.4.1.2 Verwandelbarkeit als Prinzip 202
- 5.4.1.3 Verbindungen zum Wiener Jugendstil und Biedermeier 210
- 5.4.1.4 Zwischen sozialem und künstlerischem Anspruch: Typisierungstendenzen 216
- 5.4.1.5 Möbeltischler und Hersteller 228
- 5.4.2 Wege zur Serienfabrikation – Stahlrohr- und Sperrholzmöbel 1929–1938 230
- 5.4.2.1 Der Stahlrohrstapelstuhl von Bruno Pollak 234
- 5.4.2.2 Stahlrohrmöbelentwürfe der Ateliergemeinschaft 238
- 5.4.2.3 Hersteller und Produktionsversuche der Stahlrohrmöbel 251
- 5.4.2.4 Entwürfe für die Firma Metz & Co 253
- 5.4.2.5 Sperrholzmöbel 261
- 5.4.2.6 Produktionsversuche der Sperrholzmöbel 264
- 5.4.3 Eine Welt für Kinder – Kindermöbel und Baukastenspiele 1927–1938 266
- 5.4.4 Leuchten und andere Metallarbeiten 289
- 5.4.5 Kachelöfen 302
- 5.5 Raumgestaltungen und Architektur 309
- 5.5.1 Verwendung von Farbe als Gestaltungsmittel 309
- |5.5.2 Intervention im Haus Moller von Adolf Loos und im dazugehörigen Garten 319
- 5.5.2.1 Ein neu entdeckter Möblierungsentwurf 319
- 5.5.2.2 Das Zimmer für Anny Wottitz-Moller 334
- 5.5.2.3 Das Gartenhaus 337
- 5.5.3 Wohnkonzepte auf kleinster Fläche 339
- 5.5.3.1 Einwohnräume 339
- 5.5.3.2 „Wachsende Häuser“ – Entwürfe für Kleinhauswohnbauten in Palästina 362
- 5.5.4 Fulminanter Höhe- und Endpunkt – Das Gästehaus Auersperg-Hériot 379
- 5.6 Epilog: Sozialer Anspruch oder Zeitgeist? – Eine kritische Bewertung 411
- 6 Resümee und Ausblick 417
- 7 Anhang 425
- 7.1 Quellentexte 425
- 7.2 Biografie Friedl Dicker / Franz Singer 428
- 7.3 Archive und Sammlungen 431
- 7.4 Literatur 436
- 7.5 Webseiten 473
- 7.6 Bildnachweis 477
- 7.7 Abkürzungen 480
- 7.8 Abstract 481
- 7.9 Register 482